26. Mai 2016
Böhmermann Satire Gedicht
Medienrecht

Böhmermann und die Folgen

Böhmermann wehrt sich gegen den Beschluss des LG Hamburg. Das Gedicht könne nicht zerlegt werden, um Teile davon isoliert zu verbieten.

Das Landgericht Hamburg hat auf Antrag des türkischen Präsidenten Erdogan die einstweilige Verfügung gegen den Moderator Jan Böhmermann erlassen. Dieser will den Beschluss nicht akzeptieren. Die Verfügung sei „eklatant falsch“.

Das Gericht habe das Schmähgedicht Böhmermanns insgesamt zwar als Satire eingestuft, es dann aber zerlegt, um Teile davon isoliert zu verbieten.

Das gehe nicht. Warum eigentlich nicht?

Schmähgedicht zum großen Teil unzulässig

Die 24. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg hat letzte Woche auf Antrag des türkischen Präsidenten Erdogan eine einstweilige Verfügung gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann erlassen (Az.: 324 O 255/16). Dieser darf danach einen Großteil der Passagen seines „Schmähgedichts″, das er Ende März in seiner Sendung „Neo Magazin Royale″ vorgetragen hatte, nicht wiederholen.

Das Gericht hat dabei zwischen der Kunst- und Meinungsfreiheit von Jan Böhmermann einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des türkischen Präsidenten andererseits abgewogen. Dabei ist es zum Schluss gelangt, dass ein Großteil der Passagen die Grenzen zur zulässigen Kunst- und Meinungsfreiheit überschreite. Dies gelte vor allem für die Zitate, die Herrn Erdogan religiös verunglimpfen oder auf bestimmte Sexualpraktiken abzielen.

Andere Passagen setzen sich nach Ansicht des Gerichts in zulässiger Weise satirisch mit aktuellen Vorgängen in der Türkei auseinander. Insofern müsse sich Erdogan als Staatsoberhaupt mit politischer Verantwortung aufgrund seines öffentlichen Wirkens auch harsche Kritik an seiner Politik gefallen lassen. Aussagen wie „Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan, der Präsident″ seien demnach von Erdogan hinzunehmen.

Böhmermann wehrt sich: Gedicht sei in seiner Gesamtheit Satire

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Jan Böhmermann hat inzwischen über seinen Anwalt angekündigt, die einstweilige Verfügung nicht akzeptieren zu wollen. Er hat Erdogan eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage gesetzt.

Sein Anwalt nennt die Verfügung „eklatant falsch″. Das Gericht könne nicht bestimmte Aussagen isoliert herauszugreifen und verbieten. Ist das richtig?

Satire ist nach gebräuchlicher Definition eine Kunstform und der an einer Norm orientierte Spott über die Erscheinungen der Wirklichkeit. Übertreibungen und Verzerrungen sind einer Satire wesenseigen.

Allerdings darf – anders als Tucholsky noch annahm – auch Satire nicht alles. Sie findet ihre Grenze, wo sie gegen die Menschenwürde verstößt oder wo sich es um eine reine Schmähung oder eine Formalbeleidigung handelt. Die Rechtsprechung differenziert seit jeher bei der rechtlichen Beurteilung der Satire zwischen einem Aussagekern und einer diesen „einkleidenden″ satirischen Verfremdung.

Nichts anderes hat das LG Hamburg getan. Es hat das Gedicht insgesamt als Satire eingestuft. Es hat sich dann den näheren Aussagegehalt des Gedichts Satz für Satz vorgenommen – auch dies ist nichts Ungewöhnliches – und jede Passage auf eine Überschreitung der Grenze zur Menschenwürde bzw. zur bloßen Schmähung geprüft. Dies durfte das Gericht trotz der Feststellung, dass das Gedicht insgesamt eine Form der Satire ist. Offensichtlich meinen Kritiker des Beschlusses, bei satirischen Werken müsse stets das „Alles oder Nichts″-Prinzip gelten: entweder sei alles erlaubt oder alles verboten.

Wenn dem so wäre, würden Gerichte zukünftig nur in Teilen formalbeleidigende Werke eher ganz verbieten als zum weniger invasiven Mittel des teilweisen Verbots zu greifen.

Aus der Kritik am Beschluss ist aber noch ein anderer Vorwurf herauszuhören: Das Gericht hätte den Gesamtkontext des Beitrages nicht hinreichend gewürdigt. Dies ist jedoch falsch. Dass der Beitrag seiner äußeren Gestalt nach satirisch sei, hebt das Gericht sogar ausdrücklich hervor.

Ist das noch Satire?

Dabei kann man durchaus bezweifeln, dass Böhmermanns Beitrag überhaupt Satire ist. Das Problem besteht darin, dass Satire naturbedingt keine allgemeingültige Definition erfahren kann, weil der Begriff offen ist. Zudem gibt es – das hat die Satire mit dem Kunstbegriff gemein – keine Niveaukontrolle und damit keine Differenzierung zwischen “höherer” und “niederer” oder “guter” und “schlechter” Satire; was grundsätzlich richtig ist, will man ein staatliches Kunstdiktat verhindern.

Deshalb ist Böhmermanns Schmähgedicht natürlich einerseits nur ein kalkulierter Aufreger, der noch nicht einmal witzig, allenfalls pubertär ist. Wer sich die Dialoge zwischen Böhmermann und seinem Sidekick im Kontext des Gedichts anschaut („Schmähkritik […] – „Das kann bestraft werden″ – „Und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher…″ – „Ja, erst hinterher″), wird kaum umhinkommen anzunehmen, dass es hier in erster Linie nicht um Satire, sondern schlicht um die Schmähung Erdogans geht. Der tatsächliche Gehalt an inhaltlicher Auseinandersetzung mit den politischen Vorgängen in der Türkei ist in dem Gedicht jedenfalls minimal.

Andererseits ist dies nun einmal der an der Wirklichkeit orientierte Spott, der uns für die Definition der Satire und damit der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG genügt. Gleichwohl lohnt es sich zu hinterfragen, was den eigentlichen Kernbestand der Satire ausmachen sollte.

„Kunst kann nicht in einem Klima stattfinden, in dem sich Künstlerinnen und Künstler Gedanken darüber machen müssen, ob ihr Schaffen zur Strafanzeige führt″ heißt es in einem in der ZEIT veröffentlichten Solidaritätsaufruf zahlreicher prominenter Künstler, die sich mit Jan Böhmermann solidarisieren.

„Doch was wäre so schlimm daran, wenn Künstlerinnen und Künstler sich Gedanken darüber machten, ob ihr Schaffen zu einer Strafanzeige führen könnte?″, fragt Gerhard Henschel in der F.A.Z.

Richtig. Was wäre so schlimm daran?

Tags: Böhmermann Medienrecht satire