27. Juni 2025
Restrukturierung Insolvenz CEE
Restrukturierung in CEE

Insolvenzverfahren in Mittel- und Osteuropa (CEE)

CEE-Insolvenzsysteme im Wandel: Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Reformtrends in einer wirtschaftlich transformierten Region.

In CEE haben die Transformationsprozesse nach dem Fall des eisernen Vorhangs Ende der 1980er / Anfang der 1990er-Jahre tiefgreifende Auswirkungen auf wirtschaftliche und rechtliche Strukturen gehabt. Die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien führte zur Notwendigkeit, funktionierende Insolvenzsysteme zu entwickeln, um mit unternehmerischem Scheitern, Überschuldung und Gläubigerinteressen angemessen umzugehen. 

Länderübergreifende Gemeinsamkeiten der CEE Insolvenzsysteme

Trotz nationaler Unterschiede gibt es viele strukturelle Gemeinsamkeiten in den Insolvenzsystemen der CEE-Länder:

Transformation und Modernisierung der Insolvenzsysteme nach 1990

Fast alle Staaten der Region mussten nach 1990 ihre Insolvenzsysteme neu aufbauen oder grundlegend reformieren. Die Gesetzgebungen orientierten sich häufig an westlichen Vorbildern (z. B. Deutschland, Österreich, Frankreich) und an Vorgaben internationaler Organisationen wie der EU, der Weltbank und des IWF. Auch wurden Gesetze seitdem in vielen CEE-Ländern weiter reformiert oder gänzlich ersetzt, um zeitgemäße Regelungen zu haben. 

  1. Rechtlicher Rahmen und Dualität der Verfahren
    In den meisten Ländern existieren zwei Hauptverfahren:
    • Insolvenzverfahren (Liquidation) zur Abwicklung zahlungsunfähiger Unternehmen,
    • Sanierungsverfahren zur Rettung wirtschaftlich noch lebensfähiger Unternehmen (oft mit Gläubigerbeteiligung).
  2. Gerichtliche Zuständigkeit
    Insolvenzverfahren werden fast überall von spezialisierten Gerichten oder Abteilungen (z. B. Handelsgerichte) geführt.
  3. Rolle des Insolvenzverwalters
    Ein zentrales Element ist die Bestellung eines (formal) unabhängigen Insolvenz- oder Sanierungsverwalters, der die Vermögenswerte verwaltet und die Interessen der Gläubiger wahrt.
  4. Einfluss der EU
    Die meisten CEE-Staaten sind EU-Mitglieder oder -Kandidaten, dementsprechend beeinflussen die einschlägigen EU-Richtlinien und Verordnungen die nationalen Reformen erheblich.
  5. Transparenz und Veröffentlichungspflichten
    In vielen CEE-Ländern existieren öffentliche Insolvenzregister, die zur Transparenz und Information der Gläubiger beitragen.

Nationale Unterschiede zwischen den Insolvenzsystemen der CEE-Länder

Trotz vieler Parallelen gibt es in der Praxis wesentliche Unterschiede zwischen den nationalen Systemen, die sich aus rechtlichen Traditionen, institutionellen Kapazitäten und wirtschaftlicher Entwicklung ergeben.

1. Effizienz und Dauer der Verfahren

Tschechien und Polen gelten als Länder mit vergleichsweise effizienten Insolvenzsystemen. In Polen wurden z. B. ab 2016 umfangreiche Reformen eingeführt, die die Verfahren beschleunigen und Gläubigerrechte stärken.

In Rumänien, Bulgarien und Ungarn dauern Insolvenzverfahren oft deutlich länger. Korruption, mangelnde gerichtliche Kapazitäten und unzureichende Professionalisierung der Insolvenzverwalter tragen mitunter dazu bei.

2. Nutzung von Sanierungsverfahren

In Slowenien und Kroatien wurde in den letzten Jahren verstärkt auf außergerichtliche und gerichtliche Restrukturierungen gesetzt, unterstützt durch gesetzliche Neuerungen.

In Ungarn wird das Sanierungsverfahren sehr selten angewendet, da Gläubiger und Schuldner oft wenig Vertrauen in die Erfolgsaussichten solcher Prozesse haben, welche Annahme sich in den wenigen Verfahren leider häufig bestätigt.

3. Gläubigerrechte und Einflussmöglichkeiten

In Polen und Tschechien haben Gläubiger vergleichsweise starke Rechte (z. B. bei der Bestellung von Verwaltern oder Abstimmungen über Sanierungspläne).

In Bulgarien und Rumänien sind Gläubiger teilweise institutionell schwächer gestellt, was die Erholungschancen verringert.

4. Frühinterventionsmechanismen und vorinsolvenzliche Sanierungen

Litauen, Lettland und Estland haben moderne Mechanismen zur frühzeitigen Intervention eingeführt, um Insolvenzen zu vermeiden (z. B. stille Restrukturierungsverfahren).

In anderen Ländern wie Ungarn oder Serbien gibt es diese Instrumente entweder nicht oder sie sind bislang kaum wirksam.

Herausforderungen mit und Kritikpunkte an den Insolvenzsystemen der CEE-Länder

Trotz Reformen bleibt die Praxis der Insolvenzverfahren in CEE-Ländern vielerorts problematisch:

  • Mangel an professionellen Insolvenzverwaltern und Ausbildungsmöglichkeiten.
  • Korruption und mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte, insbesondere in Südosteuropa.
  • Geringe Erfolgsquoten bei Sanierungen, was Unternehmen und Gläubiger häufig zu Liquidationen zwingt.
  • Fehlendes Vertrauen in gerichtliche Verfahren führt oft zur informellen Schuldenregulierung oder Unternehmensaufgabe ohne Verfahren.

Reformtrends hinsichtlich der Insolvenzsysteme

In vielen CEE-Ländern sind Reformen im Gange oder geplant. Die wichtigsten Trends:

  1. Frühwarnsysteme und vorinsolvenzliche Verfahren (z. B. nach EU-Restrukturierungsrichtlinie 2019/1023).
  2. Digitalisierung von Antrags- und Berichtspflichten.
  3. Verbesserung der Ausbildung von Richtern und Verwaltern.
  4. Stärkung der Gläubigerposition, z. B. durch Einführung von Gläubigerausschüssen.
  5. Verkürzung von Verfahrensdauern durch neue Fristen und Sanktionen bei Verzögerungen.

Einvernehmliche Restrukturierungen sind in vielen Fällen vorteilhafter als Insolvenzverfahren, da einvernehmliche Restrukturierungen Gläubigern mehr Einflussnahme und dadurch regelmäßig höhere Befriedigungsaussichten bieten

Die Insolvenzsysteme in den CEE-Ländern sind stark von der politischen und wirtschaftlichen Transformation der letzten Jahrzehnte geprägt. Es gibt deutliche Fortschritte in der Gesetzgebung, insbesondere durch die EU-Integration. Dennoch bestehen große Unterschiede in der Effizienz, der Praxis und der Nutzung einzelner Instrumente. Gerade was die Sanierung anstatt der Abwicklung von Unternehmen angeht, besteht in vielen Ländern noch erheblicher Handlungsbedarf. Derzeit bedeutet die Verfahrenseröffnung in aller Regel die Zerschlagung, bei der gerade die ungesicherten Gläubiger oft das Nachsehen haben. Auch ist es in einigen Ländern weiterhin nicht ungewöhnlich, dass der Verwalter an erster Stelle eigene und nicht Gläubigerinteressen verfolgt. Daher sollte aus Gläubigersicht immer sorgsam abgewogen werden, ob anstatt eines formalen Verfahrens eine alternative, einvernehmliche Restrukturierung des Schuldnerunternehmens möglich und erfolgversprechend ist. Nach Insolvenzeröffnung bleibt insbesondere unbesicherten Gläubigern regelmäßig faktisch nur eine Zuschauerrolle. 

Gemeinsamkeiten liegen vor allem in der grundsätzlichen Struktur der Verfahren, der Rolle der Gerichte und der Insolvenzverwalter sowie in der EU-beeinflussten Gesetzgebung. Unterschiede zeigen sich vor allem in der praktischen Umsetzung, in der Nutzung von Sanierungsmechanismen, im Zugang der Gläubiger und in der Verfahrensdauer, die in manchen Ländern häufig mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann.

Ein funktionierendes Insolvenzsystem ist ein wesentlicher Bestandteil einer gesunden Marktwirtschaft. Die weitere Annäherung an internationale Standards – sowohl rechtlich als auch praktisch – bleibt eine zentrale Aufgabe für viele Länder der Region.

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Tags: Insolvenzverfahren Restrukturierung in CEE