14. August 2023
Negativzinsen
Banking & Finance

Negativzinsen sind keine Zinsen im Rechtssinne

Negativzinsen, auch „Strafzinsen“ genannt, haben in der vergangenen Niedrigzinsphase eine bis dahin nicht gekannte Aufmerksamkeit erlangt. Seit der Erhöhung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank ist es ruhiger um den Negativzins geworden.

Diese Tendenz dürfte sich nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Mai 2023 (Az. XI ZR 544/21) fortsetzen. Darin hat der XI. Zivilsenat verschiedenen Ansätzen, mit denen bis dato eine Pflicht des Darlehensgebers* zur Zahlung von Negativzinsen begründet wurde, eine Absage erteilt. Gegenstand der Entscheidung war die Zinsforderung des Darlehensnehmers eines Schuldscheindarlehens gegenüber dem Darlehensgeber. Der Bundesgerichtshof stellt in der Entscheidung aber auch ganz grundsätzliche Überlegungen zum Negativzins an.

Der Begriff der Negativzinsen

Weder der Terminus des Zinses noch der des Negativzinses ist im Gesetz definiert. Der Zinsbegriff wird dem hingegen vielmehr vorausgesetzt. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist § 488 Abs. 1 BGB. Als Gegenleistung zur Darlehensgewährung durch den Darlehensgeber ist der Darlehensnehmer verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen.

Von einem Negativzins wird gesprochen, wenn der variable Vertragszinssatz rechnerisch auf einen negativen Wert sinkt und sich damit die Zahlungsströme umkehren. In einem solchen Fall stellt sich Frage, ob der Darlehensgeber (im Regelfall die Bank) gegenüber dem Darlehensnehmer zahlungspflichtig wird. 

Negativzinsen sind keine Zinsen im Rechtssinne

Der Bundesgerichtshof führt zum Begriff des Zinses im Rechtssinne aus, dass diesem eine definitorische Untergrenze bei 0 % immanent sei, bei deren Erreichen die Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers entfällt. Negativzinsen seien mit dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 S. 2 BGB nicht vereinbar, da sie zu einer Umkehrung des Zahlungsstroms führen.

Schuldscheindarlehen begründen keinen abweichenden Zinsbegriff

Allein der Umstand, dass ein Schuldscheindarlehen abgeschlossen wurde, führt bei Unterschreitung der 0 % Grenze jedoch nicht dazu, dass der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer Negativzinsen schuldet.

Schuldscheindarlehen weisen wirtschaftliche Parallelen zu Anleiheemissionen auf, rechtlich handelt es sich aber nicht um eine Schuldverschreibung nach §§ 793  ff. BGB, sondern um Darlehen im Sinne von § 488 BGB. Aus der Ausstellung von Schuldscheinen kann nicht auf den Parteiwillen geschlossen werden, ein von dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 S. 2 BGB abweichendes Pflichtenprogramm zu vereinbaren. 

Die Vereinbarung eines 3-Monats-EURIBOR-Zinssatzes mit einer Zinsobergrenze führt nicht zu einer Verpflichtung zur Zahlung von Negativzinsen

Der Bundesgerichtshof stellt auch klar, dass die Vereinbarung eines variablen Zinssatzes, wie etwa eines 3-Monats-EURIBOR-Zinssatzes bei gleichzeitiger Bestimmung einer Zinsobergrenze nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer Negativzinsen schulden soll. Mit der Bestimmung eines variablen Zinssatzes und einer Zinsobergrenze wird die Höhe des Zinses geregelt, den der Darlehensnehmer nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB als Gegenleistung für die Überlassung der Darlehensvaluta an den Darlehensgeber zahlen muss. Mit der Zinsobergrenze schließt der Darlehensnehmer lediglich das Risiko aus, dass der variable Zins während der Vertragslaufzeit diese Grenze übersteigt (BGH, Urteil v. 5. Juni 2018 – Az. XI ZR 790/16).

Negativzinsen können vereinbart werden

Dass es sich bei Negativzinsen nicht um Zinsen im Rechtssinne handelt, hindert die Parteien eines Darlehensvertrags nicht daran, Negativzinsen zu vereinbaren. Es steht ihnen offen, im Rahmen ihrer Dispositionsfreiheit einen variablen Vertragszinssatz zu bestimmen, der bei Unterschreiten eines Wertes von 0 % zu einer Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers gegenüber dem Darlehensgeber führt.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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