Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in der Rüstungsproduktion: Europas Potenzial ist groß, wenn der Mut zum Abbau rechtlicher Hürden gefasst wird.
Seit der Bundeskanzler in Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 die Zeitenwende ausgerufen hat und die USA mehr Engagement Europas und Deutschlands bei der Tragung der Kosten der Verteidigung der NATO einfordern, steht die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Europas auf der politischen Agenda. Deutschland und seine Bündnispartner sehen sich zunehmend hybriden Angriffen ausgesetzt, die jüngst in dem Eindringen russischer Kampfjets und Drohnen in den Luftraum der NATO gipfelten. Das hat erneut die Dringlichkeit des Aufwuchses der Fähigkeiten der Bundeswehr verdeutlicht.
Damit sind nicht nur die Streitkräfte selbst in der Pflicht. Der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie muss innovative Lösungen für eine effektive Verteidigung entwickeln und hinreichende Produktionskapazitäten verfügbar machen, um Ausrüstung und Versorgung der Bundeswehr und des Heimatschutzes sicherzustellen. Ansonsten droht der Mangel an industriellen Kapazitäten zur Achillesferse der neuen Sicherheitspolitik zu werden.
Rechtliche Rahmenbedingungen: EU in der Pflicht
Damit geraten auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die SVI operiert, in den Blick. Wesentliche Teile der einschlägigen Regulatorik sind unionsrechtlich vorgeprägt. Demnach kommt der EU hier eine bedeutende Rolle zu, die sie auch einnimmt. So ist eines der zentralen Anliegen des europäischen „Defence White Paper“ die Stärkung der SVI. Mit dem „ReArm Europe Plan“ und dem derzeit in Abstimmung befindlichen „European Defence Industry Programme (EDIP)“ werden bedeutende Schritte unternommen, um vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Substanzielle Verbesserungen in regulatorischer Hinsicht sollen nun durch einen sogenannten „Defence Readiness Omnibus“ herbeigeführt werden. Dieses ist eingebettet in das politikübergreifende Omnibus-Verfahren, mit dem die Kommission einen weitreichenden Bürokratieabbau anstrebt.
„Defence Omnibus Package“
Am 17. Juni 2025 hat die Kommission den Entwurf des Vereinfachungspakets vorgelegt. Dieser sieht umfassende Neuerungen vor, die sowohl verteidigungsspezifische als auch allgemeine Regelungsbereiche betreffen. Verteidigungsspezifische Anpassungen sind unter anderem im Vergaberecht sowie für Verbringung von Verteidigungsgütern innerhalb der EU vorgesehen. Darüber hinaus betrifft der Kommissionsentwurf Bereiche wie Finanzierung, Wettbewerbsrecht und Arbeitsschutzrecht, das Chemikalien- und Umweltrecht und den Bereich ESG.
Im Fokus des Defence Omnibus Package: Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Ein besonderes Hindernis für den Aufwuchs industrieller Kapazitäten stellen langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren dar. Vorhaben der SVI unterfallen wie auch andere Industrievorhaben einem dichten regulatorischen Netz. Eine zentrale Rolle nehmen in der Regel die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) sowie die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ein, deren Verfahren und materieller Prüfgegenstand in hohem Maße auf unionsrechtlichen Vorgaben beruht. Vor diesem Hintergrund enthält der „Defence Readiness Omnibus“ den Vorschlag für eine Verordnung zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für „Projekte zur Verteidigungsbereitschaft″.
Unter einem Projekt zur Verteidigungsbereitschaft versteht Art. 1 Nr. 1 des Entwurfs „eine Reihe von Tätigkeiten, Investitionen und Maßnahmen zur Verbesserung der Verteidigungsbereitschaft eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten der EU, unter anderem durch die Entwicklung der Verteidigungsindustrie“. Zur Erreichung des Ziels der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sieht der Entwurf die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle und die Begrenzung der Verfahrensdauer vor.
Zentrale Anlaufstelle für Genehmigungsverfahren für ein Projekt zur Verteidigungsbereitschaft durch Mitgliedstaaten zu benennen
Nach Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs errichtet oder benennt jeder Mitgliedstaat bis drei Monate nach Inkrafttreten der Verordnung eine Behörde als zentrale Anlaufstelle. Diese soll nach Art. 2 Abs. 3 als einziger Ansprechpartner für den Projektträger in dem Genehmigungsverfahren für ein Projekt zur Verteidigungsbereitschaft dienen. Dadurch erhofft sich die Kommission eine Erleichterung und bessere Koordinierung der Verfahren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderlichen fachrechtlichen Genehmigungen künftig durch die zentrale Stelle erteilt würden. Vielmehr lässt der Vorschlag der Kommission die Fachzuständigkeiten unberührt. Bei der zentralen Anlaufstelle wird zwar die Kommunikation mit dem Projektträger gebündelt; hier werden der Antrag gestellt und die endgültige Entscheidung über diesen mitgeteilt. Die Durchführung der einzelnen Schritte des Genehmigungsverfahrens erfolgt weiterhin durch die zuständigen Fachbehörden.
Ob diese Regelung einen nennenswerten Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung leisten kann, darf bezweifelt werden. Das in Deutschland für Vorhaben der SVI meist maßgebliche Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG sieht für Industrieprojekte eine Konzentrationswirkung vor, die Genehmigungen nach anderem Recht (z.B. Baugenehmigungen, Erlaubnisse nach Sprengstoffgesetz, wasserrechtliche Eignungsfeststellungen etc.) einschließt. Die jeweiligen Fachbehörden sind an dem Verfahren zu beteiligen.
Die zentrale Anlaufstelle wird demnach nur in den seltenen Fällen Wirkung entfalten, in denen die Konzentrationswirkung nicht greift, z.B. wenn zusätzlich wasserrechtliche Erlaubnisse oder Planfeststellungen erforderlich sind. In Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie sieht § 10a Abs. 2 BImSchG das Verfahren über eine einheitliche Stelle für gewisse Projekte bereits vor. Schon hier hat der Gesetzgeber festgestellt, dass nach deutschem Immissionsschutzrecht wenige Fallgestaltungen verbleiben, in denen die zentrale Stelle relevant ist (BT-Drs. 19/27672, 13). Für diese wenigen Fallgestaltungen bietet sich eine grundsätzliche Harmonisierung der Genehmigungsverfahren, unabhängig von den Bedürfnissen der SVI, an. Diese sollte dann auch für die Fälle, in denen keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich ist, das teils sehr komplizierte Nebeneinander von Baugenehmigung, wasserrechtlicher Eignungsfeststellung und Erlaubnis nach Betriebssicherheitsverordnung bereinigen. Jedenfalls ist von einer zentralen Stelle allein keine substanzielle Beschleunigung zu erwarten.
Begrenzte Verfahrensdauer
Eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren könnte jedoch aus Art. 5 Abs. 1 des Entwurfs folgen. Dieser sieht vor, dass Genehmigungsverfahren für Projekte zur Verteidigungsbereitschaft einschließlich der Erteilung der einschlägigen Genehmigung 60 Tage nicht überschreiten dürfen. Dabei erfasst der Begriff des Genehmigungsverfahrens „alle einschlägigen Genehmigungen“. Erfolgt eine Entscheidung nicht innerhalb der Frist, so ordnet Art. 5 Abs. 8 eine Genehmigungsfiktion an.
Die Kombination aus radikal verkürzter Verfahrensdauer und Genehmigungsfiktion markiert einen ambitionierten Vorstoß. Nach dem Entwurf bestätigt die zentrale Anlaufstelle spätestens 15 Tage nach Eingang des Antrags die Vollständigkeit der Unterlagen. Ist der Antrag nicht vollständig, so fordert sie den Vorhabenträger zur Vervollständigung auf. In solchen Bereichen, die nicht Gegenstand der ersten Aufforderung waren, darf die Anlaufstelle keine Nachreichungen mehr verlangen. Das Datum, zu dem die Anlaufstelle die Vollständigkeit des Antrags bestätigt, gilt schließlich als Beginn des Genehmigungsverfahrens; ab hier läuft die 60-tägige Frist.
Eine substanzielle Verringerung des Aufwands, vor allem in der frühen Planungsphase, ist durch dieses Verfahren nicht zu erwarten. Die Erstellung der erforderlichen Antragsunterlagen nimmt in der Regel einen bedeutenden Teil des Planungsprozesses ein. Der Entwurf sieht jedoch keine materiellen Erleichterungen in dieser Hinsicht vor. Vielmehr greifen die vorgeschlagenen Regelungen erst ab dem Zeitpunkt, zu dem die Unterlagen weitgehend vorliegen. Hinzu kommt, dass gerade bei komplexen Genehmigungsverfahren sich immer wieder die Frage stellt, ob die vorgelegten Antragsunterlagen, zu denen auch naturwissenschaftliche Gutachten etwa zum Lärm- oder zum Artenschutz gehören, ausreichend sind. Die Vollständigkeit der Unterlagen binnen 15 Tagen zu prüfen, wird für die zentrale Stelle eine Herausforderung darstellen; zumal vor dem Hintergrund, dass sie einmal nicht bemängelte Unvollständigkeiten im späteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr geltend machen darf. Es stellt sich die Frage, wie zu verfahren sein wird, wenn den Fachbehörden Antragsunterlagen fehlen, die sie gewöhnlich der Entscheidung zugrunde legen müssten. Dies ist nicht zuletzt problematisch, wenn Belange Dritter oder des Naturschutzes durch das Vorhaben berührt werden. Die Belange stehen nicht zur Disposition der Behörden und können von Nachbarn bzw. Naturschutzverbänden beanstandet werden. Es fragt sich auch, wie mit Gutachten die zwar vorhanden, aber lückenhaft oder mangelhaft sind, umzugehen wäre. Die im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vorgesehene Erörterung in einem Termin wäre in diesem Zeitrahmen wohl kaum realisierbar und müsste daher entfallen oder etwa durch eine Online-Beteiligung ersetzt werden.
Anpassungen erforderlich
Der Vorstoß der Kommission ist allgemein zu begrüßen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind ungeachtet einzelner Bedenken grundsätzlich sinnvoll und können punktuell zur Beschleunigung beitragen.
Es ist jedoch zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten im laufenden Abstimmungsverfahren auf inhaltliche Präzisierungen drängen werden. So ist die Definition von Projekten zur Verteidigungsbereitschaft derart umfassend ausgestaltet, dass eine praktische Handhabung entlang der Lieferkette Herausforderungen mit sich bringen wird. Dies gilt insbesondere für Dual-use-Güter. Indem die Kommission sich der Verordnung als Instrument bedient, unterstreicht sie zwar die Bedeutung der Angelegenheit, es stellt sich aber die Frage, wie die sodann unmittelbar geltenden Regelungen zur zentralen Anlaufstelle und begrenzten Verfahrensdauer im föderalen deutschen System Anwendung finden sollen.
Rein verfahrensrechtlicher Ansatz greift zu kurz
Darüber hinaus greift die Initiative insofern zu kurz, als dass sie den wesentlichen Treiber langer Planungs- und Genehmigungsverfahren nicht hinreichend adressiert. Diese werden nämlich vor allem durch überaus strenge materielle Anforderungen, insbesondere des Umweltrechts, gehemmt. Allein durch eine Deckelung der Verfahrensdauer werden die vielfältigen materiellen Anforderungen sowie der Untersuchungsaufwand für den Vorhabenträger oder der Prüfungsaufwand für die Behörde nicht verringert. Bei gleichbleibenden materiellen Standards und deutlich verkürzter Verfahrensdauer ist eine Überlastung der Behörden vorprogrammiert. Dies kann zu einer Verdrängung anderer Verfahren führen, deren beschleunigte Bearbeitung z.B. aus Belangen der Wirtschaft oder des Klimaschutzes ebenfalls unerlässlich ist. Die Verstopfung der Genehmigungspipeline in anderen Bereichen wäre die Folge.
Ausnahmen von der UVP-Pflicht
Nur, wenn es gelingt, auch den Mut zu einem Verzicht auf materielle Regelungen zu fassen, kann ein Bürokratieabbau nachhaltig gelingen. Dabei stellt sich die unliebsame Frage, ob der Schutz der Umwelt absolut ist. Wenn man sich vor Augen führt, welchen unsäglichen Schaden Krieg für die Umwelt zwangsläufig mit sich bringt, sei die gewagte These erlaubt, dass auch die Verhinderung von Krieg durch effektive Abschreckung als Teil des Umweltschutzes verstanden werden muss.
Dass auch die Europäische Kommission in diese Richtung denkt, lässt die Mitteilung erkennen, die sie dem „Defence-Omnibus“ vorangestellt hat. Darin stellt sie klar, dass diverse unionsrechtliche Ausnahmetatbestände so auszulegen sind, dass Projekte zur Verteidigungsbereitschaft hierunter fallen. Das soll vor allem für Umweltverträglichkeitsprüfungen gelten. Dass eine Ausnahme von der UVP-Pflicht zu einer signifikanten Beschleunigung beitragen kann, hat unter anderem das LNG-Beschleunigungsgesetz gezeigt. Es ist zu begrüßen, dass dieser Ansatz nun auch für die SVI geöffnet wird, wenngleich wesentliche Fragen offenbleiben.
„alles ist ohne den Frieden nichts“
Willy Brandt stellte 1981 fest, dass Frieden nicht alles, ohne Frieden aber alles nichts sei. Zwar scheint sich in Europa die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass eine starke SVI für die Sicherung des Friedens auf dem Kontinent unabdingbar ist. Mitunter werden die hieraus folgenden Schlüsse aber noch nicht mit letzter Konsequenz gezogen.
Die Einführung einer maximalen Verfahrensdauer reicht angesichts des bestehenden Handlungsdrucks nicht aus. Die wesentlichen Treiber überlanger Verfahren müssen mit einem Blick für pragmatische Lösungen angegangen werden, entweder insgesamt oder über Ausnahmen oder Privilegierungen für Vorhaben der SVI. Es braucht auch im europäischen Recht den Mut zum teilweisen Verzicht auf materielle Vorgaben und Beschränkung von Rechtsbehelfen auf wesentliche Belange. Hierzu machen wir uns in einem weiteren Blogbeitrag Gedanken. Umweltschutz ist richtig und wichtig, dessen langfristige und damit nachhaltige Wirksamkeit hängt aber angesichts der gegenwärtigen Bedrohungslage entscheidend von einer Sicherung des Friedens ab.