10. Februar 2023
Social Media Rechtsverfolgung CMS Stiftung
Kanzleialltag

„Wir dürfen nicht zulassen, dass wichtige Stimmen im Netz verloren gehen“

Digitale Gewalt bleibt häufig ungestraft. Um das zu ändern, unterstützt die CMS Stiftung HateAid bei der Sensibilisierung von Strafverfolgungsbehörden.

Der Mord an dem hessischen Politiker Walter Lübcke, dem Hass und Hetze im Netz vorausgingen; der Fall der Politikerin Renate Künast, die nach schweren Beleidigungen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwirkte, das hilft, Beleidigungen auf Facebook besser strafrechtlich verfolgbar zu machen; die Autorin Jasmin Kuhnke, die im Netz über Rassismus aufklärt und aus ihrem Haus ausziehen musste, nachdem ihre Adresse im Internet veröffentlicht worden war und sie Morddrohungen erhalten hatte – dies sind drei prominente Beispiele von vielen, die klarmachen, welche Ausmaße ein noch recht neues gesellschaftliches Phänomen mittlerweile angenommen hat: digitale Gewalt. 

Das Problem: Das Internet, insbesondere Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube, ist zu einem Ort geworden, an dem die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung vielfach missbraucht wird. Beleidigungen, Hasskommentare, Androhung von Gewalt bis hin zu Morddrohungen – all das ist Alltag im Netz und hat Auswirkungen auf das ganz reale, analoge Leben vieler Betroffener. Sich gegen die digitale Hetze zu wehren, ist eine Hürde: Beleidigungen werden viel öfter ausgehalten anstatt angezeigt. 

Eine Frage der Gewohnheit, denn es habe eine „Verschiebung von Straftaten“ im Netz gegeben, erklärt Dr. Sigmund Martin, Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, wo er für die Ausbildung von Beamten für den gehobenen Dienst verantwortlich ist.

Was früher eher eine Bagatelle war, wie bspw. eine Beleidigung, findet im Netz in einem gänzlich anderen Kontext statt. Und noch viel wichtiger ist: Wir beobachten eine zunehmende Radikalisierung, die auch Taten zur Folge hat.

Im Netz ausgesprochene Beleidigungen und Drohungen haben demnach auch immer häufiger Folgen für das reale Leben der Betroffenen.

Mehr Rechtssicherheit durch sensibilisierte Strafverfolgungsbehörden 

Eine Entwicklung, auf die Social-Media-Plattformen zu langsam reagieren. Und auch die Strafverfolgungsbehörden wissen in vielen Fällen keinen echten Rat und bleiben tatenlos. Zwar gibt es seit Februar 2022 beim Bundeskriminalamt die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI), die Meldungen über strafrechtlich relevante Online-Inhalte entgegennimmt, sie prüft und dann an die örtlich zuständigen Behörden weiterleitet, dennoch bleiben Straftaten vielfach ungestraft. Es gibt einfach noch zu wenig Urteile und der Gesetzgeber hat zwar erste Maßnahmen ergriffen, doch die Rechtsunsicherheit auf Seiten der Betroffenen ist noch sehr hoch. 

Die NGO HateAid versucht das zu ändern. Sie berät Betroffene von digitaler Gewalt und bietet rechtliche Unterstützung in Form von Prozesskostenfinanzierung an. Außerdem sensibilisiert HateAid aktiv Nutzer:innen von Social-Media-Plattformen sowie Politik und Behörden für alle Formen digitaler Gewalt, um die demokratischen Grundwerte auch im Netz zu schützen. In Vorträgen und Schulungen hilft HateAid z.B. Mitarbeitenden der Polizeien der Länder oder Studierenden an der Hochschule des Bundes, Fachbereich Kriminalpolizei beim Bundeskriminalamt, sich dem Thema zu nähern.

Die meisten Kriminalbeamt:innen und Staatsanwält:innen hängen beim Thema digitale Gewalt leider hinterher

sagt Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid.

Neunzig Prozent der Strafverfolgungsbehörden haben aber absolut offene Ohren. Die Wissbegierde ist definitiv da und der Handlungsbedarf erkannt.

Damit die Sensibilisierungsmaßnahmen nicht nur sporadisch und punktuell, sondern systematisiert angeboten werden können, fördert die CMS Stiftung seit letztem Jahr den Legal-Empowerment-Ansatz von HateAid. 

Stefanie Wismeth in Berlin Mitte

In unseren Gesprächen haben wir erfahren, dass die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden sich zwar als fruchtbar und effektiv erwiesen hat, aber noch erheblich ausgebaut und systematisiert werden müsste, um in der Breite zu wirken

sagt Stefanie Wismeth, Leiterin der Geschäftsstelle der CMS Stiftung.

Das passte für uns als Stiftung.

Mehr Zivilcourage und Rechtsdurchsetzung in der digitalen Welt

HateAid habe tiefe Einblicke in die Entwicklungen in den sozialen Netzwerken und kenne die Hintergründe von organisierten Hasskampagnen. Davon könnten Strafverfolgungsbehörden in ihrer Arbeit profitieren.

Je informierter und sensibilisierter das Personal in den Behörden und Gerichten ist, desto besser kann es die richtigen Entscheidungen treffen und einen gleichen Zugang zum Recht für alle Menschen sicherstellen

sagt Wismeth.

Damit leistet die CMS Stiftung auch einen Beitrag zur Umsetzung des UN-Nachhaltigkeitsziels 16, in dem es u.a. heißt:

Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern und allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen (…).

Genau das ist das Anliegen der CMS Stiftung. 

Mit den Mitteln der CMS Stiftung kann HateAid noch mehr Menschen in die Lage versetzen, digitale Straftaten zu erkennen und verfolgen zu lassen. Damit wächst die Rechtssicherheit für Betroffene, bekommen Opfer Zugang zum Recht.

Wir dürfen nicht zulassen, dass wichtige Stimmen im digitalen Diskurs verloren gehen, weil sie sich wegen Gewaltandrohung zurückziehen

sagt Anna-Lena von Hodenberg.

Wir brauchen Zivilcourage und Rechtsdurchsetzung unbedingt auch im Netz.

Tags: CMS Stiftung HateAid Kanzleialltag Social Media Strafverfolgung
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Marie von der Brüggen