Frauen studierten auch schon vor 100 Jahren Jura in Deutschland, konnten danach aber keinen juristischen Beruf ergreifen. Dies änderte sich erst im Jahr 1922.
Wie jedes Jahr zu dieser Zeit schließen Tausende Abiturient:innen in Deutschland die Schule ab. Die Abiturprüfung ist bestanden und es stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, was studieren? Für Frauen wie für Männer ist es selbstverständlich, gleichermaßen aus dem Vollen zu schöpfen und die gleichen Bedingungen mit Blick auf den Zugang zu Universitäten und damit auch zum Jurastudium und zum anschließenden Referendariat zu haben. Das war aber nicht immer so. Anlässlich des Jubiläums des Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege vom 11. Juli 1922 (RGBl. 1922 I, S. 573) blicken wir zurück und beleuchten die Situation von Frauen, die sich vor der Gesetzesänderung vor 100 Jahren entschlossen haben, Jura zu studieren.
Frauen studierten auch vor 100 Jahren Jura – aber die Zulassung zum 1. Staatsexamen blieb ihnen vorerst verwehrt
Eines sei schon vorab gesagt: Frauen konnten im Deutschen Reich auch vor 100 Jahren Jura studieren. Der Zugang zu den deutschen Hochschulen war eine Errungenschaft, die sich Frauen mühsam erkämpft hatten. Da die Zulassung zu den Universitäten in die Länderzuständigkeit fiel, gab es unterschiedliche Zulassungsregelungen. Das erste Land, das die Zulassung von Frauen ermöglichte, war Baden (1900), gefolgt von Bayern (1903), Württemberg (1904), Sachsen (1906), Thüringen (1907), Hessen und Preußen (1908) sowie Mecklenburg (1909).
So weit, so gut. Frauen konnten also Jura studieren. Konnten sie im Anschluss auch einen juristischen Beruf ergreifen? Nein! Denn zunächst konnten Frauen das Jurastudium lediglich mit einer Promotion abschließen, nicht aber mit dem 1. Staatsexamen. Frauen konnten somit auch nicht zum Referendariat zugelassen werden. Denn damals wie heute war das 1. Staatsexamen notwendige Voraussetzung für die Zulassung zum Referendariat und das 2. Staatsexamen die Eintrittskarte für die Zulassung in den juristischen Berufen. Auch wenn Frauen zu einem späteren Zeitpunkt das Jurastudium mit dem 1. Staatsexamen abschließen konnten, so z.B. in Bayern (1912) und anschließend in Preußen (1919), blieb ihnen der Weg zum Referendariat i.d.R. versperrt.
Es stellt sich unweigerlich die Frage: Was bewegte diese Frauen, sich an den Universitäten für ein Jurastudium zu immatrikulieren, obwohl sie wussten, dass ihnen danach die Möglichkeit verwehrt blieb, als Anwältin, Richterin oder Staatsanwältin zu arbeiten? Auch wenn ihnen bewusst war, dass der Weg in die Anwaltschaft und Justiz versperrt war, so haben sich diese Frauen gleichwohl nicht davon abbringen lassen, Jura zu studieren. Bereits mit der Aufnahme des Jurastudiums setzten sie ein Zeichen gegen die anhaltende Diskriminierung. Viele von diesen Frauen wurden von ihren Großvätern, Vätern und Brüdern, die ihrerseits Juristen waren, unterstützt und setzten so die Familientradition fort.
Wenn Absolventinnen juristischer Fakultäten also nicht in den juristischen Berufen tätig werden konnten, was haben sie dann gemacht? Die Biografien dieser Frauen zeigen, dass einige von ihnen in Rechtsschutzstellen für Frauen und in Frauenschulen arbeiteten, journalistisch tätig wurden oder Hilfstätigkeiten in Rechtsanwaltskanzleien ausübten (vgl. Marion Röwekamp, Juristinnen, Lexikon zu Leben und Werk, 2005).
Dass man häufig etwas nur im Kollektiv bewirken kann, haben diese ersten Wegbereiterinnen erkannt. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und die gleichen Rechte bei der Zulassung zum juristischen Staatsexamen und zum Referendariat zu erkämpfen, schlossen sich u.a. Margarete Edelheim geb. Meseritz (später Edelheim Muehsam), Marie Munk und Margarete Berent in einer Berufsgruppe zusammen und gründeten 1914 den Deutschen Juristinnenverein.
Der lange Weg zur Berufszulassung – die Verleihung des Frauenwahlrechts und die Änderung der Weimarer Reichsverfassung als wesentliche Meilensteine
Die Ungerechtigkeit, zwar gemeinsam mit ihren männlichen Kommilitonen ein Jurastudium zu absolvieren, nicht aber zum Referendariat und zum 2. Staatsexamen zugelassen zu werden, haben viele Frauen so nicht hingenommen. Unermüdlich stellten sie individuelle Gesuche um Zulassung zum Staatsexamen bei den Justizverwaltungen. Auch wenn es vereinzelt zu der Zulassung einer Frau gekommen ist, so erhielten viele Frauen in allen Deutschen Ländern eine Absage auf ihre Zulassungsgesuche.
Mit der Verleihung des Frauenwahlrechts im Jahr 1918 wurde ein Meilenstein auf dem Weg zur Chancengleichheit gelegt. Mit dem Reichswahlgesetz erhielten Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Am 19. Januar 1919 konnte Frauen zum ersten Mal wählen und gewählt werden. Die politische Partizipation war Frauen nunmehr eröffnet.
Es folgten eine Verfassungsänderung im Jahr 1919 und die damit einhergehende Verleihung von Grundrechten in Art. 109 Weimarer Reichsverfassung (WRV) und Art. 128 WRV:
Art. 109 Abs. 1 WRV: Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
Art. 109 Abs. 2 WRV: Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
Art. 128 Abs. 1 WRV: Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen.
Art. 128 Abs. 2 WRV: Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.
Mit diesen Bestimmungen in der Reichsverfassung hatten die Frauen nun eine gute Argumentationsgrundlage. Sie konnten sich auf diese Bestimmungen berufen und eine geschlechtergerechte Auslegung von Gesetzen fordern. Aber als das nicht weiterführte, weil Länder und Deutsches Reich sich jeweils für unzuständig erklärten, verfolgten die Frauen einen neuen Weg: Sie forderten ein neues Gesetz – ein Gesetz über die Zulassung von Frauen zu juristischen Berufen.
Was dann folgte, war eine Diskussion mit heftigem Gegenwind von allen Seiten. Es wurden Ansichten geäußert, die in aller Deutlichkeit zeigen, welche Vorstellungen seinerzeit vorherrschten. Insbesondere vom Deutschen Richterbund war großer Widerstand zu vernehmen und so wurde auf einer Tagung im Mai 1921 im Rahmen der Diskussion zur Frage, ob die Frau als Berufsrichterin, Schöffin oder Geschworene zuzulassen ist, von dem Hauptredner, dem Landgerichtsdirektor Stadelmann, geäußert:
Ein psychischer Umstand lässt die Frau als ungeeignet erscheinen: Dies ist ihre seelische Eigenart, nach welcher sie in weitestgehendem Maße Gefühlseinflüssen unterworfen ist, welche ihre sachliche Auffassung beeinträchtigen. […] Sie bewirken, dass die Frau ihre Entscheidungen vielfach nicht sachlich nach intelligenzmäßiger Feststellung, sondern subjektiv nach diesen Gefühlseinflüssen trifft.
Der Redner war der Ansicht, dass die sich aus der „seelischen Eigenart“ der Frau ergebenden „Gefahren“ während der Monatsperiode, der Schwangerschaft und der Wechseljahre anstiegen, und führte aus:
Die aus der seelischen Eigenart der Frau und dem Einfluss der Monatsperiode, der Schwangerschaft und der Wechseljahre sich ergebenden Einwirkungen lassen sich auch durch die beste Berufsausbildung nicht beseitigen, nicht so beseitigen, dass die berufsrichterliche Objektivität mit Sicherheit gewährleistet würde.
Derselbe Redner führte weiter aus:
Die Unterstellung des Mannes unter den Willen und den Urteilsspruch einer Frau widerspricht der Stellung, welche die Natur dem Manne gegenüber der Frau angewiesen hat und wie sie durch die Verschiedenheit des Geschlechts begründet ist. […] Die gleichwohl erfolgende Unterstellung des Mannes unter den Richterspruch der Frau würde daher eine schwere Gefährdung des Ansehens der Gerichtezur Folge haben.
Ähnliche Stimmen gab es auch bei der Vertreterversammlung des Deutschen Anwaltsvereins im Januar 1922 zur Frage, ob Frauen zum Richteramt und zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen sind. Ein Redner, Rechtsanwalt Ebertsheimer, berief sich auf die vorherrschenden Stimmen aus der Wissenschaft und zitierte aus dem Werk des Psychologen Möbius:
Wollen wir ein Weib, das ganz seinen Mutterberuf erfüllt, so kann es kein männliches Gehirn haben. Ließe es sich machen, dass die weiblichen Fähigkeiten den männlichen gleich entwickelt würden, so würden die Mutterorgane verkümmern. Übermäßige Gehirntätigkeit macht das Weib nicht nur verkehrt, sondern auch krank. Soll das Weib das sein, wozu es die Natur bestimmt hat, so darf es nicht mit dem Manne wetteifern. Die modernen Närrinnen sind schlechte Gebärerinnen und schlechte Mütter.
Dass es unter Männern aber auch Befürworter der Zulassung gab, zeigt die Äußerung des Justizrats Dr. Bieber bei der selbigen Vertreterversammlung:
Die Zulassung von Frauen zu den Berufen der Rechtspflege liege im Interesse der Gesamtheit des Volkes, denn der Staat müsse seine Einrichtungen so treffen, dass möglichst alle Kreise ihrer Befriedigung darin fänden und sich veranlasst sähen, für den Staat zu arbeiten. Die Zulassung zu den Ämtern des Rechtswesens liege ferner im Interesse der Frau, denn eine Klasse und ein Stand werde danach gewertet, wie er im öffentlichen Leben stehe. Ein Stand, der von vornherein von der Teilnahme an der Regierung und Herrschaft ausgeschlossen sei, sei in der öffentlichen Meinung gedrückt. Wer sage die Frau sei unfähig, Jurist zu werden, sage, dass sie minderwertiger sei als der Mann.
Die gegen die Zulassung von Frauen ins Feld geführten Argumente wie die „seelische Eigenart“ und der „Einfluss der Monatsperiode, der Schwangerschaft und der Wechseljahre“ sollten verbergen, warum Frauen nicht Juristinnen werden sollten. Es ging nicht darum, Juraabsolventinnen zum Referendariat und anschließend nur zu einer gewöhnlichen Prüfung zuzulassen. Vielmehr ging es darum, was mit dem Abschluss des 2. Staatsexamens möglich gewesen wäre: Wie auch heute eröffnete das Referendariat, das wiederum mit dem 2. Staatsexamen beendet wurde, damals den Weg in den Justizdienst. Es ging somit um Macht bzw. um Machterhalt. Wenn Frauen Juristinnen hätten werden können, so hätten sie damit (theoretisch) die Möglichkeit gehabt, alle Machtpositionen zu bekleiden. Das war aber mit der tradierten Über- und Unterordnung von Mann und Frau nicht vereinbar und wäre auch dem Staatsaufbau diametral entgegengelaufen. Ein anderer Aspekt war, dass die Tätigkeit im öffentlichen Dienst die volle Rechtsfähigkeit voraussetzte. Verheiratete Frauen waren aber durch das Zivilrecht entrechtet und hatten somit keine vollständige Rechtsfähigkeit.
Die Fassade mit den geäußerten Argumenten wurde schließlich zum Einsturz gebracht. Nachdem sich die weiblichen Abgeordneten des Reichstags der Weimarer Republik zusammengetan und einen interfraktionellen Antrag, Frauen zu den juristischen Berufen zuzulassen, gestellt hatten, legte am 25. April 1922 der Reichsminister der Justiz Dr. Gustav Radbruch, als Befürworter der Zulassung, dem Reichstag den Entwurf eines Gesetzes über die Zulassung von Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege vor. Dieser wurde im Reichstag am 1. Juli 1922 angenommen. Das Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege wurde schließlich am 11. Juli 1922 verkündet (RGBl. 1922 I, S. 573). Gleich zu Beginn des Gesetzes wird das ausgesprochen, was Männern seit jeher zuerkannt wurde:
Mit diesen zehn Wörtern konnten Frauen nunmehr zum Referendariat und zum 2. Staatsexamen zugelassen werden. Die Zulassung zu den juristischen Berufen für Frauen war damit endlich eröffnet.
In unserer Blogreihe skizzieren wir Leben und Werk inspirierender Rechtsanwältinnen, Richterinnen und Juristinnen im Staatsdienst, die andere Frauen ermutigten und ihnen Wege bahnten, und geben einen historischen Überblick über die Berufszulassung für Frauen in juristischen Berufen in Europa.