2. August 2022
digitaler Euro
Banking & Finance

Der digitale Euro – eine erste Bestandsaufnahme

EZB und die Zentralbanken des Eurosystems bringen sich in Stellung für die Einführung von digitalem Zentralbankgeld.

Die Digitalisierung von Zahlungsvorgängen schreitet immer weiter voran. Daher beschäftigen sich auch die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken im Eurosystem, wie z.B. die Deutsche Bundesbank, (zusammen „Zentralbanken“) intensiv mit der Anpassung des Zentralbankgeldes an das digitale Zeitalter. In der Eurozone soll dies der digitale Euro sein. 

Wieso brauchen wir überhaupt einen digitalen Euro? 

Aus Sicht der Zentralbanken spielen für die Frage, wieso es überhaupt eines digitalen Euros bedarf, zwei Aspekte eine entscheidende Rolle: 

Erstens müsse die Rolle von Zentralbankgeld als Anker des Zahlungssystems bewahrt werden, damit die verschiedenen Formen des Geldes, d.h. Zentralbankgeld und private Geldformen wie Bankeinlagen, Kreditkarten und elektronische Bezahllösungen, weiterhin problemlos nebeneinander bestehen, ineinander umgetauscht werden und einander ergänzen können. Dies umso mehr, da die Nutzung von Bargeld für die Abwicklung von Zahlungsvorgängen kontinuierlich abnimmt.

Zweitens würde ein digitaler Euro als europäische Zahlungslösung zur strategischen Autonomie und wirtschaftlichen Effizienz Europas beitragen. Damit möchte man sich zugleich unabhängig von privaten Anbietern wie z.B. Meta machen, die mit Libra einen ersten – wenngleich gescheiterten – Versuch zur Einführung einer digitalen Währung unternommen haben, ebenso von anderen Nationen, die an digitalen Lösungen arbeiten. So haben beispielsweise Nigeria und die Bahamas bereits digitales Zentralbankgeld eingeführt. Auch China befindet sich mit dem E-Yuan schon in einer umfassenden Testphase. 

Fit für den Zahlungsverkehr der Zukunft

Mit einem digitalen Euro sollen die Menschen in Europa Zentralbankgeld überall im Euroraum für digitale Zahlungen nutzen können, genauso, wie sie heute ihre Einkäufe in Geschäften mit Bargeld bezahlen können. 

Um eine größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen, soll der digitale Euro aus Sicht der Zentralbanken sicher, kostengünstig und wertstabil sein sowie zugleich Defizite im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr verringern. Dazu soll der digitale Euro auch gesetzliches Zahlungsmittel werden, wobei diese Entscheidung dem (europäischen) Gesetzgeber obliegt. Damit wird klar, dass der digitale Euro nicht lediglich für den Interbanken-Zahlungsverkehr vorgesehen ist, sondern auch als digitales Zahlungsmittel für jedermann. 

Der digitale Euro könnte zudem allen Bevölkerungsgruppen einen einfachen und bequemen Zugang zu einem digitalen Zahlungsmittel bieten, auch solchen, die bisher nur einen beschränkten Zugang zu digitalen Bezahlmethoden haben. Eine Offline-Funktionalität wäre aus Sicht der Zentralbanken ebenfalls sinnvoll. 

Vertreter der EZB und der Bundesbank haben dabei wiederholt klargestellt, dass das Eurosystem auch künftig Bargeld anbieten wird. Der digitale Euro soll das Bargeld ergänzen, es jedoch nicht ersetzen. Dies dürfte gerade in Ländern wie Deutschland, in denen die Nutzung von Bargeld weiterhin sehr verbreitet ist, ein nicht zu unterschätzender Aspekt sein. 

Wahrung der Finanzstabilität

Gleichzeitig wollen die Zentralbanken einen umfangreichen Abfluss von Einlagen aus dem Bankensektor und die Umschichtung in Zentralbankgeld vermeiden. Dazu könnten Höchstbeträge für das Halten digitaler Euros oder gestaffelte Zinssätze festgelegt werden. 

Solche quantitativen Obergrenzen für individuelle Guthaben oder eine unattraktivere Verzinsung größerer Guthaben sollen verhindern, dass der digitale Euro als Anlageform anstatt ausschließlich als Zahlungsmittel verwendet wird. Die EZB hat dabei eine (initiale) Obergrenze von etwa EUR 3.000 bis 4.000 pro Bürger* im Euroraum sowie eine Begrenzung des Gesamtbestands an digitalen Euros auf EUR 1 bis 1,5 Billionen ins Spiel gebracht. Dadurch sollen negative Effekte für das Finanzsystem und die Geldpolitik insgesamt vermieden werden. 

Zugleich soll die Rolle der Banken als Finanzintermediäre erhalten bleiben. Diese könnten insbesondere bei der Verbreitung des digitalen Euros im Retailbereich eine wichtige Rolle spielen und Kompetenzen der Privatwirtschaft, insbesondere in Bereichen wie dem Onboarding von Verbrauchern* oder der Anti-Geldwäsche-Prüfung, einbringen. Aus Sicht der Zentralbanken sollen Dienstleistungen und Geschäftsmöglichkeiten der Privatwirtschaft durch den digitalen Euro erweitert und nicht begrenzt werden. Dies dürfte bei vielen Finanzmarktteilnehmern für Erleichterung sorgen. 

Vor 2026 ist nicht mit dem digitalen Euro zu rechnen

Den rechtlichen Rahmen für einen digitalen Euro wird ein Legislativvorschlag vorbereiten, den die EU-Kommission bis Anfang nächsten Jahres vorlegen will. Dazu hat sie in den letzten Monaten eine öffentliche Konsultation durchgeführt, die nunmehr ausgewertet wird. Im Herbst ist eine Anhörung der EU-Kommission zum digitalen Euro in Brüssel geplant, in der die Ergebnisse und weitere Schritte diskutiert werden sollen. 

Seit Oktober 2021 arbeiten Experten des Eurosystems zudem in einer auf zwei Jahre ausgelegten Untersuchungsphase an spezifischen Fragen zur möglichen Ausgestaltung des digitalen Euros. Ende 2023 wird das Eurosystem dann entscheiden, ob es in die Realisierungsphase eintritt. Diese Phase wird voraussichtlich drei Jahre in Anspruch nehmen und insbesondere die Entwicklung und Erprobung technischer Lösungen und Regelwerke, die für die Ausgabe eines digitalen Euros erforderlich sind, umfassen. Vor dem Jahr 2026 ist somit nicht mit der Einführung eines digitalen Euros zu rechnen.

Schutz der Privatsphäre der Nutzer und technische Umsetzung nur einiger der offenen Fragen

Trotz der aktuell sehr regen Kommunikation von Vertretern der Zentralbanken zum digitalen Euro bleiben viele Fragen weiterhin offen. 

So wird beispielsweise ein größtmöglicher Schutz der Privatsphäre angestrebt. Dazu dürften u.a. Änderungen am aktuellen aufsichtsrechtlichen Rahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung notwendig sein. Eine vollständige Anonymität der Nutzung des digitalen Euros erscheint aus Sicht der Zentralbanken aber nicht erreichbar. Lediglich für risikoärmere Zahlungen, z.B. bei Online-Transaktionen mit geringen Beträgen oder kontaktlosen Kleinbetragszahlungen, wird eine vereinfachte Due-Diligence-Prüfung und eine Befreiung von der Überwachungspflicht diskutiert.

Weiterhin unklar bleibt auch die technische Umsetzung und insbesondere die Frage, ob dies zentral oder dezentral erfolgen soll. Die von den Zentralbanken ausgegebene Maxime lautet jedenfalls „Einfachheit“, also ein Produkt, das leicht zu verstehen und zu verwenden ist. Ebenfalls Gegenstand der Diskussion ist die Frage, ob der digitale Euro so ausgestaltet werden kann, dass er auch programmierbare Zahlungen in einem hochautomatisierten Umfeld unterstützt. Eine solche Funktion dürfte aber voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden.

Es ist noch ein langer Weg, an dessen Ende aber (höchstwahrscheinlich) der digitale Euro stehen wird

Auch wenn noch sehr viele Fragen zur praktischen Umsetzung offen sind, spricht bereits der enorme Aufwand, der momentan seitens der Zentralbanken betrieben wird, dafür, dass der digitale Euro kommen wird. Die Komplexität eines solchen Projektes und die Vielzahl der damit verbundenen rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Fragen stellt die Zentralbanken allerdings vor immense Herausforderungen. Insofern erscheint der vorgesehene zeitliche Rahmen bis 2026 durchaus ambitioniert, auch wenn dies dem ein oder anderen Marktteilnehmer als (zu) lange erscheinen mag. Es bleibt zu hoffen, dass den Zentralbanken ein dem digitalen Zeitalter gewachsenes Zahlungsmittel gelingt, das das Vertrauen der Bürger – wie heute in den physischen Euro – gewinnen und damit zur Finanzstabilität im Euroraum beitragen wird.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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