Stellungnahme des BGH zu wesentlichen Auslegungsfragen im Zusammenhang mit Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Kfz-Bereich.
Gerade aufgrund des Dieselskandals und im Nachgang zur Corona-Pandemie haben viele Verbraucher* versucht, sich ihres kreditfinanzierten Fahrzeugs durch einen Widerruf zu entledigen. In diesem Zusammenhang wird von einem regelrechten „Widerrufsjoker“ gesprochen.
Dem hat der BGH mit Urteil vom 27. Februar 2024 (XI ZR 258/22) nunmehr für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG (im Folgenden: Verbraucherkreditrichtlinie) eine Absage erteilt. Er entschied, dass die klagende Darlehensnehmerin den zur Finanzierung eines Kfz-Erwerbs geschlossenen Darlehensvertrag nicht wirksam widerrufen habe, weil die beklagte Bank eine ordnungsgemäße Widerrufsinformation und die erforderlichen Pflichtangaben beanstandungsfrei erteilt habe.
EuGH führt zum sachlichen Anwendungsbereich der Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie (2002/65/EG) sowie der Verbraucherrechterichtlinie aus
Dem Ganzen vorausgegangen waren drei Vorabscheidungsersuchen, eingereicht vom LG Ravensburg im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und der BMW Bank GmbH, der C. Bank AG, der Volkswagen Bank GmbH und der Audi Bank über die Ausübung des Widerrufsrechts.
Im Ergebnis ist der EuGH in seiner Entscheidung vom 21. Dezember 2023 (C-38/21, C-47/21 und C-232/21)überwiegend den Schlussanträgen des Generalanwalts Collins gefolgt und hat – abgesehen von den für diese BGH-Entscheidung besonders relevanten Ausführungen zu Art. 10 Abs. 2 lit. p, t und r der Verbraucherkreditrichtlinie – sogleich wesentliche Aspekte zum sachlichen Anwendungsbereich der Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie (2002/65/EG) sowie der Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) im Zusammenhang mit privaten Kilometerleasingverträgen ohne Erwerbsverpflichtung klargestellt.
BGH sieht bei Kfz-Darlehensverträgen umfassende Informations- und Belehrungspflichten auf Seiten des Darlehensgebers
Der BGH ist dem Auslegungsverständnis des EuGH in weiten Teilen gefolgt.
Im Zusammenhang mit den Auswirkungen der mangels Angabe des konkreten Prozentsatzes unvollständigen Informationen zum Verzugszinssatz hat der BGH seine Rechtsprechung aufgegeben. Dem Auslegungsverständnis des EuGH folgend, beginne die Widerrufsfrist im Falle einer unvollständigen oder fehlerhaften Information zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet sei, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre. Dies hat der Senat hier bejaht, weil ein Verbraucher den Vertrag auch abgeschlossen hätte, wenn ihm bei Vertragsschluss die korrekten Verzugszinssatzangaben mitgeteilt worden wären.
Trotz ähnlicher Argumentation des EuGH, wonach die Berechnungsweise der Vorfälligkeitsentschädigung in konkreter und für einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher leicht verständlicher Weise angegeben werden müsse und der Bestätigung des BGH, dass die hier konkret erteilten Angaben diese Anforderungen erfüllen, hält er hier an seiner Rechtsprechung fest. Die gegen § 502 Abs. 1 BGB verstoßende und damit nichtige (§ 134 BGB) Klausel zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung schließe nur den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung nach § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB aus, ohne das Anlaufen der Widerrufsfrist zu berühren.
Statt wie bislang eines Verweises im Kreditvertrag auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung genügen zu lassen, müsse der Verbraucher künftig über alle ihm seitens des Darlehensgebers zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die mit ihnen jeweils verbundenen Kosten informiert werden; ferner müsse er im Kreditvertrag darüber belehrt werden, ob die Beschwerde oder der Rechtsbehelf auf Papier oder elektronisch einzureichen sei, des Weiteren über die physische oder elektronische Adresse, an die die Beschwerde oder der Rechtsbehelf zu senden sei, und schließlich über die sonstigen formalen Voraussetzungen, denen die Beschwerde oder der Rechtsbehelf unterliege. Vorliegend hat die beklagte Bank diese Informationen bereits erteilt, wobei eine Kostenangabe entbehrlich war, weil das Schlichtungsverfahren beim Ombudsmann der privaten Banken für Verbraucher kostenfrei ist.
(Unzureichender) Status Quo in Deutschland
Allerdings sah sich der BGH hinsichtlich der in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB verankerten Gesetzlichkeitsfiktion durch die nationale Rechtslage an der Übernahme der EuGH-Rechtsprechung gehindert. Gleiches gilt für das Leistungsverweigerungsrechts nach § 358 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. i.V.m. § 357 Abs. 4 S. 1 BGB.
Obwohl die in dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB in der vom 21. März 2016 bis zum 14. Juni 2021 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) verwendete Kaskadenverweisung („alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“) nicht klar und verständlich sei und damit der vom EuGH vorgenommenen Auslegung von Art. 10 Abs. 2 lit. p der Verbraucherkreditrichtlinie widerspreche, könne sich die beklagte Bank auf die Gesetzlichkeitsfiktion in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB berufen. Der BGH sieht sich durch das Rechtstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) daran gehindert, der Richtlinienwidrigkeit der Gesetzlichkeitsfiktion Geltung zu verschaffen; zumal eine weniger einschneidende richtlinienkonforme Auslegung an der Wortlautgrenze scheitere.
Schließlich hat der BGH seine bisherige Rechtsauffassung bestätigt, dass dem Darlehensgeber ein Leistungsverweigerungsrecht bis zur Rückgabe des finanzierten Gegenstandes zusteht und dieses Leistungsverweigerungsrecht nicht dadurch entfällt, dass der Darlehensnehmer den Gegenstand an einen Dritten veräußert.
Kreditinstitute sollten bei Kfz-Darlehensverträgen die Klauseln über außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren prüfen
Auch wenn der BGH hier insgesamt auf Seiten der Kreditinstitute stand, sollte die Praxis künftig nicht auf die Angabe konkreter Prozentsätze verzichten. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass in einem anders gelagerten Sachverhalt eine Irreführung des Verbrauchers infolge unvollständiger oder fehlerhafter Informationen in Betracht kommen kann.
Ein Tätigwerden ist zudem für diejenigen Kreditinstitute erforderlich, deren Verträge noch die reduzierten Informationen zum außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren enthalten. Es empfiehlt sich daher eine schnellstmögliche Anpassung, um eine verlängerte Widerrufsfrist zu vermeiden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.