Nachdem das Hinweisgeberschutzgesetz im Februar im Bundesrat einstweilen gescheitert war, nahmen die Regierungsfraktionen am 17. März 2023 einen neuen Anlauf im Bundestag.
Die Debatte um das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) geht in die nächste Runde. Die EU-Hinweisgeberrichtlinie (2019/1937) hätte bereits zum 17. Dezember 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Daraus wurde unter der alten Regierungskoalition bekanntlich nichts.
Mit gut einem Jahr Verspätung hatte im Dezember 2022 der Bundestag den vom Rechtsausschuss etwas modifizierten Regierungsentwurf zum HinSchG verabschiedet (BT-Drs. 20/4909). Das Gesetz scheiterte jedoch am 10. Februar 2023 im Bundesrat, da die von der Union mitregierten Bundesländer dem Gesetzesentwurf wegen inhaltlicher Bedenken nicht zustimmten.
Zwischenzeitlich erhob die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof Vertragsverletzungsklage wegen der verspäteten Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie. Am 17. März wurde auf Antrag der Regierungsparteien nun (wieder einmal) in erster Lesung der alte Entwurf zum HinSchG im neuen Gewand behandelt (BT-Drs. 50/5992).
Griff in die Trickkiste – Aufspaltung in zwei Gesetzesentwürfe
Viele Beobachter* hatten nach dem Aus im Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses erwartet, den jedoch weder der Bundesrat noch die Bundesregierung und der Bundestag angerufen haben. Und so kam es überraschend schnell anders.
Die Regierungsparteien griffen tief in die parlamentarische Trickkiste und spalteten den bisherigen Gesetzesentwurf in zwei Entwürfe auf: In einen Entwurf, der sämtliche zustimmungsfreie Regelungen enthält und insoweit dem letzten vom Bundestag beschlossenen Gesetzeswortlaut entspricht, und einen Teil, der die wenigen zustimmungspflichtigen Aspekte „abkapselt“. Bezeichnet wird es als „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“ (20/5991).
Im Einzelnen: Beamte und Richter der Länder, Gemeinden sowie der Landeskörperschaften und Anstalten wurden aus dem persönlichen Anwendungsbereich des im Übrigen zustimmungsfreien Entwurfs herausgenommen und in das Ergänzungsgesetz gesteckt. Da dieser nun zustimmungsfreie Gesetzesentwurf nicht mehr die Belange der Länder berühren soll, ist eine Zustimmung des Bundesrates mit Blick auf Art. 74 Abs. 2 GG nach Meinung der Regierungsparteien nicht mehr erforderlich. Der Bundestag kann das Gesetz somit alleine verabschieden. Dem Bundesrat bleibt lediglich die Möglichkeit eines Einspruchs, der jedoch als wenig wahrscheinlich gilt, da die Unionsparteien alleine einen entsprechenden Beschluss des Bundesrates nicht werden erzwingen können. Die zustimmungspflichtige Regelung zur Erstreckung des Gesetzes auf die Landesbeamten ist hingegen in einem separaten Gesetzesentwurf geregelt, der der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dieser Entwurf im Bundesrat scheitern wird.
Keine inhaltlichen Änderungen im neuen Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes
Inhaltlich sieht der neue Gesetzesentwurf zum HinSchG im Übrigen keine Änderungen vor. Insbesondere die im Dezember 2022 vom Rechtsausschuss des Bundestages vorgeschlagenen Ergänzungen sollen unverändert umgesetzt werden. Für Unternehmen bedeutet dies Folgendes:
- Unternehmen mit mehr als 249 Mitarbeitenden müssen interne Meldekanäle einrichten, die Hinweisgebenden eine geschützte und vertrauliche Abgabe von Meldungen ermöglichen; ab dem 17. Dezember 2023 soll diese Verpflichtung für alle Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden gelten. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen konzernangehörige Unternehmen weiterhin die Möglichkeit haben, auf einen Konzern-Meldekanal zuzugreifen.
- Unternehmen müssen ab 2025 auch anonym abgegebene Meldungen bearbeiten und Vorkehrungen treffen, um mit anonym bleibenden Hinweisgebenden kommunizieren zu können.
- Wie schon zuletzt sollen Hinweisgebende nicht nur bei Meldungen von Verstößen gegen EU-Recht geschützt sein, sondern auch bei Meldungen über Straftaten und bestimmte Ordnungswidrigkeiten.
- In zeitlicher Hinsicht gibt es eine relevante Änderung: Anders als im bisherigen Gesetzesentwurf ist nun vorgesehen, dass das Gesetz bereits einen Monat nach seiner Verkündung in Kraft treten soll; bislang war eine Frist von drei Monaten vorgesehen. Dafür soll die Verpflichtung zur Einrichtung eines internen Meldekanals nun erst sechs Monate nach Verkündung des Gesetzes bußgeldbewehrt sein.
Inhaltliche Streitpunkte: Anwendungsbereich und anonyme Meldungen
Wie schon im Bundesrat am 10. Februar 2023 wurden in der Bundestagssitzung am 17. März 2023 seitens der Opposition die bereits bekannten Kritikpunkte gegen das Gesetz vorgebracht. Der Streit dreht sich abermals um die Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Strafgesetze und Ordnungswidrigkeiten sowie die Verpflichtung zur Bearbeitung anonymer Meldungen. Beides führe aus Sicht der Opposition zu einer unverhältnismäßigen Belastung kleinerer und mittlerer Unternehmen.
Aus Praxissicht sind die vorgebrachten Bedenken wenig überzeugend. Die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Verstöße gegen Strafgesetze führt wohl kaum zu einer nennenswerten zusätzlichen Belastung der Unternehmen. Aus Compliance-Sicht sollte es auch im Interesse jedes Unternehmens liegen, wenn über das Hinweisgebersystem auch Meldungen zu Straftaten abgegeben werden. Potentiellen Hinweisgebenden wäre es schlicht nicht vermittelbar, wenn bspw. Meldungen über Verstöße gegen Produktsicherheitsvorschriften geschützt, Meldungen über schwere Untreue- oder Korruptionstaten von Unternehmensangehörigen hingegen nicht geschützt wären.
Was die Regelungen zur Anonymität angeht, zeigen die Erfahrungen aus den großen öffentlich bekannt gewordenen Whistleblowing-Fällen zudem, dass nur die Möglichkeit zur Abgabe anonymer Meldungen ausreichend Sicherheit und Vertrauen schafft, um die Hemmschwelle bei potentiellen Hinweisgebenden zu senken. Die Mehrzahl der Unternehmen, die schon länger ein Hinweisgebersystem nutzen, betreiben aus diesem Grund Kanäle mit der Möglichkeit für anonyme Meldungen. Die Sorge, anonyme Meldungen würden Missbrauch und Denunziantentum nach sich ziehen, ist demgegenüber im Wesentlichen unbegründet.
Auch die Bedenken wegen der Kostenbelastung aufgrund der notwendigen Nutzung digitaler Hinweisgebersysteme fallen kaum ins Gewicht. Für kleinere und mittlere Unternehmen sind gute Hinweisgebersysteme je nach Anbieter bereits für EUR 50 bis 130 im Monat zu haben.
Aufspaltung statt einer inhaltlichen Einigung: Streitpunkte mit Blick auf das Taktieren im Gesetzgebungsverfahren
Die Oppositionsfraktionen und Prof. Dr. Roman Poseck, Hessischer Minister der Justiz und als solcher Vertreter des Bundesrats, kritisierten, dass man den Weg der Aufspaltung in zwei Gesetzesvorhaben gewählt und nicht den Versuch gewagt habe, eine inhaltliche Einigung zu erzielen. Man wolle das Zustimmungserfordernis des Bundesrats schlicht umgehen. Ein Zustimmungserfordernis des Bundesrats könne sich ferner nicht nur aus Art. 74 Abs. 2 GG, sondern auch aus Art. 80 Abs. 1 GG und Art. 84 Abs. 1 GG ergeben. So bleibt die inhaltliche Kritik der Oppositionsfraktionen unverändert bestehen.
Fazit und Ausblick: Das Hinweisgeberschutzgesetz wird kommen!
Der Bundestag hat den Gesetzesentwurf nach der ersten Lesung in den Rechtsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen. Da der weitgehend identische Entwurf bereits im vergangenen Jahr den Rechtsausschuss passiert hat und die dortigen Empfehlungen allesamt auch im aktuellen Entwurf enthalten sind, dürfte der Entwurf den Ausschuss dieses Mal zügig passieren. Für den 27. März 2023 hat der Rechtsausschuss eine öffentliche Sachverständigenanhörung angesetzt. Bereits für den 30. März 2023 ist sodann die Abstimmung des Entwurfs im Bundestag anberaumt. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz dort mit den Stimmen der Regierungskoalition verabschiedet wird. Das Gesetz soll sodann einen Monat nach Verkündung in Kraft treten. Damit dürfte wohl noch im Mai 2023 zu rechnen sein.
Diese Entwicklung gibt allen Unternehmen mit mind. 50 Beschäftigten, die noch über kein Hinweisgebersystem verfügen, Anlass, sich mit der Implementierung eines solchen Systems zu befassen. Wer sich bislang in der Hoffnung auf eine langwierige Verzögerung zurückgelehnt hat, sollte die Zeit nun nutzen. Wie die Erfahrung aus der anwaltlichen Praxis zeigt, sind beim Aufbau eines Hinweisgebersystems viele Fragen rechtlicher, technischer und organisatorischer Art zu klären. Sofern ein Unternehmen international aufgestellt ist und mehrere Jurisdiktionen zu berücksichtigen sind, wird die Umsetzung mitunter deutlich komplizierter. Regelmäßig sind auch Änderungen im Compliance-Management, insbesondere die Überarbeitung von Compliance-Richtlinien, erforderlich.
Zu denken ist nicht zuletzt an die notwendige datenschutzrechtliche Dokumentation und die arbeitsrechtliche Implementierung. Hierfür ist ausreichend Zeit einzuplanen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.