Das Berufungsrecht ist wieder im Wandel. Bisher konnte aus der Tatsache, dass eine mündliche Verhandlung angeordnet wird, oft eine Erfolgsaussicht für die Berufung „orakelt″ werden. Die Neufassung des § 522 ZPO führt nun dazu, dass diese Prognose schwieriger wird (s. hierzu auch unser Beitrag vom 26.01.2011). Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ist nun wieder klar die Regel, ohne dass daraus bereits eine bestimmte Tendenz der Vorberatung abgeleitet werden kann.
Wir gehen davon aus, dass damit die Zahl der Zurückweisungsbeschlüsse nach § 522 ZPO – die nunmehr zusätzlich mit einer Nichtzulassungsbeschwerde und einer Beschwer von über € 20.000,- angegriffen werden können – eher zurückgehen wird. Angesichts der eingeführten Hürden dürfte es auch für (schnell) entschlossene Berufungsgerichte praktikabler sein, in eine mündliche Verhandlung zu gehen und ggf. dort eine Rücknahme einer aussichtslosen Berufung anzuregen.
Der vom Bundestag am 07.07.2011 beschlossene (noch nicht verkündete) Gesetzentwurf sieht vor, dass ein Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO bei Erfolglosigkeit der Berufung nicht mehr zwingend ist, sondern (nur) als Sollentscheidung des Berufungsgerichts ausgestaltet wird. Zudem muss ein etwaiger Zurückweisungsbeschluss von einstimmiger Überzeugung getragen sein und darf auch nur dann ergehen, wenn die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Die Kumulation einer Sollbestimmung (statt „hat“) mit den interpretationsfähigen Begriffen „offensichtlich“ (hierzu BVerfG NJW 2002,814: … wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar) und „nicht geboten“ (die Gesetzesbegründung verweist hier auf die „prozessuale Fairness“) eröffnet den Berufungsgerichten verfahrenstechnisch einen relativ weiten Spielraum. Damit ist die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wieder der Regelfall.
Die Neufassung des § 522 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO lautet nunmehr:
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
1. die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4. eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächliche Feststellung im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.