22. November 2019
Individualvereinbarung AGB Haftungsbeschränkung
Commercial

Von AGB zur Individualvereinbarung

Haftungsklauseln in neuem Gewand – wie aus einer vorformulierten Haftungsregelung eine wirksame Individualvereinbarung werden kann.

Damit aus einer AGB-Klausel eine Individualvereinbarung wird, muss diese im Einzelnen ausgehandelt werden. Was einfach klingt, ist nach der Rechtsprechung des BGH selbst im unternehmerischen Geschäftsverkehr schwieriger als gedacht. Wir erklären Ihnen, worauf Sie achten sollten.

Wenig Spielraum für Haftungsbeschränkungen in AGB

Viele Unternehmen würden ihre Haftung gegenüber Vertragspartnern gerne so weit wie möglich beschränken. Inwieweit das erreichbar ist, hängt vor allem von zwei Faktoren ab:

Zum einen ist erforderlich, dass das Unternehmen gegenüber der anderen Vertragspartei überhaupt eine ausreichende wirtschaftliche Machtstellung hat, um eine Haftungsbeschränkung zu deren Lasten fordern zu können. Zum anderen ist natürlich die rechtliche Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen entscheidend.

Genau diese rechtliche Zulässigkeit bereitet dabei so manchem Unternehmen Kopfzerbrechen. Denn dem unternehmerischen Standardwerkzeug für die Absicherung eigener Interessen, den AGB, sind im Bereich der Haftungsbeschränkungen enge Grenzen gesetzt. Beispielsweise ist die Vereinbarung einer Haftungshöchstgrenze oder der Ausschluss der Haftung für Fahrlässigkeit nur sehr begrenzt zulässig. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit nach der stetigen Rechtsprechung des BGH nicht nur gegenüber Verbrauchern, sondern auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr gelten.

Ausweg: Aushandeln von Individualvereinbarungen

Um den engen Grenzen des AGB-Rechts zu entgehen, besteht im Ergebnis nur die Möglichkeit, die eigenen Haftungsbedingungen im Rahmen von Individualvereinbarungen durchzusetzen. Diese unterliegen nämlich nicht der strengen AGB-Kontrolle, sondern sind nur durch den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB und die Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB begrenzt. Dadurch bieten Individualvereinbarungen wesentlich mehr Flexibilität und einen größeren Gestaltungsspielraum für Haftungsbeschränkungen.

Damit aus einer vorformulierten Vertragsbedingung eine Individualvereinbarung wird, muss diese gem. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB im Einzelnen ausgehandelt werden. Welche Anforderungen an das Aushandeln zu stellen sind, hat der BGH in seiner Rechtsprechung mehrfach konkretisiert.

Hohe Anforderungen an das Aushandeln einer Individualvereinbarung

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist erforderlich, dass die Vertragspartei, die die Klausel vorlegt, deren Inhalt ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (BGH, Urteil v. 23. Januar 2003 – VII ZR 210/01; BGH, Urteil v. 17. April 2018 – XI ZR 238/16; BGH, Urteil v. 16. Juli 1998 -VII ZR 9/97). Der Verwender der Klausel muss also zum Ausdruck bringen, dass er bereit ist vom bisherigen Inhalt abzurücken und eine Veränderung zugunsten des Vertragspartners vorzunehmen. Dabei ist für jede Klausel einzeln festzustellen, ob sie ausgehandelt wurde. Von den Verhandlungen unangetastete Vertragsbedingungen unterliegen weiterhin der AGB-Kontrolle.

Was das im Einzelfall bedeutet, lässt sich am besten an ein paar Beispielen aus der Rechtsprechung des BGH verdeutlichen:

So hat der BGH entschieden, dass kein Aushandeln vorliege, obwohl der Vertragspartner eine Klausel kritisiert und die Parteien daraufhin über die Gestaltung diskutiert haben, solange die Formulierung der Klausel im Ergebnis unverändert bleibt. Denn dann könne nicht angenommen werden kann, dass der Inhalt tatsächlich zur Disposition stand (BGH, Urteil v. 22. November 2012 – VII ZR 222/12).

Ebenfalls reiche es nicht aus, wenn der Verwender der AGB lediglich gewillt ist, die nachteilige Wirkung einer vom Gesetz abweichenden Klausel im Zuge von Verhandlungen abzuschwächen. Vielmehr müsse er die Bereitschaft zeigen, vom gesamten gesetzesfremden Inhalt abzurücken (BGH, Urteil v. 22. Oktober 2015 – VII ZR 58/14).

Auch die vom Verwender geäußerte Bitte:

Falls Sie Anmerkungen oder Änderungswünsche haben, lassen Sie uns dies wissen,

lässt der BGH nicht als aushandeln gelten. Zwar signalisiere der Verwender dadurch eine gewisse Verhandlungsbereitschaft, es müssten aber auch tatsächliche Verhandlungen stattfinden (BGH, Urteil v. 20. Januar 2016 – VIII ZR 26/15). Bleibt der Vertragspartner also passiv, kann von einem Aushandeln nicht ausgegangen werden.

Selbst eine schriftliche Bestätigung der Vertragsparteien, dass die Klauseln im Einzelnen ausgehandelt wurden, reicht nach dem BGH nicht aus, da sich daraus allein noch nicht ergebe, dass der Verwender wirklich zu konkreten Änderungen bereit war (BGH, Urteil v. 20. März 2014 – VII ZR 248/13).

„Paketlösungen“ als Schlüssel zur Individualvereinbarung

Die Beispiele verdeutlichen, dass der BGH strenge Anforderungen an das Aushandeln gem. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB stellt. Demnach kann von einer individuellen Vereinbarung in der Regel nur ausgegangen werden, wenn der Inhalt der vorformulierten Klausel signifikant geändert wird (BGH, Urteil v. 22. November 2012 – VII ZR 222/12). Bleibt der Text hingegen unverändert, kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden, dass der Inhalt der Klausel tatsächlich zur Disposition stand.

Eine Möglichkeit, echte Änderungsbereitschaft zu zeigen und trotzdem die Durchsetzung eigener Interessen zu gewährleisten, besteht in der Verhandlung von „Paketlösungen“, bei denen die Vertragspartner mehrere Klauseln gemeinsam verhandeln. Durch die Verknüpfung besteht die Möglichkeit, dass der Vertragspartner an einer Stelle eine für ihn nachteilige Regelung in Kauf nimmt, um dafür seine Interessen in einer anderen Klausel durchzusetzen. So kann laut BGH ein Aushandeln vorliegen, wenn dem Vertragspartner verschiedene, vorformulierte Varianten einer Klausel zu unterschiedlichen Konditionen hinsichtlich des Preises oder der Vertragslaufzeit zur Auswahl vorgelegt werden (BGH, Urteil v. 06. Dezember 2002 – V ZR 220/02; BGH, Urteil v. 20. Dezember 2007 – III ZR 144/07; BGH, Urteil v. 20. März 2018 – X ZR 25/17).

In einer „Paketlösung“ könnte also dem wirtschaftlichen Risiko, dass eine bestimmten Haftungsregelung mit sich bringt, durch Kompensation des Vertragspartners an anderer Stelle des Vertrags Rechnung getragen werden. Wichtig ist dabei, dass der Vertragspartner erkennt, dass zwischen dem Verhandlungsergebnis der jeweiligen Klauseln ein Zusammenhang besteht und er durch die Auswahlmöglichkeiten den Inhalt der Regelung in ausreichendem Maße mitgestalten kann.

Fazit: Ein Aushandeln von Vertragsklauseln nur bei tatsächlicher Gestaltungsmöglichkeit, die aktiv von beiden Vertragsparteien wahrgenommen wird

Die Vereinbarung einer individuellen Haftungsregelung, als Ausweg aus dem strengen Regiment der AGB-Kontrolle, ist durch die Rechtsprechung des BGH mit einigen Hürden verbunden. Denn die strengen Maßstäbe machen es schwer, allgemeingültige Fallgruppen zum Vorliegen eines Aushandelns zu entwickeln. Insofern muss eine Prüfung immer am konkreten Sachverhalt erfolgen.

Jedenfalls erforderlich ist, dass der Verwender der Haftungsklausel tatsächlich bereit ist, deren Inhalt zu ändern und seinem Vertragspartner Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Zudem ist entscheidend, dass der Vertragspartner nicht passiv bleibt, sondern die vom Verwender eigeräumte Möglichkeit zum Verhandeln auch tatsächlich wahrnimmt.

Zuletzt ist noch zu beachten, dass die Beweislast für das Aushandeln einer Vertragsbedingung immer beim jeweiligen Verwender liegt. Dieser muss also beweisen, dass er bereit war vom gesetzesfremden Inhalt abzurücken. Da dies wegen der hohen Anforderungen des BGH meistens nicht einfach ist, sollte der gesamte Verhandlungsprozess genau dokumentiert werden.

Tags: AGB Haftungsbeschränkung Individualvereinbarung