19. April 2022
Versicherungsvermittlung Erlaubnis
Banking & Finance

Benötigen Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung künftig eine Versicherungsvermittlungserlaubnis?

Generalanwalt des EuGH empfiehlt Urteilsspruch, der einen Paradigmenwechsel für den Versicherungsvertrieb über Gruppenversicherungen in Deutschland darstellen würde.

Es ist bislang nicht abschließend geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Versicherungsnehmer* einer Gruppenversicherung (sog. „Gruppenspitze“) ein Versicherungsvermittler im Rechtssinne sein kann – mit der Folge, dass u.U. eine gewerberechtliche Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung erforderlich wäre. Eine ausdrückliche Regelung findet sich im deutschen Recht nicht. 

Versicherungsnehmer einer echten Gruppenversicherung nach bisheriger Ansicht grundsätzlich kein Versicherungsvermittler

Bislang überwiegt in der obergerichtlichen Rechtsprechung und vor allem im Schrifttum aber klar die Auffassung, dass der Versicherungsnehmer einer echten Gruppenversicherung, der den Beitritt in den von ihm geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag gegen Entgelt vertreibt, hierbei nicht als Versicherungsvermittler tätig ist. Diese Tätigkeit bedarf daher weder einer besonderen gewerberechtlichen Erlaubnis noch treffen den Gruppenversicherungsnehmer die Pflichten eines Versicherungsvermittlers, insb. nicht die Beratungspflicht gem. § 61 VVG.

Etwas anderes gilt (nur) dann, wenn durch die Gestaltung der Gruppenversicherung die Vorgaben an die Versicherungsvermittlung umgangen werden sollen. Dabei spielt es insb. eine Rolle, ob zwischen dem Versicherungsnehmer und den versicherten Personen auch über die Gruppenversicherung hinaus eine Rechtsbeziehung besteht, welche die Zusammenfassung der versicherten Personen als Gruppe bestimmt. 

Die derart in die Vertriebspraxis übernommene herrschende Rechtsansicht dürfte auch von dem deutschen Gesetzgeber geteilt werden. Für den Sonderbereich der Restschuldversicherung hat er eigens eine gesetzliche Regelung geschaffen, die den Versicherungsnehmer einer Gruppenrestschuldversicherung zur Information und Beratung der versicherten Personen verpflichtet. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn es sich bei dem Versicherungsnehmer einer echten Gruppenversicherung um einen Versicherungsvermittler handeln würde.

Diese zwar nicht abschließend geklärte, aber sehr gefestigte Rechtslage zur Einordnung des Versicherungsnehmers einer echten Gruppenversicherung könnte sich nun jedoch ändern, sofern der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwaltes vom 24. März 2022 (Az. C-633/20) zu einer vom BGH vorgelegten Vorabentscheidungsfrage folgt.

Generalanwalt beim EuGH: Einordnung der Gruppenspitze als Versicherungsvermittler 

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 (Az. I ZR 8/19) hat der BGH ausgeführt, dass sich die Frage, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen der Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung Versicherungsvermittler sein kann, nicht der Versicherungsvertriebsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2016/97 – sog. Insurance Distribution Directive – IDD) und der bisherigen Rechtsprechung des EuGH entnehmen lasse. Daher hat der BGH dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Unternehmen, das als Versicherungsnehmer eine Auslandsreisekrankenversicherung sowie eine Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung als Gruppenversicherung für seine Kunden bei einem Versicherungsunternehmen unterhält, gegenüber Verbrauchern Mitgliedschaften vertreibt, die zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigen, und von den geworbenen Mitgliedern eine Vergütung für den erworbenen Versicherungsschutz erhält, Versicherungsvermittler i.S.v. Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97?

Der Generalanwalt beim EuGH hat mit Schlussantrag vom 24. März 2022 (Az. C-633/20) dem EuGH vorgeschlagen, die Vorlagefrage des BGH zu bejahen. Eine Entscheidung des EuGH steht noch aus. Es ist jedoch in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle so, dass der EuGH den Empfehlungen des Generalanwalts folgt.

Zuletzt hat der Gerichtshof bereits im Februar 2022 in einem polnischen Vorlageverfahren entschieden, dass ein „als Versicherungsnehmer handelndes Unternehmen“, das einen fondsgebundenen Gruppenlebensversicherungsvertrag abgeschlossen hat, ein „Versicherungsvermittler“ i.S.d. Richtlinie 2002/92/EG ist, weil es gegen Entgelt eine Tätigkeit ausübt, die darin besteht, Verbrauchern anzubieten, dieser Versicherung beizutreten und auf diese Weise einen Lebensversicherungsvertrag mit dem Versicherer abzuschließen, sowie eine Finanzberatung in Bezug auf die Anlage des Kapitals zu erbringen, das durch die Versicherungsprämien gebildet wird (EuGH, Urteil v. 24. Februar 2022 – C-143/20 und C-213/20).

Auswirkungen für Gruppenversicherungsnehmer und für Versicherer

Sollte der EuGH die Vorlagefrage bejahen und den Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrages als Versicherungsvermittler bzw. Versicherungsvertreiber i.S.d. europäischen Richtlinien qualifizieren, so entfaltet diese Entscheidung auch Wirkung für bereits bestehende Gruppenversicherungsverträge. 

Versicherungsnehmer von Gruppenversicherungsverträgen könnten folglich als Versicherungsvermittler i.S.v. § 34d GewO und § 59 VVG gelten. Sie müssten daher überprüfen, ob der Vertrieb von Beitritten zu einer Gruppenversicherung im konkreten Fall der gewerberechtlichen Erlaubnispflicht unterfällt. 

Hierbei ist auch zu beachten, ob sich die Gruppenspitze eventuell auf einen Ausnahmetatbestand berufen oder sich von der Erlaubnispflicht befreien lassen kann. In Betracht kommt für Gruppenversicherungsnehmer mit Sitz in Deutschland insb. die Ausnahme von der Erlaubnispflicht für Nebentätigkeitsvermittler gem. den Ausnahmetatbeständen des § 34d Abs. 8 GewO sowie die Befreiungsmöglichkeit für produktakzessorische Vermittler nach § 34d Abs. 6 GewO. Letztere bedarf eines Antrags bei der örtlich zuständigen Industrie- und Handelskammer.

Sollte kein Ausnahme- oder Befreiungstatbestand greifen und die Versicherungsvermittlung durch die Gruppenspitze somit ohne eine erforderliche Erlaubnis erfolgen, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit Geldbuße bis zu EUR 5.000 bestraft werden kann (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 lit. k i.V.m. Abs. 4 GewO).

Auch für Versicherungsunternehmen besteht das Risiko ordnungswidrigen Verhaltens, sofern diese mit Versicherungsvermittlern ohne Erlaubnis zusammenarbeiten (§ 332 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 VAG). Versicherungsunternehmen sollten daher im Falle einer bejahenden Entscheidung des EuGH unverzüglich prüfen, ob unter diesen Umständen die vertriebliche Zusammenarbeit mit Versicherungsnehmern von Gruppenversicherungsverträgen weiterhin möglich ist oder es struktureller Anpassungen bedarf. 

Sollte sich der EuGH dem Vorschlag des Generalanwalts anschließen, dürfte dies einen tiefgreifenden Einschnitt in die Vertriebsmodelle vieler Versicherer und gerade solcher Vertriebspartner darstellen, die bislang nicht als Versicherungsvermittler tätig waren, zukünftig aber die besonderen Anforderungen an diese regulierte Tätigkeit erfüllen müssen. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Banking & Finance Gruppenversicherung Versicherungsnehmer Versicherungsvermittlung