Der Darlehensnehmer hat im Falle der vorzeitigen Rückzahlung eines Darlehens üblicherweise eine Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen. Wie sich negative Wiederanlagezinsen auf die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auswirken, zeigt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. März 2024 (Az. XI ZR 159/23).
Für Darlehen mit einem gebundenen Sollzinssatz, die durch ein Grund- oder Schiffspfandrecht gesichert sind, ist die Vorfälligkeitsentschädigung in § 490 Abs. 2 S. 3 BGB legaldefiniert. Danach kompensiert sie den Schaden, der dem Darlehensgeber aus der vorzeitigen Kündigung des Darlehensvertrags entsteht.
Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung
Die Vorschrift des § 502 BGB regelt die Vorfälligkeitsentschädigung speziell für Verbraucherdarlehensverträge. Nach § 502 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Darlehensgeber im Fall der vorzeitigen Rückzahlung eines Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrags eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden verlangen, wenn der Darlehensnehmer zum Zeitpunkt der Rückzahlung Zinsen zu einem gebundenen Sollzinssatz schuldet. Handelt es sich dagegen um einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag ist nach § 502 Abs. 1 S. 2 BGB weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung, dass der gebundene Sollzinssatz bereits bei Vertragsschluss festgelegt wurde.
Ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung kann sich aber auch aus Vertrag ergeben. Das gilt etwa dann, wenn Darlehensnehmer und Darlehensgeber in einem Aufhebungsvertrag regeln, dass ein fest verzinsliches Darlehen vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Laufzeit von dem Darlehensnehmer getilgt werden kann (BGH, Urteil v. 6. Mai 2003 – Az. XI ZR 226/02).
Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung
Wie die Vorfälligkeitsentschädigung konkret zu berechnen ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Bundesgerichtshof hat im Laufe der Zeit aber Berechnungsgrundsätze entwickelt.
Danach kann eine Bank den Schaden, der ihr durch die Nichtabnahme oder durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entsteht, sowohl nach der Aktiv-Aktiv-Methode als auch nach der Aktiv-Passiv-Methode berechnen. Bei der Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode ergibt sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers aus der Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei Abnahme des Darlehens tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der freigewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Nichtabnahmeentschädigung abzuzinsen (BGH, Urteil v. 1. Juli 1997 – Az. XI ZR 197/96, Urteil v. 7. November 2000 – Az. XI ZR 27/00; Urteil v. 30. November 2004 – Az. XI ZR 285/03; Urteil vom 20. Februar 2018 – Az. XI ZR 455/17).
Die Aktiv-Aktiv-Berechnungsmethode stellt dagegen auf eine hypothetische Neuausreichung der vorzeitig zurückgezahlten Darlehensvaluta als neues Darlehen ab. Dabei wird davon ausgegangen, dass die vorzeitig zurückgezahlte Darlehensvaluta bis zum Ende der rechtlich relevanten Zinsbindungsfrist als festverzinsliches Hypothekendarlehen neu ausgereicht wird. Anders als bei der Aktiv-Passiv-Methode werden der Berechnung nicht Renditen aus sicheren Kapitalmarkttiteln wie Hypothekenpfandbriefen zu Grunde gelegt, sondern Zinssätze für entsprechende festverzinsliche und grundschuldgesicherte Neudarlehen. Da es einer Bank jedoch häufig nicht möglich ist, die im Rahmen einer vorzeitigen Darlehensablösung frei gewordenen Mittel laufzeitkongruent in gleichartige Darlehen anzulegen, ist die Aktiv-Aktiv-Berechnungsmethode in der Praxis weniger verbreitet.
Vorfälligkeitsentschädigung in negativem Zinsumfeld
Nachdem der Wiederanlagezins für Pfandbriefe in der vergangenen Niedrigzinsphase einen Negativzins aufwies, hatte sich der Bundesgerichthof mit der Frage zu befassen, ob im Rahmen der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach der Aktiv-Passiv-Methode ein solcher negativer Wiederanlagezins zu berücksichtigen ist. Diese Frage hat der 11. Zivilsenat mit Urteil vom 12. März 2024 (Az. XI ZR 159/23) bejaht.
In dem Fall ging es um einen Immobiliar-Darlehensvertrag aus dem Jahr 2009. Der Darlehensnehmer zahlte das Darlehen auf seinen Wunsch vorzeitig zurück. Hierfür zahlte er im Jahr 2021 eine Vorfälligkeitsentschädigung, die von der Bank auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt negativen Zinssätze für Hypothekenpfandbriefe berechnet wurde.
Der Senat bestätigt das Recht des Darlehensgebers, für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auch in einem negativen Zinsumfeld zwischen der Aktiv-Passiv-Methode und der Aktiv-Aktiv-Methode wählen zu dürfen. Dem Argument, dass die nach der Aktiv-Passiv-Methode vorgesehene fiktive Annahme einer Wiederanlage der vorzeitig zurückgezahlten Beträge in Hypothekenpfandbriefe im Falle negativer Hypothekenpfandbriefrenditen dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot widerspreche, hält der Bundesgerichtshof entgegen, dass der Darlehensgeber bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage des vorzeitig zurückgeführten Darlehensbetrag in Hypothekenpfandbriefe einen Schaden erleide. Dieser Schaden sei bei der Bemessung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen. Der Darlehensgeber sei durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung im wirtschaftlichen Ergebnis so zu stellen, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Einen tatsächlichen Schaden müsse der Darlehensgeber nicht erlitten haben, da die Schadensberechnung nach der Aktiv-Passiv-Methode auf eine fiktive Wiederanlage abstellt. Die damit einhergehende fiktive Schadensermittlung sei den Besonderheiten des Geschäftsbetriebs von darlehensgebenden Banken geschuldet und verhindere, dass der materielle Ersatzanspruch durch praktisch nicht erfüllbare Beweisanforderungen seine Wirkung verliert.
Fortgeltung der Berechnungsgrundsätze
Der Bundesgerichthof hat sich zum wiederholten Male mit Negativzinsen befasst. Während der 11. Zivilsenat den Begriff der Negativzinsen mit dem Urteil vom 9. Mai 2023 (Az. XI ZR 544/21) dogmatisch einordnete, befasste er sich in dem Urteil vom 12. März 2024 (Az. XI ZR 159/23) mit den praktischen Folgen der vergangenen Niedrigzinsperiode. Dass es sich bei Negativzinsen nicht um Zinsen im Rechtssinne handelt, lässt nicht den Schluss zu, einen negativen Wiederanlagezins nicht als Berechnungsgrundlage für eine Vorfälligkeitsentschädigung des Darlehensgebers nutzen zu dürfen. Vielmehr gelten die von dem Bundesgerichtshof für die Berechnung von Vorfälligkeitsentschädigungen entwickelten Grundsätze auch im Hinblick auf Negativzinsen fort.