11. Juli 2022
100 Jahre Frauen in juristischen Berufen Staatsdienst
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100 Jahre Frauen in juristischen Berufen: ein Blick in andere europäische Länder

Unter größten Anstrengungen mussten sich die ersten Juristinnen Europas um 1900 dafür einsetzen, ihr Wissen und Können in einem juristischen Beruf ausüben zu dürfen.

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten Frauen deutlich schlechtere rechtliche und soziale Bedingungen für die juristische Berufsausübung als Männer. Vor diesem Hintergrund war bereits ein Studium der Rechtswissenschaft für Frauen eine besondere Herausforderung. In vielen Ländern konnten sie nur mit elterlicher oder ehelicher Begleitung oder Zustimmung ausgehen, eine Vorlesung besuchen oder gar einen Beruf ausüben. In Ermangelung einer Anerkennung ihrer vollen Rechtsfähigkeit und ausweislich des Wortlauts vieler europäischer Verfassungen war die Richter-, Staats- und Rechtsanwaltschaft den männlichen Staatsbürgern vorbehalten. Das sollte sich erst um die Jahrhundertwende mit der ersten Welle der Frauenbewegung ändern. Viele Frauen, oft aus wohlhabenden und hochgebildeten Verhältnissen, widersetzten sich den sozialen Normen und kämpften für ihre politische und bürgerliche Gleichstellung. So fielen unter großen und langwierigen Anstrengungen auch die Hürden für die Zulassung in die juristischen Berufe, was die Geschichte einiger europäischer Länder verdeutlicht.

Die Zulassung der juristischen Berufe für Frauen in Frankreich

Die erste Rechtsanwältin Europas war Sarmiza Bilcescu. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Sorbonne und schloss ihr Studium im Jahr 1887 als erste Frau in Frankreich mit Promotion ab. Eine Zulassung als Rechtsanwältin erhielt die gebürtige Rumänin jedoch nicht in Frankreich, sondern im Jahr 1891 in der Walachei. Der französische Staat gewährte Frauen zu dieser Zeit noch keine Zulassung als Rechtsanwältin. Dagegen setzte sich die in dem Jahr 1890 promovierte Juristin Jeanne Chauvin erfolgreich in der Öffentlichkeit ein. Ihr Unterfangen, dem sich auch männliche Juristen und Politiker wie Léon Bourgeois, Paul Deschanel und Raymond Poincaré anschlossen, fand bemerkenswerte Resonanz in der französischen Presse. Die Zeitung „La Fronde“ schloss sich der Kampagne an. Das erhöhte den öffentlichen Druck auf die Entscheidungsträger. Endlich öffnete der französische Staat die Rechtsanwaltszulassung für Frauen. Als erste Frau in Frankreich legte die Juristin Olga Petit ihren Eid am 6. Dezember 1900 ab. Am 19. Dezember 1900 folgte ihr Jeanne Chauvin. Gleichwohl blieben Frauen in der Rechtsanwaltschaft Frankreichs eine Ausnahmeerscheinung. Von 1900 bis 1917 gab es gerade einmal 18 Rechtsanwältinnen.

Der Zugang zur Justiz blieb den Juristinnen Frankreichs viele weitere Jahre verwehrt. Erst nachdem der französische Staat im Jahr 1944 die volle Rechtsfähigkeit der Frauen anerkannt hatte, ließ er sie als Geschworene und Assessorinnen an Jugendgerichten zu. Schließlich bestimmte das Gesetz vom 11. April 1946, dass jeder Franzose beiderlei Geschlechts Zugang zur Justiz haben kann. 

Daraufhin berief Präsident Charles de Gaulles die Professorin Charlotte Béquignon-Lagarde durch ein Dekret vom 10. Oktober 1946 direkt in die Sozialkammer des französischen Kassationsgerichts. Sie war die erste Frau Frankreichs in einem Richteramt, was durch ihre Berufung an einen obersten Gerichtshof in der Öffentlichkeit besonders sichtbar wurde. Weitere juristische Berufe, z.B. der einer Notarin, öffneten ihre Pforten für Frauen wenige Jahre später.

Die Zulassung der juristischen Berufe für Frauen in der Schweiz 

Im Jahr 1887 wurde nach einem zweijährigen Jurastudium an der Universität Zürich die Schweizerin Emily Kempin-Spyri die erste promovierte Juristin Europas. Aber auch promovierten Juristinnen wurde das Anwaltspatent in der Schweiz zu dieser Zeit nicht verliehen. Erfolglos erhob sie eine auf Gleichberechtigung gerichtete staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht, der Begriff „Schweizer“ in Art. 4 der Bundesverfassung umfasse auch Frauen. Im Jahr 1889 gründete sie in New York zunächst eine private Rechtsschule für Frauen und fertigte ihre Habilitationsschrift an. Zwei Jahre später stellte sie ein Habilitationsgesuch an die Universität Zürich, für das der kantonale Erziehungsrat nach senatsseitiger Ablehnung eine behördliche Ausnahmegenehmigung erteilte. Nach erfolgreicher Habilitation wurde ihr die Lehrbefugnis für römisches, englisches und amerikanisches Recht verliehen. Die Antrittsvorlesung als private Dozentin der Universität Zürich fand am 4. März 1892 statt. Dabei setzte sie sich fortwährend für die Zulassung von Frauen als Rechtsanwältinnen ein. Auf Grundlage ihrer Anstrengungen erlaubte der Kanton Zürich 1898 erstmals auch Frauen – trotz fehlenden Aktivbürgerrechts – den Rechtsanwaltsberuf auszuüben. Emily Kempin-Spyri selbst blieb die Zulassung als Rechtsanwältin allerdings verwehrt. 1898 wurde sie wegen geistiger Krankheit entmündigt. Anna Mackenroth, die als erste Frau in dem Jahr 1900 als Rechtsanwältin in dem Kanton Zürich zugelassen wurde, zählte zu ihren akademischen Schülerinnen. Bundesweit setzte sich die Zulassung für Rechtsanwältinnen erst 1923 durch.

Im Jahr 1959 wurde Ita Maria Eisenring als erste Frau überhaupt in der Schweiz zur außerordentlichen Staatsanwältin gewählt, obwohl sie als Frau zu diesem Zeitpunkt nicht einmal über das Stimm- und Wahlrecht verfügte. Erst als Frauen im Jahr 1971 die politische Teilhabe gewährt wurde, wurde sie ordentliche Staatsanwältin. Neben Margrith Bigler-Eggenberger, die 1972 als erste Frau der Schweiz zur Ersatzrichterin und 1974 zur ersten ordentlichen Bundesrichterin gewählt wurde, war sie mit ihrer Wahl zur ersten Kantonsrichterin in demselben Jahr und zur ersten Kantonsgerichtspräsidentin der Schweiz in dem Jahr 1979 auch eine Pionierin der Schweizer Richterinnenschaft. Zwischen der ersten promovierten Juristin Europas und einer der letzten Öffnungen der Zulassung von Frauen in die juristischen Berufe vergingen in der Schweiz beinahe 90 Jahre.

Die Zulassung der juristischen Berufe für Frauen in den Niederlanden

Die Niederländerinnen Lizzy van Dorp und Adolphine Eduardina Kok waren im Jahr 1901 die ersten Frauen, die ihren Abschluss in Rechtswissenschaften an einer niederländischen Universität machten, und 1903 die ersten in den Niederlanden als Rechtsanwältinnen zugelassenen Frauen. Das geschah – anders als in Frankreich – ohne einen Eingriff des Gesetzgebers, aber nicht ohne öffentliches Interesse. Die niederländische Zeitschrift Belang en Recht vom 1. Juli 1903 kommentierte den ersten Auftritt von Eduardina Kok in einem wertschätzenden Ton als wegweisend. In demselben Jahr erlangte Lizzy van Dorp internationale Aufmerksamkeit als erste Rechtsanwältin vor dem Hohen Rat der Niederlande, dem obersten Gericht des Königreichs. Sodann verging beinahe ein halbes Jahrhundert, bis Johanna Clementina Hudig 1947 als Jugendrichterin in Rotterdam die erste Richterin der Niederlande wurde.

Die Zulassung der juristischen Berufe für Frauen in Schweden

Die erste Frau in Schweden, die eine rechtsberatende Agentur führte, war Anna Pettersson im Jahr 1904. Weder hat sie Rechtswissenschaft noch ein anderes Fach an einer Universität studiert. Vielmehr arbeitete sie elf Jahre als Assistentin im Rathausgerichtsamt in Uppsala, drei Jahre lang in einer Anwaltskanzlei in Stockholm und war im Übrigen eine Autodidaktin. Viele Frauen ersuchten ihre Agentur um Hilfe, insbesondere in familienrechtlichen Angelegenheiten wie Scheidungen. Für Frauen mit finanziellen Schwierigkeiten erteilte Anna Pettersson kostenlose Beratung. 

Unterstützung bekam Anna Pettersson von Elsa Eschelsson, die als erste Frau in Schweden im Jahr 1892 Rechtswissenschaft studierte, sodann promovierte und noch am Tage der Verteidigung ihrer Dissertationsschrift zur ersten außerordentlichen Professorin für Zivilrecht an der Universität Uppsala ernannt wurde. Erst eine Verfassungsänderung von 1909 gab Frauen in Schweden grundsätzlich das Recht, eine ordentliche Professur zu bekleiden. Die Universität Uppsala entschied jedoch zwei Jahre später, ihre Professur weiterhin Männern vorzubehalten. Wenige Tage später starb die erste Professorin der Rechtswissenschaften Schwedens. 

Zu den akademischen Schülerinnen von Elsa Eschelsson zählte Eva Andén, die im Jahr 1915 die rechtsberatende Agentur von Anna Pettersson in Stockholm übernahm. Eva Andén wurde 1918 als erste Frau in die schwedische Anwaltskammer aufgenommen. Zusammen mit Mathilda Staël von Holstein, die 1921 die zweite Rechtsanwältin Schwedens wurde und von 1919 bis 1923 Mitglied des Stockholmer Stadtrates war, bildete sie in den Folgejahren eine Rechtsanwaltspartnerschaft. 

Eines der größten Probleme für Frauen dabei, in dieser Zeit Regierungsämter ausüben zu dürfen, war auch in Schweden, dass die Verfassung einen Bewerber für solche Positionen als „schwedischen Mann“ formulierte. 1919 bildete das Justizministerium einen Ausschuss, dem auch Mathilda Staël von Holstein angehörte, der dieses Hindernis untersuchte und auf seine Beseitigung hinarbeitete. Die Arbeit des Ausschusses mündete im Jahr 1925 in dem Gesetz, das Frauen in Schweden das Recht auf alle öffentlichen und staatlichen Berufe garantierte. Zwei Jahre später wurde Birgit Spångberg als Bezirksrichterin in Askim die erste Frau in einem schwedischen Richteramt.

Was Deutschland von seinen Nachbarn lernen konnte

Im späten 19. Jahrhundert legten die ersten Studentinnen an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten Europas den Grundstein für die Zulassung von Frauen in die juristischen Berufe. Obwohl ihnen das universitäre Studium erlaubt war, bestand schon auf Grund ihrer unvollständigen Rechtsfähigkeit keine Aussicht auf die spätere Praxis. Sie mussten sich in den folgenden Jahrzehnten unter größten Anstrengungen dafür einsetzen, mit ihrem erlernten Wissen und Können tatsächlich einen juristischen Beruf ausüben zu dürfen. Hand in Hand mit ihrer sozialen Annäherung und rechtlichen Gleichstellung konnten sie innerhalb der europäischen Frauenbewegung nicht zuletzt durch den Einsatz ihrer juristischen Fähigkeiten die Öffnung der juristischen Berufe für Frauen nach und nach bewirken.

Im europäischen Vergleich kam die Zulassung der Frauen in die juristischen Berufe in Deutschland erst mit bemerkenswerter Verzögerung in Gang. In anderen europäischen Ländern wurden Frauen zwar auch erst viele Jahre später in die Reihen der Richter und Notare aufgenommen, während sie die Pforten der Rechtsanwaltschaft wesentlich früher öffneten. Doch hierzulande prägte schon damals das Leitbild des sogenannten „Einheitsjuristen“, dem grundsätzlich alle juristischen Berufe offenstehen, die Juristenausbildung. Der Gegenwind mancher Berufsgruppen – insbesondere aus der Richterschaft – hielt in dem tradierten System den Widerstand gegen die gesamte Berufszulassung aufrecht. Ein weiteres Spezifikum deutscher Prägung war das Kompetenzgefüge des Deutschen Reiches. Einerseits gab es lange keine ausreichenden Anreize für ein einzelnes deutsches Land, das eigene Rechtssystem durch die Berufszulassung der Frauen von dem der anderen deutschen Länder abzusetzen. Andererseits waren sich Reich und Länder über ihre Zuständigkeit nicht einig. Das verleitete dazu, jeweils dem anderen die Verantwortung zuzuschieben. Eine gemeinsame Lösung auf Ebene des Reiches war schließlich unumgänglich. Sie wurde durch viele Jahre der Verzögerung teuer erkauft. Bis dahin konnte Deutschland viel von seinen europäischen Nachbarn lernen.

In unserer Blogreihe skizzieren wir Leben und Werk inspirierender RechtsanwältinnenRichterinnen und Juristinnen im Staatsdienst, die andere Frauen ermutigten und ihnen Wege bahnten, und geben einen historischen Überblick über die Berufszulassung für Frauen in juristischen Berufen in Europa. 

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