24. März 2021
Schutzimpfung Arbeit
Arbeitsrecht

COVID-19-Schutzimpfungen im Betrieb

Deutschland drückt beim Thema Schutzimpfung aufs Tempo. Neben den Hausärzten rücken nun auch die über 12.000 Betriebsärzte in den Fokus.

Betriebsärzte können aufgrund ihrer Nähe zu den Beschäftigten* in den Betrieben einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Impfquoten leisten. Nach § 6 Abs. 3 der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) ist es grundsätzlich möglich, dass Impfungen auch außerhalb der Impfzentren und mobiler Impfteams, etwa durch Betriebsärzte, vorgenommen werden. Dieses Vorgehen hat sich bei der Grippeschutzimpfung in vielen Betrieben bewährt. 

Das BMG will demnächst mit einer Neufassung der CoronaImpfV die Voraussetzungen dafür im Einzelnen schaffen. Viele Unternehmen bereiten bereits ein betriebliches Impfkonzept vor und haben sich zu einer Impfallianz zusammengeschlossen. Aus Unternehmenssicht stellen sich im Zusammenhang mit einem betrieblichen Impfangebot vor allem Fragen zur Haftung des Arbeitgebers, der Priorisierung und Verteilungsgerechtigkeit, der Kostentragung und Abrechenbarkeit sowie der Einbindung der Arbeitnehmervertreter. 

Muss oder kann der Arbeitgeber eine Impfung anbieten?

Zunächst ist zu klären, ob bestimmte Beschäftigtengruppen aufgrund ihrer Tätigkeiten in höherem Maße SARS-CoV-2-Erregern ausgesetzt sein könnten als die Allgemeinbevölkerung. In diesen Fällen kann es sich um eine gefährdende Tätigkeit im Sinne der ArbMedVV handeln, die gemäß § 6 Abs. 2 S. 3 ArbMedVV einen Impfanspruch gegen den Arbeitgeber begründet, wenn dies durch eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellt worden ist. Dabei ist der Betriebsrat einzubinden, dem über § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zusteht. 

In allen anderen Fällen ist das Impfangebot des Arbeitgebers freiwillig. Gleiches gilt nach derzeit überwiegender Auffassung für Arbeitnehmer. Es besteht insoweit keine Impfpflicht, auch wenn die gesetzlichen Grundlagen hierfür in § 20 Abs. 6 S. 1 IfSG bereits bestehen. Diskutiert wird dies derzeit für Pflegepersonal in Altenheimen und medizinischen Einrichtungen sowie für Ärzte, § 23 Abs. 3 IfSG.

Priorisierung und innerbetriebliche Verteilungsgerechtigkeit

Für welche Personengruppen ein Unternehmen betriebliche COVID-19-Impfungen anbieten darf, hängt neben der Verfügbarkeit von Impfstoffen davon ab, ob eine entsprechende Priorität im Sinne der CoronaImpfV vorliegt (höchste, hohe, erhöhte Priorität). 

Ob und wie der Gesetzgeber die Impfreihenfolge für alle anderen Personengruppen regelt, ist derzeit noch offen. Werden keine neuen gesetzlichen Priorisierungen geschaffen, wäre der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Maßstab für die innerbetriebliche Verteilungsgerechtigkeit heranzuziehen. Für eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer – z.B. bei nur begrenzt verfügbarem Impfstoff – bedarf es eines sachlichen Grundes (z.B. Gefährdung durch erhöhte Kontakte). Hier eröffnen sich für die Praxis weitere Gestaltungs- aber auch Konfliktpotentiale, die auch ethische Fragen berühren.

Haftungsrisiken des Arbeitgebers für potentielle Impfschäden können im Vorfeld reduziert werden

Eine vertragliche Haftung aus einem Behandlungsvertrag scheidet aus, wenn der Arbeitgeber nicht Vertragspartei wird. 

Für die betriebliche Grippeschutzimpfung hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil v. 21. Dezember 2017 – 8 AZR 853/16) entschieden, dass ein Behandlungsvertrag in der Regel nicht mit dem Arbeitgeber, sondern mit dem Betriebsarzt selbst zustande kommt. Voraussetzung ist, dass der Betriebsarzt nicht beim Arbeitgeber angestellt ist, der Betriebsarzt im eigenen Namen zur Impfung einlädt und die Impfung in einem öffentlich zugänglichen Bereich des Betriebs stattfindet, in dem der Arbeitgeber üblicherweise keine Behandlungen durchführt (z.B. in der Betriebskantine oder Besprechungsräumen). Soweit der Arbeitgeber den freiberuflichen Betriebsarzt ordnungsgemäß und sorgfältig auswählt, erfüllt der Arbeitgeber zudem die im Arbeitsverhältnis bestehenden Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Darüber hinaus ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die behandelnden Ärzte bei der Durchführung der Impfung zu überwachen, insbesondere nicht hinsichtlich der ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung (BAG, Urteil v. 21. Dezember 2017 – 8 AZR 853/16). Etwaige Aufklärungsfehler des freiberuflichen Betriebsarztes muss sich der Arbeitgeber in diesem Fall nicht zurechnen lassen. 

Diese für die betriebliche Grippeschutzimpfung aufgestellten Grundsätze dürften für eine COVID-19-Schutzimpfung gleichermaßen gelten. Letztlich hängen die vom Arbeitgeber zu erfüllenden Pflichten jedoch auch davon ab, ob eine COVID-19-Schutzimpfung bei einer Abwägung der erzielten Gesundheitsförderung mit den medizinischen Risiken als zuverlässig und für die Gesellschaft als sinnvoll erachtet wird. Dafür spricht die aktuelle ausdrückliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO). Aktuelle Entwicklungen und die Empfehlungen der zuständigen Behörden müssen jedoch weiterhin im Blick behalten und berücksichtigt werden.

Wer trägt die Kosten? 

Derzeit ist die COVID-19-Schutzimpfung für die Bevölkerung kostenlos – unabhängig vom Versicherungsstatus (§ 1 Abs. 1 CoronaImpfV). Der Bund beschafft, verteilt und finanziert alle Impfstoffe, die in Deutschland zum Einsatz kommen. Die Kosten für den Aufbau und die Organisation der Impfzentren tragen die Länder. Die gesetzliche Krankenversicherung und die private Krankenversicherung beteiligen sich an diesen Kosten entsprechend ihres Versichertenanteils (§ 10 CoronaImpfV).

Auch nach den allgemeinen Grundsätzen der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Kosten zu tragen, soweit es sich nicht um eine berufsbedingte Impfung handelt, auf die der Arbeitnehmer einen Anspruch hat. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit einem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt ist (§ 6 Abs. 2 S. 3 ArbMedVV), das durch den Betriebsarzt auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt wurde. Für die Zukunft dürfte dies insbesondere für Beschäftigte in Einrichtungen des Gesundheitswesens in Betracht kommen. Selbst die Anerkennung von COVID-19 als Berufskrankheit ist bereits möglich

In der Regel trägt jedoch die gesetzliche Krankenversicherung des Arbeitnehmers die Kosten für eine Schutzimpfung. COVID-19-Schutzimpfungen zählen zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 20 Abs. 5 IfSG, § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a SGB V i.V.m. der CoronaImpfV). Die einzelnen Voraussetzungen und die Art und der Umfang der Impfungen sind in der Schutzimpfungsrichtlinie festgelegt (§§ 20i Abs. 1 Satz 3, 92 SGB V); die COVID-19-Schutzimpfung ist dort aber noch nicht erwähnt.

Betriebsärzte sind jedoch nicht Teil der vertragsärztlichen Versorgung, sodass sie erbrachte Leistungen nicht über die Krankenkassen abrechnen können. § 132e Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB V legt jedoch fest, dass Krankenkassen auch mit Betriebsärzten Verträge über die Durchführung von Schutzimpfungen abschließen sollen. In diesen Fällen trägt die Krankenkasse auch die Kosten für im Betrieb durchgeführte Impfungen. Ferner ist denkbar, dass in Anlehnung an die Regelung in § 9 CoronaImpfV das BMG noch gesonderte Regelungen zur Vergütung der Betriebsärzte schafft.

Wurde kein Vertrag nach § 132e SGB V mit den Kostenträgern geschlossen, trägt grundsätzlich der Arbeitgeber die Kosten einer betrieblichen COVID-19-Schutzimpfung (§ 3 Abs. 3 ArbSchG). Diese Leistungen kann der Arbeitgeber (als Beitrag zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und zur Förderung der Gesundheit in Betrieben) bis zu einem Wert von EUR 600 pro Arbeitnehmer pro Jahr grundsätzlich lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei gewähren (§ 3 Nr. 34 EStG).

Ist das Impfangebot eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers, hat der Betriebsrat meist kein Mitbestimmungsrecht

Ist ein Betriebsrat vorhanden, muss dieser in der Regel auch beteiligt werden. Der Betriebsrat hat gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Überwachungsrecht hinsichtlich der Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften, zu denen auch die ArbMedVV gehört. Der Betriebsrat ist daher über ein entsprechendes Impfangebot des Arbeitgebers rechtzeitig und umfassend zu unterrichten (§ 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG). 

Bei der Aufstellung eines Impfkonzeptes kommen grundsätzlich auch verschiedene Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in Betracht, deren Anwendungsbereich jeweils aber nicht eröffnet sein dürfte, wenn es sich bei dem betrieblichen Impfangebot um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt und keine verpflichtenden Regelungen eingeführt werden. Damit scheidet beispielsweise ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Fragen der Ordnung und des Verhaltens im Betrieb) regelmäßig aus. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Regelungen zum Gesundheitsschutz) setzt eine gesetzliche Regelung voraus, die durch den Arbeitgeber ausgefüllt werden muss. An einer solchen Regelung fehlt es vorliegend, da der Arbeitgeber zu einer COVID-19-Schutzimpfung gerade nicht verpflichtet ist und etwaige Vorgaben der CoronaImpfV durch den Betriebsarzt, aber nicht durch den Arbeitgeber vollzogen werden. Der Arbeitgeber trifft selbst keine Regelung. Etwas anderes könnte sich nur bei einer eigenen innerbetrieblichen Impfreihenfolge – außerhalb der Priorisierungsgruppen der CoronaImpfV – ergeben.

Eine etwaige Kostenübernahme des Arbeitgebers für eine COVID-19-Schutzimpfung kann als freiwillige Sozialleistung Entgeltcharakter im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG haben. Allerdings ist der Arbeitgeber im Rahmen seiner mitbestimmungsfreien Lohnpolitik frei darin, über den Zweck einer freiwilligen Leistung, den finanziellen Rahmen und den begünstigten Personenkreis zu bestimmen. Ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Verteilungsgrundsätze käme lediglich in Betracht, wenn innerhalb des begünstigten Personenkreises in der Höhe der Leistung differenziert werden würde. Das ist bei Impfungen unwahrscheinlich; es kann nicht über „mehr oder weniger“ Impfung entschieden werden, nur über das Ob hinsichtlich des Personenkreises. Etwas anderes kann gelten, wenn der Arbeitgeber die Teilnahme an der betrieblichen Schutzimpfung durch Prämien oder die Verwendung von Incentivierungen fördern will. Bei der konkreten Ausgestaltung von Impf-Incentives wäre der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen.

Soweit die Impfungen gemäß § 3 Abs. 3 ArbMedVV während der Arbeitszeit stattfinden und insoweit atypische Arbeitsunterbrechungen sind, ist damit keine Veränderung der Lage der Arbeitszeit oder der Pausen verbunden, sodass auch Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (Lage der Arbeitszeit und Pausen) oder § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (Verkürzung und Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit) ausscheiden.

Praktische Empfehlungen 

Arbeitgeber sollten sicherstellen, dass das Impfangebot nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Arbeitgeber selbst Vertragspartner werden möchte. Daher sollte das freiwillige Impfangebot sorgfältig formuliert und ausdrücklich klargestellt werden, dass kein Behandlungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht, sondern nur mit dem Betriebsarzt, der die Impfung durchführt.

Ferner sollte der Arbeitgeber idealerweise nicht selbst zu COVID-19-Impfungen einladen oder Empfehlungen dazu aussprechen, sondern dies vollumfänglich dem Betriebsarzt überlassen. Eine sorgfältige Auswahl des freiberuflichen Betriebsarztes versteht sich von selbst („Facharzt für Arbeitsmedizin“ und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“). Im Falle einer innerbetrieblichen Priorisierung des Impfangebots für unterschiedliche Mitarbeitergruppen ist auf eine sachlich gut begründete Reihenfolge nach objektiven Maßstäben und die Einhaltung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu achten. 

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Betrieb betriebsarzt Betriebsrat Haftung Kosten Mitbestimmung Schutzimpfung