Das Widerrufsrecht wird bei vollständiger Erfüllung des Darlehensvertrags nach aktueller Rechtsprechung von EuGH und BGH obsolet.
Die Thematik des Widerrufsrechts bei Verbraucherkreditverträgen hat inzwischen in der europäischen und nationalen Rechtsprechung eine regelrechte Flut an Entscheidungen zutage gefördert. Eine entscheidende Wende in der Betrachtung des Widerrufsrechts brachte das Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2023 (Rechtssache C-38/21, C-47/21 und C-232/21) in den Fällen gegen die BMW Bank u.a. Dieses Urteil hat weitreichende Implikationen für Darlehensnehmer* und -geber innerhalb der Europäischen Union geschaffen.
Grundsätzlich besteht bei Verbraucherkreditverträge ein Widerrufsrecht
Gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge steht Verbrauchern grundsätzlich das Recht zu, innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsabschluss den Kreditvertrag ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Dieses Widerrufsrecht soll Verbrauchern die Möglichkeit geben, die finanziellen Verpflichtungen eines Kreditvertrags zu überdenken und gegebenenfalls ohne Sanktionen von diesem zurückzutreten.
In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass dieses Widerrufsrecht häufig missbraucht wird und es bei seiner Anwendung zahlreiche komplexe Fragestellungen gibt, insbesondere im Zusammenhang mit der vollständigen Erfüllung des Darlehensvertrags.
Die Rolle des Widerrufsrechts bei vollständiger Erfüllung
Eine zentrale Frage, die sich in der Praxis häufig stellt, ist, ob ein Darlehensnehmer auch nach der vollständigen Erfüllung des Darlehensvertrags, d.h. nach Rückzahlung aller geschuldeten Beträge, noch ein Widerrufsrecht hat.
In den dem Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegenden Verfahren hatten mehrere Darlehensnehmer ihre Verträge mit ihrer Bank widerrufen, nachdem sie diese bereits vollständig erfüllt hatten. Die Bank lehnte den Widerruf ab und argumentierte, dass nach der vollständigen Erfüllung des Vertrags kein Widerrufsrecht mehr bestehe. Die Darlehensnehmer beriefen sich jedoch darauf, dass die Widerrufsbelehrungen fehlerhaft gewesen seien, und forderten die Rückabwicklung des Vertrags und eine Rückerstattung der gezahlten Beträge.
EuGH: Zweck des Widerrufsrechts wird bei vollständiger Erfüllung des Darlehensvertrags obsolet
In seinem Urteil stellte der EuGH klar, dass das Widerrufsrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG nach der vollständigen Erfüllung des Darlehensvertrags nicht mehr ausgeübt werden kann. Der EuGH stellte fest, dass der Zweck des Widerrufsrechts, dem Verbraucher eine nachträgliche Überprüfung seiner Entscheidung zu ermöglichen, mit der vollständigen Erfüllung des Darlehensvertrags obsolet wird. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Darlehensnehmer seine vertraglichen Verpflichtungen vollständig erfüllt hat, besteht für ihn keine Notwendigkeit mehr, den Vertrag zu widerrufen, da er bereits alle Zahlungen geleistet hat und somit die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers entfallen ist.
Diese Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, der ebenfalls klargestellt hat, dass nach der vollständigen Erfüllung eines Darlehensvertrags kein Widerrufsrecht mehr besteht. Der BGH führte aus, dass mit der Erfüllung des Vertrags alle Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis erledigt sind und der Vertrag damit „abgewickelt“ ist. Ein Widerruf sei daher weder möglich noch sinnvoll, da das Widerrufsrecht darauf abzielt, den Vertrag rückabzuwickeln und den Verbraucher in die Lage zu versetzen, die vertraglich erbrachten Leistungen zurückzufordern.
Widerrufsbelehrungen sollten weiterhin klar, vollständig und gesetzeskonform verfasst werden
Die Entscheidungen schaffen erneut Klarheit über den Umfang des Widerrufsrechts und beenden die Unsicherheit darüber, ob und in welchem Umfang ein Darlehensnehmer nach vollständiger Erfüllung des Vertrags noch Rechte geltend machen kann.
Banken und andere Kreditinstitute müssen daher sicherstellen, dass die Widerrufsbelehrungen klar, vollständig und gesetzeskonform sind, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Insbesondere müssen sie darauf achten, dass alle erforderlichen Pflichtangaben gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 2008/48/EG enthalten sind, um die ordnungsgemäße Belehrung des Verbrauchers sicherzustellen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.