Wann dürfen Unternehmen Auskunftsansprüche Betroffener wegen Missbrauchs zurückweisen? Wie haben Gerichte bisher dazu entschieden?
Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nach Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist ein zentrales Betroffenenrecht der DSGVO. Die Auskunft erlaubt es den jeweiligen betroffenen Personen, Informationen darüber zu erhalten, ob, in welchem Umfang und auf welcher Rechtsgrundlage sowie zu welchen Zwecken verantwortliche Personen ihre personenbezogenen Daten verarbeiten. So können Betroffene z.B. bei Unternehmen, von denen sie Werbemails erhalten haben, nach der Quelle ihrer personenbezogenen Daten fragen.
Seitdem die DSGVO jeder Person das Recht gibt, Auskunft über das Ob und Wie der Datenverarbeitung zu erhalten, wird das Betroffenenrecht jedoch auch dazu verwendet, um beispielsweise gegenüber der Hausverwaltung, der ehemaligen Arbeitgeberin oder dem Versicherer Verwaltungsaufwand zu produzieren oder Auskünfte einzuholen, die nicht den Schutz der eigenen Daten im Blick haben, sondern vielmehr der Vorbereitung möglicher Klagen gegen diese Personen dienen.
Ob eine Anfrage dem datenschutzrechtlichen Zweck des Auskunftsanspruchs dient oder missbräuchlich zu gänzlich anderen Zwecken gestellt wurde, ist äußerst schwierig zu beurteilen. Das Auskunftsrecht wird zwar nach Erwägungsgrund 63 der DSGVO betroffenen Personen zugebilligt, um es diesen zu ermöglichen,
sich der Verarbeitung bewusst zu sein und [um] deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können.
Im Gesetzestext der DSGVO finden sich aber nur wenige Vorgaben für und Ausnahmen vom Auskunftsrecht. So darf das Recht auf Erhalt einer Datenkopie, das mit dem Auskunftsanspruch einhergeht, die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen (Art. 15 Abs. 4 DSGVO). Zudem sieht Art. 12 Abs. 5 DSGVO Einschränkungen für offensichtlich unbegründete oder exzessive Anträge vor. Allerdings müssen betroffene Personen ihre Auskunftsverlangen nicht begründen. Daher sind verantwortliche Personen über die wahren Hintergründe der Anfrage häufig im Unklaren und vermuten aus dem Zusammenhang eine missbräuchliche Ingebrauchnahme des Auskunftsrechts.
Zu der Frage, wann ein Auskunftsverlangen als unbegründet, exzessiv oder rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen werden kann, haben die deutschen Gerichte in der Vergangenheit deshalb eher auf den Einzelfall abgestellt. Je weiter sich die hinter den Anträgen stehenden Motive von den Schutzgütern des Datenschutzrechts entfernten, desto eher wurden Anträge als exzessiv oder missbräuchlich zurückgewiesen.
Auch die vorhandenen europäischen Verlautbarungen zu dieser Frage, liefern keine abschließende Klarheit über die für die Zurückweisung eines Auskunftsverlangens erforderlichen Kriterien und Argumente. Die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), Juliane Kokott, hat jedoch Anhaltspunkte für den Missbrauchseinwand im Datenschutzrecht entwickelt. Und auch der Europäische Datenschutzausschuss hat sich in seiner Leitlinie zum Auskunftsanspruch ausführlich zu dessen Einschränkungen geäußert.
Rechtsprechungsübersicht
Gerichte nutzen das Rechtsmissbrauchsargument vor allem, um Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Dogmatische Ausführungen zu Art. 15 DSGVO finden sich eher selten. Je eher die Klagepartei das Auskunftsrecht für datenschutzfremde Ziele heranzieht oder als Druckmittel nutzt, desto eher lehnen Gerichte einen Auskunftsantrag wegen Rechtsmissbrauchs ab.
Der BGH hat die Frage, ob Rechtsmissbrauch dem Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO entgegensteht, vor kurzem dem EuGH vorgelegt (BGH, Beschluss vom 29. März 2022 – VI ZR 13252/20, BeckRS 2022, 9584). In seinem Vorlagebeschlussbittet der BGH den EuGH um die Beantwortung der Rechtsfrage, ob der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO auch besteht, wenn die betroffene Person einen „legitimen, aber datenschutzfremden Zweck“ verfolgt. In der Begründung der Vorlagefrage zu datenschutzfremden Zielen schlägt er vor, diese Frage mit Ja zu beantworten: das Auskunftsrecht sei nur ausgeschlossen, wenn die Auskunft beantragende Person „von Rechtsordnung missbilligte Ziele verfolgt, arglistig oder schikanös handelt″ (Rn. 19). Mit einer Entscheidung des EuGH ist frühestens Ende 2023, Anfang 2024 zu rechnen.
Bei Untergerichten ist bislang entscheidend für den Erfolg des Rechtsmissbrauchseinwands, inwieweit das Gericht den Eindruck hat, dass eine Klagepartei datenschutzfremde Ziele verfolgt. Im Falle einer klar datenschutzfremden Motivation, bei der Art. 15 DSGVO offensichtlich nur zweckentfremdet wird, lehnen Gerichte in der Regel Auskunftsanträge ab (1.1). Bei zumindest naheliegenden datenschutzfremden Motiven sind die Erfolgsaussichten bisher 50/50 (1.2). Wenn die Auskunft beantragende Person ein Datenschutzmotiv zumindest behauptet oder mehrere Motive denkbar sind, bejahen Gerichte einen Auskunftsanspruch dagegen in der Regel (1.3).
Klar datenschutzfremde Motive
Die folgende Tabelle stellt jeweils den Sachverhalt knapp dar, woraus sich für das Gericht Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch ergaben und ob das Gericht den Auskunftsanspruch zugesprochen hat.
LG Heidelberg, Urteil vom 21. Februar 2020 – 4 O 6/19, ZD 2020, 313
Sachverhalt | Der Kläger war 2010/11 Vorstandsmitglied einer AG. Er macht einen Auskunftsanspruch hinsichtlich E-Mail-Korrespondenz vom August 2010 bis zum November 2021 geltend. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch |
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Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Auskunftsbegehren sei unverhältnismäßig) |
AG Bonn, Urteil vom 30. Juli 2020 – 118 C 315/19, BeckRS 2020, 19548
Sachverhalt | Der Kläger verlangt Auskunft über seine Kontobewegungen bei der beklagten Bank. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch |
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Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (Verfolgung datenschutzfremder Ziele sei zulässig) |
Anmerkung: die folgenden Urteile zu Beitragsanpassungen bei Versicherungen betreffen zwar jeweils einen ähnlichen Sachverhalt, sind aber voneinander unabhängig (andere Gerichte und andere Parteien).
LG Stuttgart, Urteil vom 4. November 2020 – 18 O 333/19, BeckRS 2020, 38735
Sachverhalt | Die Klägerin macht einen Auskunftsanspruch gegen die beklagte Rentenversicherung geltend. Ziel ist zu prüfen, ob sie ein „ewiges Widerrufsrecht“ geltend machen kann. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Verstoß gegen Treu und Glauben aus Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO, da Auskunftsbegehren datenschutzfremde Ziele verfolge) |
LG Wuppertal, Urteil vom 29. Juli 2021 – 4 O 409/20, ZD 2022, 53
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen in den Jahren 2014, 2015 und 2016, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB, da Kläger nur formale Rechtsstellung ausnutze und kein schutzwürdiges Eigeninteresse habe) |
LG Krefeld, Urteil vom 6. Oktober 2021 – 2 O 448/20, BeckRS 2021, 34436
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen in den Jahren 2011 bis 2020, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Kläger verfolge datenschutzfremde Ziele) |
FG Berlin Brandenburg, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 16 K 5148/20, BeckRS 2021, 47455
Sachverhalt | Der Kläger verlangt vom zuständigen Finanzamt eine Kopie aller Dokumente über seine Gewerbesteuermessbeträge 2013 bis 2015. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Die Gewerbesteuermessbeträge 2013 bis 2015 sind bereits Gegenstand eines anderen Verfahrens mit dem gleichen Kläger.Er hatte ursprünglich diesen Auskunftsanspruch in dem anderen Verfahren geltend gemacht. |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Es liege ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DSGVO vor, das auch rechtsmissbräuchliche Anträge erfasse; Kläger verfolge datenschutzfremde Ziele) |
LG Detmold, Urteil vom 26. Oktober 2021 – 02 O 108/21, BeckRS 2021, 34230
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen in den Jahren 2009 bis 2017, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB zu bejahen, da Kläger nur formale Rechtsstellung ausnutze und kein schutzwürdiges Eigeninteresse habe) |
OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2021 – 20 U 269/21, BeckRS 2021, 40312
Anmerkung: Vorinstanz war das LG Bochum, Urteil vom 15. Juli 2020 – 4 O 215/20
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen während der Vertragslaufzeit, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Es liege ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DSGVO vor, das auch rechtsmissbräuchliche Anträge erfasse; Kläger verfolge datenschutzfremde Ziele) |
LG Paderborn, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 4 O 275/21
Sachverhalt | Der Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Er möchte Auskunft über die Versicherungsunterlagen seit 2010 von der Beklagten, um zu belegen, dass die Beitragserhöhungen durch die Beklagte unwirksam waren. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Beklagte durfte Auskunft nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 lit b DSGVO verweigern, da Erwägungsgrund 63 der DSGVO das Auskunftsrecht ausschließlich zu Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung gewährt) |
LG Weiden, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 21 O 447/21 Ver, juris
Sachverhalt | Der Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Er möchte Auskunft über alle Beitragsanpassungen, die die Beklagte in den Jahren 2012-2020 vorgenommen hat, da er der Auffassung ist, dass eine unwirksame Prämienanpassung vorgenommen wurde. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Beklagte hat Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DSGVO, da Art. 15 DSGVO nicht die Verfolgung datenschutzfremder Ziele erlaubt, die nicht in der Überprüfung der Zulässigkeit der Datenverarbeitung bestehen) |
LG Berlin, Urteil vom 21. Dezember 2021 – 4 O 381/20, BeckRS 2021, 40428
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen während der Jahre 2011 bis 2015, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Art. 15 DSGVO wolle nicht Darlegungs- und Beweislast des deutschen Zivilprozessrechts umkehren) |
LG Essen, Urteil vom 23. Februar 2022 – 18 O 204/21
Sachverhalt | Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Kranken-/Pflegeversicherung. Der Kläger ist der Auffassung, dass seine Beiträge in der Vergangenheit mehrfach zu Unrecht angepasst wurden und ihm deshalb Rückforderungsansprüche gegen die Beklagte zustehen. Da sie ihm selbst nicht vorliegen würden, fordert er von der Beklagten die vollständigen Versicherungsunterlagen zur Bezifferung der Ansprüche. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DSGVO, weil formale Rechtsstellung ohne schützenswertes Eigeninteresse geltend gemacht wird; keine Überprüfung zulässiger Datenverarbeitung beabsichtigt, sondern Verfolgung von Leistungsansprüchen; vom Datenschutzrecht entferntes Begehren ist nicht schützenswert) |
OLG Nürnberg, Urteil vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21, BeckRS 2022, 7415
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen während der Jahre 2013 bis 2016, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Es liege ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DSGVO vor, das auch rechtsmissbräuchliche Anträge erfasse; Kläger verfolge datenschutzfremde Ziele) |
OLG Dresden, Urteil vom 29. März 2022 – 4 U 1905/21, juris
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. Dazu verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen während der Jahre 2011 bis 2016, um seine Zahlungsklage beziffern zu können. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Ausdrückliches Ziel ist die Vorbereitung einer Zahlungsklage |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Der Auskunftsanspruch könne nicht auf die DSGVO gestützt werden; der Kläger habe nicht vorgetragen, dass es ihm um die Zulässigkeit der Datenverarbeitung ginge) |
OLG Köln, Urteil vom 13. Mai 2022 – 20 U 295/21
Sachverhalt | Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen der beklagten Versicherung. In diesem Zusammenhang verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über Beitragsanpassungen während der Jahre 2011 bis 2016. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Vorbereitung vermögensrechtlicher Ansprüche |
Auskunftsanspruch zugesprochen | (ob Informationen Kläger schon bekannt sind, ist irrelevant; kein Verstoß gegen § 242 BGB auch wenn es Kläger nicht um Schutz seiner Daten, sondern die Vorbereitung vermögensrechtlicher Ansprüche geht, da auch Abbau von Informationsasymmetrie legitimes Ziel sein kann und ohnehin kaum ausgeschlossen werden kann, dass es klagenden Personen zumindest auch um den Schutz ihrer Daten geht; keine Verweigerungsmöglichkeit nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO, auch wenn es Kläger nicht allein um Wahrung seiner Rechte nach der DSGVO geht, weil keine Schikane oder Auskunftsersuchen in kurzen Zeitabständen vorliegen) |
Naheliegende datenschutzfremde Motive
ArbG Neumünster, Urteil vom 11. August 2020 – 1 Ca 247 c/20, BeckRS 2020, 29998
Sachverhalt | Der Kläger verlangt im Rahmen einer Kündigungsschutzklage Auskunft nach Art. 15 DSGVO. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Möglicherweise Druckmittel für höhere Abfindung (allerdings Auskunft vor Urteil über Kündigungsschutzklage erteilt) |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (kein Verstoß gegen Gebot von Treu und Glauben nach Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO, da Verfolgung datenschutzfremder Ziele zulässig; keine direkte Verknüpfung mit Abfindungsbegehren) |
AG Kerpen, Urteil vom 22. Dezember 2020 – 106 C 96/20, ZD 2021, 325
Sachverhalt | Die Klägerin verlangt Auskunft über ihre personenbezogenen Daten bei der beklagten ehemaligen Arbeitgeberin. Die Beklagte hatte der Klägerin eine Altersrente auf Lebenszeit zugesagt, die Gegenstand eines weiteren Zivilprozesses ist. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Naheliegende Nutzung der beauskunfteten Informationen im weiteren Zivilprozess. |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (Verfolgung datenschutzfremder Ziele sei als Nebenzweck zulässig) |
LG Frankenthal, Urteil vom 12. Januar 2021 – 1 HK O 4/19, BeckRS 2021, 42552
Sachverhalt | Die Auskunft beantragende Person war 2009 bis 2018 als Vorstandsmitglied der verantwortlichen Person tätig. Die verantwortliche Person verklagt ihn aus einer aktienrechtlichen Vorstandshaftung. Die Auskunft beantragende Person macht einen Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO auf E-Mail-Korrespondenz von 2015 bis 2018 geltend. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Große Menge personenbezogener Daten betroffen (allein im Postfach des Widerklägers 75.000 E-Mails)Keine Spezifizierung des Auskunftsbegehrens trotz mehrmaliger AufforderungOffensichtliches Ziel sei Verteidigung gegen Hauptklage und Verzögerung des Haftungsprozesses gegen den Kläger |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Art. 15 DSGVO erlaube keine Verfolgung datenschutzfremder Ziele und keine umfassende Ausforschung wie im amerikanischen Zivilprozessrecht) |
LAG Sachsen, Urteil vom 17. Februar 2021 – 2 Sa 63/20, BeckRS 2021, 29212
Sachverhalt | Der Kläger war 2017 bis 2019 als Leiter der Finanzbuchhaltung bei der Beklagten angestellt. Er klagt u.a. auf Arbeitsvergütung für Überstunden und Auskunft über seine Leistungs- und Verhaltensdaten. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Offensichtliches Ziel sei Vorbereitung der Zahlungsklage auf Vergütung von Überstunden |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (Art. 15 DSGVO erlaube keine Verfolgung datenschutzfremder Ziele und wolle nicht deutsche Darlegungs- und Beweislast unterlaufen) |
LAG Hessen, Urteil vom 10. Juni 2021 – 9 Sa 861/20, BeckRS 2021, 32421
Anmerkung: Parallelentscheidung LAG Hessen, Urteil vom 10. Juni 2021 – 9 Sa 1413/19
Sachverhalt | Der Kläger war bei dem beklagten Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis wegen Betrugsvorwürfen gekündigt (die Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen). |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Naheliegende Nutzung für parallellaufendes Strafverfahren |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (Kläger verstoße nicht gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB, da auch die Verfolgung datenschutzfremder Ziele zulässig; allenfalls Schwärzung denkbar) |
AG Pankow, Urteil vom 28. März 2022 – 4 C 199/21, rewis.io
Sachverhalt | Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen nicht vollständig erteilter Auskunft über Videoaufzeichnung von Überwachungskamera in S-Bahn. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Kein Interesse an Überprüfung Rechtmäßigkeit erkennbar (für diese seien die erteilten Informationen über Zweck, Speicherfrist usw. ausreichend) |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ❌ (exzessiver Aufwand nach § 275 Abs. 2 BGB) |
Kein überwiegendes datenschutzfremdes Motiv
AG München, Urteil vom 4. September 2019 – 155 C 1510/18, BeckRS 2019, 23247
Sachverhalt | Der Kläger verlangt Auskunft über Inkassokosten aus einem früheren Zivilprozess mit der Beklagten. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Die Inkassokosten wurden dem Kläger bereits im früheren Zivilprozess mitgeteilt. |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (kein Rechtsschutzinteresse notwendig) |
LG Köln, Urteil vom 11. November 2020 – 23 O 172/19, BeckRS 2020, 30968
Sachverhalt | Der Kläger ficht den mit der Beklagten geschlossenen Krankenversicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Verbunden mit der Klage auf Rückzahlung von Beiträgen verlangt er Auskunft nach Art. 15 DSGVO über sämtliche personenbezogene Daten, insbesondere zu Antrags- und Risikobewertungsunterlagen. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Möglicherweise Druckmittel für höhere Abfindung (allerdings Auskunft vor Urteil über Kündigungsschutzklage erteilt) |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO erfasse nicht allgemein rechtsmissbräuchliche Auskunftsbegehren; Motivation für Auskunftsbegehren sei irrelevant) |
OVG Münster, Urteil vom 8. Juni 2021 – 16 A 1582/20, BeckRS 2021, 13156
Sachverhalt | Der Kläger ist ein Prüfungskandidat, der Auskunft über seine Prüfungsakte beim beklagten Landesjustizprüfungsamt verlangt. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Umfang der Prüfungsakte von 348 Seiten |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO erfasse nur exzessive Anträge, Kopieren klar abgegrenzter 348 Seiten dafür nicht ausreichend; allenfalls schikanöses Verhalten sei erfasst) |
LG Wiesbaden, Urteil vom 30. September 2021 – 3 S 50/21, BeckRS 2021, 29228
Sachverhalt | Der Kläger schloss einen Mietvertrag mit der Beklagten als private Vermieterin. Im Zuge eines Räumungsrechtsstreits macht er einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO geltend |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Zusammenhang mit Räumungsrechtsstreit |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (keine belastbaren Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch; Unklarheit über Umfang der Datenverarbeitung als berechtigtes Interesse jedenfalls ausreichend) |
LAG Niedersachsen, Urteil vom 22. Oktober 2021 – 16 Sa 761/20, BeckRS 2021, 32008
Sachverhalt | Der Kläger war als Werkleiter bei der Beklagten tätig, die Teil eines Automobilkonzern ist. Im Zuge der „Dieselaffäre“ hat die Beklagte ihn gekündigt wegen einer von ihm bestrittenen Pflichtverletzung. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er macht einen Auskunftsanspruch auf bestimmte Dokumente im Zusammenhang mit der „Dieselaffäre“ geltend. |
Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch | Enger Zusammenhang mit Kündigungsschutzklage (allerdings Prüfung der Rechtmäßigkeit Datentransfer in U.S.A. als Motiv behauptet) |
Auskunftsanspruch zugesprochen | ✅ (Voraussetzungen der Einwendung aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DSGVO sei nicht erfüllt; Nutzung zur Prüfung der Rechtmäßigkeit sei möglich) |
Stellungnahme der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nowak
Die Stellungnahme der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nowak (C‑434/16) vom 20. Juli 2017 bringt etwas Klarheit in die durch die Gerichte sehr unterschiedlich gehandhabte Auslegung des Rechtsmissbrauchseinwands im Zusammenhang mit Art. 15 DSGVO. In dem Rechtsstreit war dem Kläger vorgeworfen worden, dass er seinen Auskunftsanspruch missbräuchlich geltend mache. Diesbezüglich stellte die Generalanwältin klar, dass es nicht zulässig sei, von durch das Europarecht begründeten Rechten auf missbräuchliche oder betrügerische Art und Weise Gebrauch zu machen. Für die Annahme missbräuchlichen Verhaltens bedürfe es jedoch eines objektiven sowie eines subjektiven Tatbestands:
Die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Tatbestandsmerkmals. Was zum einen das objektive Tatbestandsmerkmal betrifft, muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wird. Zum anderen erfordert eine solche Feststellung ein subjektives Tatbestandsmerkmal: Es muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. Denn das Missbrauchsverbot greift nicht, wenn die fraglichen Handlungen eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines (ungerechtfertigten) Vorteils.
Allerdings sei ein ungerechtfertigter Vorteil noch nicht der bloße Zugang zu Informationen, auf die sonst kein Zugriff bestehe.
Mit Blick auf die damals noch nicht anwendbare DSGVO stellte die Generalanwältin zudem fest, dass diese klar normierte Ausnahmen und Einschränkungen des Auskunftsanspruchs enthalte, die das Problem entscheidend entschärfen würden. Die normierten Einschränkungen, z.B. in Art. 15 Abs. 4 DSGVO, helfen bei missbräuchlichen Auskunftsansprüchen jedoch nicht weiter. Der Anknüpfungspunkt für einen Missbrauchseinwand ist vielmehr in Art. 12 Abs. 5 S. 2 Alt. 2 DSGVO zu verorten, ohne dass dort jedoch genaue Kriterien für den Ablehnungsgrund aufgestellt würden. Insofern kann auf die von der Generalanwältin aufgestellten objektiven und subjektiven Kriterien zur Bestimmung der Missbräuchlichkeit eines Auskunftsanspruchs weiterhin zurückgegriffen werden.
Auch eine weitere Feststellung der Generalanwältin, mit der diese das Erstreben eines ungerechtfertigten Vorteils durch den Kläger verneinte, kann weiterhin nutzbar gemacht werden. Die Generalanwältin stellte im Hinblick auf die erstrebte Auskunft über prüfungsbezogene Leistungen fest, dass es nicht ersichtlich sei, worin der ungerechtfertigte Vorteil liege, wenn der Auskunftsanspruch mit dem Ziel verfolgt werde, Einblicke in die eigenen Daten zu erlangen.
Denn soweit es bereits Zugang zu personenbezogenen Informationen gibt, hätte es der Einführung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs nicht bedurft. Es ist vielmehr die Funktion des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs, den Betroffenen […] Zugang zu den eigenen Daten zu ermöglichen, falls ansonsten kein Zugangsanspruch existiert.
Dieser Gedanke lässt sich als Gegenargument fruchtbar machen, wenn der Vorwurf laut wird, der Auskunftsanspruch werde missbräuchlich geltend gemacht, um Zugriff auf Daten zu erhalten, die der Vorbereitung eines weitergehenden Anspruchs dienten.
EDSA: Begründung für Datenschutzauskunft nicht notwendig
Detaillierte Kriterien zum Missbrauchseinwand beinhaltet zudem die Leitlinie des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) „Guidelines 01/2022 on data subject rights – Right of access“ aus Januar 2022. Sie stellt klare Maßgaben auf, die zu der Entscheidungslinie der bisherigen deutschen Rechtsprechung zum Teil in Widerspruch stehen.
In diesem Zusammenhang sind vor allem die Grenzen des Auskunftsanspruches unter Beachtung des Art. 12 Abs. 5 DSGVO relevant. Dazu stellt der EDSA zunächst fest, dass die Ausschlusstatbestände des Art. 12 Abs. 5 DSGVO eng auszulegen seien, damit die Grundsätze der Transparenz und Kostenfreiheit der Rechte der betroffenen Personen nicht untergraben würden (Rn. 173). Insbesondere bestehe keine Notwendigkeit, den Antrag zu begründen oder das Ersuchen gesondert zu rechtfertigen (Rn. 165). Für die Entscheidung über das Vorliegen einer missbräuchlichen Antragsstellung bedürfe es zudem immer einer begründeten Einzelfallbetrachtung (Rn. 174). Der EDSA versucht sich im Rahmen seiner Ausführungen, den Tatbestandsalternativen der „offensichtlichen Unbegründetheit“ und der „exzessiven“ Antragsstellung anhand abstrakter Kriterien und konkreter Beispiele zu nähern.
„Offenkundig unbegründet“ im Einzelfall festzustellen
Für die erste Ablehnungsalternative in Art. 12 Abs. 5 DSGVO – der offensichtlichen Unbegründetheit – gebe es nur einen sehr begrenzten Spielraum (Rn. 175). Genaue Kriterien oder konkrete Beispiele, wann dieser Tatbestand erfüllt ist, enthält die Leitlinie jedoch nicht.
Jedenfalls dürften verantwortliche Personen nicht allein deshalb von der offensichtlichen Unbegründetheit eines Auskunftsersuchens ausgehen, weil die betroffene Person in der Vergangenheit unbegründete oder exzessive Anträge gestellt habe oder weil der Antrag unangemessene Formulierungen beinhalte (Rn. 178). Es bedürfe stets einer Einzelfallbetrachtung, die bezüglich jedes Antrages gesondert stattzufinden habe.
In der Gesamtschau fällt auf, dass kaum Konstellationen vorstellbar sind, in denen dieser Ablehnungsgrund zur Anwendung kommen könnte. In der Praxis dürfte diese Variante nach Ansicht des EDSA daher nur sehr selten einschlägig sein.
Auskunftsbegehren können „exzessiv“ sein, wenn sie in kurzen Zeitabständen erfolgen oder sich auf bereits bekannte Informationen beziehen
Relevanter ist die zweite Alternative des Art. 12 Abs. 5 S. 2 Alt. 2 DSGVO. Diese ermöglicht es Verantwortlichen im Falle von „exzessiven“ Anträgen, „insbesondere im Fall häufiger Wiederholungen“, die Auskunft zu verweigern oder von der Zahlung eines angemessenen Entgelts abhängig zu machen.
So könne das Unterschreiten eines vernünftigen Zeitintervalls zwischen zwei Anfragen ein Indiz für die exzessive Natur des Auskunftsantrags sein (Rn. 181). Auch könne ein Auskunftsantrag als exzessiv anzusehen sein, wenn er sich auf exakt dieselben Informationen beziehe, die bereits beauskunftet wurden (Rn. 183). Werden verantwortliche Personen dagegen mit Anfragen konfrontiert, deren Beantwortung einen enormen Kosten- und Zeitaufwand erfordern würde, so genüge dies regelmäßig nicht, um den Antrag als exzessiv zu erachten (Rn. 186). Auch die Möglichkeit, die Auskunft auf einfachem Weg, insbesondere elektronisch, zu erteilen, spreche gegen die Zulässigkeit des Rechtsmissbrauchseinwands (Rn. 184).
Für wiederholte Auskunftsanträge nennt der EDSA weitere Kriterien und Beispiele, um Verantwortlichen die Beurteilung zu erleichtern, ob ein wiederholter Auskunftsantrag exzessiv ist (Rn. 183).
Diese Kriterien sind namentlich:
- Zu erwartende Veränderungen am Datenbestand;
- Die Kategorie der betroffenen Daten und ihre Sensitivität;
- Der Verarbeitungszweck und insbesondere die Wahrscheinlichkeit, dass der betroffenen Person Schaden dadurch entstünde, wenn die verarbeiteten Daten offenbart würden; sowie
- Das wiederholte Erfragen derselben Informationen, die bereits aufgrund vorheriger Auskünfte bei der betroffenen Person vorhanden sind.
Als Beispiel nennt die Leitlinie ein wiederholtes Datenauskunftsersuchen zu denselben Informationen im Abstand von zwei Monaten gegenüber einem Tischler, der für die betroffene Person einen Tisch angefertigt hatte (Rn. 183). Bei diesem seien keine weiteren Änderungen am Datenbestand zu erwarten, da dieser die personenbezogenen Daten nur anlässlich des Rechtsgeschäfts erhoben habe. Die Datenverarbeitung gehöre auch nicht zu seinem Kerngeschäft und die verarbeiteten Daten auch keiner Kategorie besonders schutzwürdiger personenbezogener Daten an. Daher sei eine Anfrage gegenüber diesem Verantwortlichen im Abstand von zwei Monaten zu exakt denselben Informationen, die bereits beauskunftet wurden, als exzessiv anzusehen.
Auch andere als wiederholt gestellte Auskunftsersuchen können nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 5 S. 2 Alt. 2 DSGVO als exzessiv erachtet werden, wenn sie mit dem Ziel gestellt werden, der für die Verarbeitung verantwortlichen Person Schaden oder Nachteile zuzufügen (Rn. 186). Nach Auffassung des EDSA scheinen rechtsmissbräuchliche Anfragen unter bestimmten Voraussetzungen als „exzessive“ Auskunftsanträge nach Maßgabe von Art. 12 Abs. 5 S. 2 Alt. 2 DSGVO anzusehen zu seien.
Gründe für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Auskunftsersuchens können laut EDSA danach die Folgenden sein (Rn. 188):
- Das Angebot der betroffenen Person, die Anfrage zurückzuziehen, wenn ihr im Gegenzug ein irgendwie gearteter Vorteil durch die verantwortliche Person gewährt wird; oder
- Die böswillige Absicht, die verantwortliche Person oder deren Mitarbeitende zu schikanieren oder Aufwand und Störungen im Geschäftsablauf zu verursachen, die sich darin offenbart, dass
- Dies ausdrücklich von der betroffenen Person kommuniziert wird; oder
- Systematisch verschiedene Anfragen an dieselbe verantwortliche Person gesendet werden als Bestandteil einer Art Kampagne mit dem Ziel, Ablaufstörungen zu verursachen.
Möchte eine betroffene Person, die Auskunftsersuchen stellt, demnach verhindern, dass ihr Antrag mit einfacher Begründung zurückgewiesen werden kann, so sollte sie es vermeiden, ihre schikanösen Absichten ausdrücklich zu offenbaren oder Vorteile für die Rücknahme ihres Antrages zu verlangen.
Gründe, die für sich genommen nicht ausreichen, um eine Ablehnung des Auskunftsersuchens wegen vermeintlicher Rechtsmissbräuchlichkeit darauf zu stützen, sind nach Ansicht des EDSA demgegenüber (Rn. 187):
- Die fehlende Angabe von Gründen für das Auskunftsersuchen durch die betroffene Person;
- Unangemessene oder unhöfliche Formulierungen im Rahmen des Auskunftsersuchens oder
- Die Absicht, die beauskunfteten Daten für weitere Forderungen gegenüber der verantwortlichen Person zu verwenden.
Verantwortliche, die ein Auskunftsersuchen mit der Begründung rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Betroffenenrechte der DSGVO zurückweisen möchten, sollten sich daher möglichst nicht nur auf einen der obigen Gründe stützen, sondern weitere Begründungen liefern.
Schließlich stellt die EDSA-Leitlinie klar, dass die Beweislast für die Ablehnung eines Auskunftsersuchens stets bei den Verantwortlichen liegt (Rn. 191). Diese müssten nicht nur die Ablehnung und ihre Gründe dokumentieren, sondern auch die betroffene Person über den Zurückweisungsgrund, ihr Beschwerderecht und die Möglichkeit, gerichtliche Schritte einzuleiten, informieren (Rn. 191). Weil eine ungerechtfertigte Zurückweisung eine Verletzung der Betroffenenrechte darstellt, können in einem solchen Fall auch behördliche Anordnungen, Bußgelder (Rn. 193) oder Schadensersatzansprüche der Betroffenen drohen.
Gerechter Ausgleich zwischen betroffener Person und Unternehmen über Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO möglich
Auch wenn der EDSA keine starren Vorgaben für die Auslegung der Ablehnungsgründe in Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO macht, so liefern die Ausführungen und insbesondere die darin benannten Kriterien und Beispiele doch weitere Anhaltspunkte für die Praxis. Es ist zu erwarten, dass sich die Datenschutzbehörden an dieser Leitlinie orientieren werden, weshalb die darin aufgestellten Maßgaben auch den um Auskunft ersuchenden Personen und den datenschutzrechtlich Verantwortlichen bekannt sein sollten.
Ob sich deutsche Gerichte zukünftig auf diese Maßgaben berufen werden, ist demgegenüber offen. Einerseits ist eine Leitlinie des Europäischen Datenschutzausschusses eine prominente Quelle, die in vielen Verfahren zitiert werden wird. Anderseits haben Gerichte auch den Anspruch, Behörden zu kontrollieren und nicht kritiklos ihre Ansichten zu übernehmen. Bisher steht die für verantwortliche Personen großzügigere Linie der Rechtsprechung jedenfalls im Widerspruch zu der für betroffene Personen günstigeren Leitlinie des EDSA.
Eine Klärung wird wohl erst der EuGH herbeiführen, wenn er Ende 2023/Anfang 2024 über die Vorlagefrage des BGH zum Rechtsmissbrauch bei Art. 15 DSGVO entscheidet (BGH, Beschluss vom 29. März 2022 – VI ZR 13252/20, BeckRS 2022, 9584). Auch nach dem EuGH-Urteil werden allerdings vermutlich nicht alle Detailfragen geklärt sein, da sich der EuGH typischerweise auf den vorgelegten Einzelfall konzentriert und nur eine knappe Begründung liefert.
So wird der Konflikt zwischen dem weit gefassten Art. 15 DSGVO und den fein austarierten Informationspflichten des allgemeinen Zivil- und Prozessrechts weiter die Gerichte beschäftigen. Statt eines pauschalen Berufens auf Rechtsmissbrauch wird sich der Streit wohl vor allem daran entzünden, ob ein Antrag „exzessiv“ im Sine des Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ist. Das enge Verständnis des EDSA folgt weder aus der Formulierung „exzessiv“ noch dem Ziel des Auskunftsanspruchs, der vor allem der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung (Erwägungsgrund 63) und nicht datenschutzfremden Motiven dient. Mit guten Gründen lässt sich im Gegenteil vertreten, dass Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO eine Interessensabwägung eröffnet, in der datenschutzfremde Ziele entsprechend niedrigeres Gewicht haben. So können Gerichte einen gerechten Ausgleich zwischen betroffenen und verantwortlichen Personen erreichen.
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