12. März 2024
Umstandsmeldung
Versicherungsrecht

D&O-Versicherung: Was ist nochmal eine „Umstandsmeldung“?

Was eine D&O-Versicherung ist, weiß ich. Aber was ist eine „Umstandsmeldung“? Wie funktioniert sie? Ist ihre Abgabe verpflichtend? Und wann macht sie Sinn? 

EUR 90 Mio. zahlten D&O-Versicherer in der Kirch-Affäre. Und im Zusammenhang mit der aktuellen Wirecard-Affäre leisteten D&O-Versicherer laut Medienberichten bereits Zahlungen in Höhe von knapp EUR 15 Mio. – allein für die rechtliche Beratung der ehemaligen Wirecard-Manager.

Es sind nicht zuletzt diese prominenten Beispiele, die veranschaulichen, welche Bedeutung D&O-Versicherungen für den Haftpflichtschutz von Unternehmensorganen haben und welch wichtige Rolle sie im Zusammenhang mit der Aufarbeitung und Abwicklung hochvolumiger Schadenfälle spielen können. Vor diesem Hintergrund ist es auch keine Überraschung, dass mittlerweile 95% der deutschen Aktiengesellschaften mit D&O-Versicherungen ausgestattet sein sollen, die ihren Geschäftsleitern* und Aufsichtsorganen Versicherungsschutz sowohl gegen Inanspruchnahmen Dritter als auch – im Falle der Organhaftung – gegen Haftpflichtansprüche des eigenen Unternehmens bieten.   

Doch auch wenn die D&O-Versicherung aus dem Versicherungsportfolio vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken ist, stellen sich in der Praxis oft Fragen zu den Besonderheiten, die eine D&O-Versicherung (insbesondere im Vergleich zu anderen „gängigen“ Versicherungsprodukten) auszeichnet.  

Eine dieser Besonderheiten ist die sog. Umstandsmeldung

Wie funktioniert eine Umstandsmeldung?

Um zu verstehen, was eine Umstandsmeldung ist bzw. wie sie funktioniert, muss man kurz auf das allen marktüblichen D&O-Versicherungen zugrunde liegende Versicherungsfallprinzip eingehen: Das „Claims-made-Prinzip“ (z.T. auch „Anspruchserhebungsprinzip“ genannt). Danach tritt der Versicherungsfall nicht bereits in dem Zeitpunkt ein, in dem eine unter der D&O-Versicherung versicherte Person (z.B. ein Vorstandsmitglied) einen zu einer Schadenersatzpflicht führenden Fehler begeht, sondern grundsätzlich erst dann, wenn diese versicherte Person wegen dieses Fehlers in Anspruch genommen wird. 

Durch eine Umstandsmeldung wird das Claims-made-Prinzip modifiziert bzw. erweitert. 

Mit einer Umstandsmeldung können dem D&O-Versicherer Sachverhalte bzw. Umstände gemeldet werden, die (zu einem späteren Zeitpunkt) zu einer Inanspruchnahme einer unter der D&O-Versicherung versicherten Person führen können. Anders gesprochen: Man meldet einen bereits identifizierten – tatsächlichen oder vermeintlichen – Fehler einer versicherten Person, ohne dass diese versicherte Person sich bereits dem Haftpflichtanspruch eines Dritten oder (im Falle der Organhaftung) des Unternehmens selbst ausgesetzt sieht – bzw. ohne dass bereits der Versicherungsfall eingetreten ist. 

Welchen Effekt hat eine Umstandsmeldung?

Eine Umstandsmeldung hat den Effekt, dass alle später auf den gemeldeten Umständen beruhenden versicherten Ereignisse (insbesondere die Inanspruchnahme einer versicherten Person) als in derjenigen Versicherungsperiode eingetreten gelten, innerhalb derer die Umstandsmeldung abgegeben wurde. Es erfolgt somit eine zeitliche Vorverlagerung des Versicherungsfalls, der – normalerweise (wegen des claims-made-Prinzips) – erst in dem Zeitpunkt eintritt, in dem eine versicherte Person auch tatsächlich in Anspruch genommen wurde. 

Wichtig: Durch die Umstandsmeldung allein tritt noch kein Versicherungsfall ein. Unterbleibt nach der Umstandsmeldung die spätere Inanspruchnahme der versicherten Person, passiert – in versicherungstechnischer Hinsicht – nichts.

Zu beachten ist zudem, dass manche D&O-Policen den Effekt einer Umstandsmeldung einschränken und die Rückwirkungsfiktion nur für solche Umstandsmeldungen gelten lassen, denen innerhalb einer bestimmten Frist der Eintritt eines Versicherungsfalls bzw. die Inanspruchnahme einer versicherten Person folgt. Entsprechende Klauseln in den Versicherungsbedingungen nennt man auch „sunset clauses“. 

Fehlt es jedoch an einer solchen „sunset clause“, folgt aus der Abgabe einer Umstandsmeldung eine Art „Ewigkeitshaftung“ für den Versicherer. Denn auch wenn die sich auf die Umstandsmeldung beziehende Inanspruchnahme einer versichertenerst erst Jahre später – oder sogar erst nach Beendigung des D&O-Versicherungsvertrages – erfolgt, ist diese Inanspruchnahme zu den Versicherungsbedingungen versichert, die im Zeitpunkt der Umstandsmeldung galten (dazu sogleich ausführlich). 

Ist die Abgabe einer Umstandsmeldung verpflichtend?

Die Abgabe einer Umstandsmeldung stellt keine Obliegenheit, sondern ein Recht dar, das ausgeübt werden kann – aber nicht muss

Anders verhält es sich, wenn eine versicherte Person später tatsächlich in Anspruch genommen wird. Dann sehen die meisten Versicherungsbedingungen vor, dass diese Inanspruchnahme dem Versicherer im Rahmen einer Schadenmeldung – oft innerhalb einer bestimmten Frist – angezeigt werden muss.

Wer darf eine Umstandsmeldung abgeben?

Um zu klären, wer eine Umstandsmeldung abgeben darf, empfiehlt sich ein Blick in die einer D&O-Police zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen. Zum Teil steht das Recht zur Umstandsmeldung nur den versicherten Personen zu; oftmals können jedoch auch die Versicherungsnehmerin und die mitversicherten Personen eine Umstandsmeldung abgeben.

Wann kann die Abgabe einer Umstandsmeldung sinnvoll sein?

Aufgrund des für D&O-Versicherungen geltenden claims-made-Prinzips (s.o.) besteht für versicherte Personen grds. ein Risiko, dass sie – wenn sie für Pflichtverletzungen, die sie zwar während des laufenden Versicherungsvertrags begangen haben, aber dafür erst nach Ende des D&O-Versicherungsvertrags (bzw. nach Ablauf einer sog. Nachmeldefrist) in Anspruch genommen werden – keinen Versicherungsschutz haben, da der Versicherungsfall dann erst nach Ende des D&O-Versicherungsvertrags (nämlich mit der Inanspruchnahme) eingetreten ist. Über die Abgabe einer Umstandsmeldung während des noch laufenden D&O-Versicherungsvertrags (bzw. während der noch laufenden Nachmeldefrist) kann diesem Risiko vorgebeugt werden, da in diesem Fall – wie bereits erwähnt – der Versicherungsfall zum Zeitpunkt der Abgabe der Umstandsmeldung als eingetreten gilt. 

Eine Umstandsmeldung kann zudem auch dazu genutzt werden, um die Konditionen (inkl. der zur Verfügung stehenden Versicherungssumme) der Versicherungsperiode, innerhalb derer die möglicherweise zu einer Haftung versicherter Personen führenden Umstände bekannt werden, zu sichern (oder zu „reservieren“). Denn der sich auf die Umstandsmeldung stützende Versicherungsfall wird später nach denjenigen Konditionen reguliert, die dem D&O-Versicherungsvertrag im Zeitpunkt der Umstandsmeldung zugrunde lagen. 

Außerdem kann eine zeitliche Vorverlagerung des Versicherungsfalls sinnvoll sein, wenn zu befürchten steht, dass die für eine Versicherungsperiode zur Verfügung stehende Versicherungssumme nicht ausreicht, um sämtliche potentiellen Schadensersatzansprüche gegen eine oder mehrere versicherte Person(en) betragsmäßig abzudecken. Über eine bzw. mehrere Umstandsmeldungen lassen sich verschiedene Sachverhalte, aus denen ggf. eine Inanspruchnahme versicherter Personen resultieren könnte, „abschichten“ und auf verschiedene Versicherungsperiode verteilen, so dass für jeden einzelnen gemeldeten Sachverhalt bzw. die darauf basierende spätere Inanspruchnahme einer versicherten Person jeweils eine gesonderte Versicherungssumme zur Verfügung steht.

Welche inhaltlichen Anforderungen werden an eine Umstandsmeldung gestellt?

Da die Umstandsmeldung einen denkbaren künftigen Versicherungsfall (fiktiv) in die Versicherungsperiode der Umstandsmeldung zurückverlagern soll, muss der Versicherer später erkennen können, dass ein Versicherungsfall an eine frühere Umstandsmeldung anknüpft. Deshalb müssen die Angaben in einer Umstandsmeldung so konkret sein, dass ein etwaiger künftiger Versicherungsfall individualisierbar erscheint. 

Welche Angaben im Einzelnen in einer Umstandsmeldung enthalten sein müssen, ist oft in den Versicherungsbedingungen vorgegeben. Danach sind regelmäßig die versicherte Person sowie die wesentlichen Grundinformationen zu deren (vermeintlich) haftungsrelevanten Fehlverhalten mitzuteilen, d.h. Ort, Zeit und Erläuterung der Begleitumstände. Eine betragsmäßige Bezifferung (potentieller) Schäden ist jedoch nicht erforderlich. 

Wie geht es nach einer Umstandsmeldung weiter?

Die klassische Juristenantwort: Es kommt darauf an – und zwar darauf, wie der jeweilige D&O-Versicherer den Umgang mit Umstandsmeldungen handhabt. 

Einige D&O-Versicherer teilen nach Eingang der Umstandsmeldung eine Schadennummer mit und legen Sache anschließend „zu den Akten“. In diesem Fall hört man für einen sehr langen Zeitraum erst einmal gar nichts vom D&O-Versicherer.

In anderen Fällen gehen D&O-Versicherer „aktiver“ mit Umstandsmeldungen um und fordern die von der Umstandsmeldung betroffenen versicherten Personen z.B. zur Abgabe einer Stellungnahme auf oder bitten um Übersendung zusätzlicher Informationen und Unterlagen – auch wenn der Versicherungsfall (die Inanspruchnahme der versicherten Person noch gar nicht eingetreten ist). 

Fazit: Umstandsmeldungen als strategische Option für die frühzeitige „Reservierung“ von Versicherungsbedingungen 

Umstandsmeldungen sind ein wichtiges Tool, um einen möglichen Versicherungsfall frühzeitig – nämlich zu einem Zeitpunkt, zu dem die Inanspruchnahme einer versicherten Person zwar möglich erscheint, aber keineswegs sicher sein muss – einer bestimmten Versicherungsperiode zuzuordnen. Auf diese Weise lässt sich – bildlich gesprochen – frühzeitig „ein Pflock einschlagen“, um festzulegen, nach welchen Bedingungen die spätere Inanspruchnahme einer versicherten Person reguliert wird und welche Versicherungssumme (vorbehaltlich anderer Versicherungsfälle) diesbezüglich zur Verfügung steht. 

Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang (Stichwort: „Abschichten“) die Abgabe einer Umstandsmeldung sinnvoll ist, hängt allerdings immer von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab und sollte mit Hilfe anwaltlicher Beratung geklärt werden.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Banking & Finance D&O-Versicherung Umstandsmeldung