6. Juni 2023
Hinweisgeberschutzgesetz
Compliance

Das Ende der unendlichen Geschichte – das Hinweisgeberschutzgesetz kommt (jetzt aber wirklich)! – Update #1

Nach etlichen Anläufen im Gesetzgebungsverfahren haben Bundestag und Bundesrat das Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen.

Schon in der vorangegangenen Legislaturperiode sorgte die Debatte um das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) zur Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie 2019/1937 (Hinweisgeberrichtlinie) für Streit innerhalb der großen Koalition. Der damalige Referentenentwurf wurde daraufhin nicht weiterverfolgt und die Frist zur Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie konnte nicht eingehalten werden. 

Mit fast eineinhalb Jahren Verspätung wurde das HinSchG vom Bundestag beschlossen und erhielt die Zustimmung des Bundesrats. Das Gesetz wird voraussichtlich noch im Juni 2023 in Kraft treten.

Längst überfällige Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie 

Vorausgegangen war ein gefühlt endloses Hin und Her im Gesetzgebungsverfahren mit einigen Kehrtwenden. Bekanntlich hätte die EU-Hinweisgeberrichtlinie bis zum 17. Dezember 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Als der mit gut einem Jahr Verspätung am 16. Dezember 2022 vom Bundestag beschlossene Regierungsentwurf der Ampelkoalition zum HinSchG (BT-Drs. 20/4909) am 10. Februar 2023 im Bundesrat scheiterte, war zunächst nicht mehr mit einem schnellen Ende des Gesetzgebungsverfahrens zu rechnen. 

Zu allem Überfluss verklagte die EU-Kommission am 15. Februar 2023 Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der verspäteten Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie und verlangte für jeden Tag des Verzugs eine Strafe von EUR 61.600, insgesamt jedoch mind. EUR 17.248.000. Hierauf versuchten die Regierungsparteien zunächst, durch einen Griff in die parlamentarische Trickkiste das HinSchG umzusetzen. Sie teilten den bisherigen Entwurf in zwei Entwürfe auf – einen Teil, der zustimmungsfreie Regelungen enthielt, und einen Teil, der die zustimmungspflichtigen Aspekte zur Anwendung des Gesetzes auf Landesbeamte* und Landesbehörden davon „abkapselte“. Der zustimmungsfreie Teil sollte am Bundesrat vorbei beschlossen werden, damit das HinSchG wie geplant in Kraft treten konnte. 

Doch der Plan ging nicht auf: Die Aufspaltung des HinSchG in zwei unterschiedliche Gesetze zur Umgehung der notwendigen Zustimmung des Bundesrates löste erhebliche Empörung über das Vorgehen der Ampelkoalition aus. Es war die Rede von einem Machtmissbrauch, in der Union wurde sogar von einem „einmaligen Tiefpunkt in der Verfassungsgeschichte“ gesprochen. Aber auch inhaltliche Bedenken wurden laut. Denn infolge der Aufspaltung wäre nach Verabschiedung nur des zustimmungsfreien Gesetzes die Hinweisgeberrichtlinie nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt worden. Aufgrund der erheblichen Bedenken und Widerstände nahm die Bundesregierung von dem Vorhaben Abstand und rief stattdessen den Vermittlungsausschuss an.

Im Vermittlungsausschuss konnte nun endlich ein Kompromiss gefunden werden. Der Lösungsvorschlag griff den im Februar im Bundesrat gescheiterten Gesetzesentwurf auf und führte zu einzelnen Änderungen am bisherigen Regierungsentwurf. 

Keine Änderungen im Anwendungsbereich des HinSchG

Der von Ampel und Union gefundene Kompromiss enthält keine Änderungen im Anwendungsbereich des HinSchG. Für die Ampel war der weitgefasste Anwendungsbereich offenkundig nicht verhandelbar. Damit bleibt es dabei, dass das HinSchG über die Vorgaben der EU-Hinweisgeberrichtlinie hinausgeht. Für Unternehmen bedeutet dies konkret:

  • Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten müssen interne Meldekanäle einrichten, die Hinweisgebenden eine geschützte und vertrauliche Abgabe von Meldungen ermöglichen; für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten gilt diese Verpflichtung ab dem 17. Dezember 2023. Nach der Gesetzesbegründung sollen konzernangehörige Unternehmen weiterhin die Möglichkeit haben, auf einen Konzern-Meldekanal zuzugreifen (sog. Konzernlösung).
  • Wie schon nach den letzten Entwürfen zum HinSchG werden Hinweisgebende nicht nur bei einer Meldung von Verstößen gegen EU-Recht, sondern auch bei Meldungen über Verstöße gegen nationales Recht geschützt; dies schließt insbesondere Straftaten und bestimmte Ordnungswidrigkeiten ein. 

Verzicht auf Pflicht zur Entgegennahme und Bearbeitung von anonymen Meldungen

Wichtigstes Anliegen der Union und wesentlichste Neuerung für Unternehmen ist, dass diese nun doch nicht verpflichtet werden, anonyme Meldungen zu bearbeiten und hierfür einen sicheren Kommunikationskanal (ein digitales Hinweisgebersystem) einzurichten. Anonym abgegebene Hinweise „sollten“ aber dennoch bearbeitet werden. Diese Änderung beruht auf der Besorgnis, dass anonyme Meldungen zur Denunzierung von Mitarbeitenden genutzt werden könnten. Zugleich soll den Unternehmen auch Aufwand bei der Umsetzung des HinSchG erspart werden. 

Das Anliegen, mit dem HinSchG kein Denunziantentum fördern zu wollen, ist per se verständlich und nachvollziehbar. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt indes, dass Denunziantentum im Zusammenhang mit Hinweisgebersystemen die Ausnahme ist. Hingegen sieht man bei Unternehmen, die bereits freiwillig ein Hinweisgebersystem betreiben, dass begründete Meldungen über Verstöße häufig anonym abgegeben werden. 

Niedrigeres Bußgeld und weitere Änderungen

Der Bußgeldrahmen für Verstöße gegen die Bestimmungen des HinSchG wurde geändert. Der max. Bußgeldrahmen wurde von bis zu EUR 100.000 Euro auf max. EUR 50.000 reduziert. Auch wenn die Bestimmungen des HinSchG bereits einen Monat nach Verkündung in Kraft treten sollen, drohen Bußgelder für Unternehmen, die noch kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben, erst sechs Monate nach der Verkündung des HinSchG. 

Für potenzielle Hinweisgebenden gab es ebenfalls Änderungen: Zu nennen ist die Streichung des Ersatzes von immateriellen Schäden (Schmerzensgeld) im Fall von erlittenen Benachteiligungen aufgrund von Meldungen. Die gesetzlich vorgesehene Beweislastumkehr zugunsten hinweisgebender Personen im Fall von Benachteiligungen soll ferner nur dann greifen, wenn die hinweisgebende Person ausdrücklich geltend macht, dass die Benachteiligungen auf der abgegebenen Meldung beruhen.

Viel Geschrei und wenig Wolle – die späte Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie dürfte teuer werden

Zieht man Bilanz zum Streit um das HinSchG, zeigt sich: Am Ende steht viel Geschrei und wenig Wolle. Ob die nun vorgenommenen Änderungen am HinSchG die erhebliche Verzögerung bei der Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie rechtfertigen, erscheint fraglich. 

Auch wenn Deutschland es nun geschafft hat, die Hinweisgeberrichtlinie während der Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof umzusetzen, ist nicht davon auszugehen, dass die EU-Kommission ihre Klage im Vertragsverletzungsverfahren zurücknimmt. Es ist zu erwarten, dass die EU-Kommission zumindest an ihrem Antrag auf Verhängung des beantragten Pauschalbetrags festhält. Die verspätete Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie dürfte für Deutschland daher teuer werden.

Ausblick für Unternehmen

Ungeachtet aller Kritik werden Hinweisgebersysteme nun endgültig in deutschen Unternehmen ankommen (müssen). Zwar gehört ein Hinweisgebersystem schon seit einigen Jahren zu den wichtigen Bausteinen eines funktionierenden Compliance-Management-Systems, allerdings wurde das Thema in vielen deutschen Unternehmen lange kritisch beäugt.  

Die Frage, ob Unternehmen anonyme Meldungen bearbeiten sollten oder nicht, ist aus Compliance-Sicht klar zu bejahen. Hierfür sprechen mehrere Gründe: Die Möglichkeit zur anonymen Meldungsabgabe bietet für viele Hinweisgebende ein zusätzliches Maß an Sicherheit und gibt häufig erst den Anstoß, eine Meldung abzugeben. Daran dürfte sich auch durch den künftig geltenden gesetzlichen Schutz von Hinweisgebenden vor Benachteiligungen nicht viel ändern. Bei fehlender Möglichkeit zur Abgabe anonymer Meldungen besteht daher das Risiko, dass Hinweisgebende eine Meldung künftig entweder an die (staatliche) externe Meldestelle machen oder von einer Meldung gänzlich absehen. Beides wäre nicht i.S.d. betroffenen Unternehmens. 

Unternehmensleiter sind zudem aufgrund der Legalitätspflicht schon heute verpflichtet, plausibel erscheinenden Meldungen über Verstöße nachzugehen, unabhängig davon, ob diese anonym abgegeben wurden oder nicht. Nicht zuletzt dürfte die Entgegennahme anonymer Meldungen auch eine nicht unwesentliche Rolle bei der Frage spielen, ob ein eingerichtetes Compliance-Management-System als wirksam angesehen werden kann. Die Wirksamkeit ist wiederum im Fall der Fälle ein wesentliches Kriterium für die Bemessung einer Unternehmensgeldbuße. Demnach ist Unternehmen die Entgegennahme und Bearbeitung von anonymen Meldungen weiterhin unbedingt zu empfehlen. 

Für alle Unternehmen, die bislang noch kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben, besteht nun Handlungsbedarf. Die Einrichtung eines Hinweisgebersystems ist ein nicht zu unterschätzendes Projekt, für das ausreichend Zeit eingeplant werden sollte. Bei der Umsetzung stellen sich eine Reihe hinweisgeberrechtlicher, arbeitsrechtlicher und datenschutzrechtlicher Fragen, die es zu klären gilt. Kleinere und mittlere Unternehmen müssen angesichts knapper personeller Ressourcen zudem klären, wer (innerhalb oder außerhalb des Unternehmens) für die einzurichtende Meldestelle tätig werden soll. Unternehmen mit ausländischen Tochtergesellschaften müssen schließlich nicht nur das deutsche HinSchG, sondern auch die nationalen Hinweisgeberschutzgesetze in den betroffenen Mitgliedsstaaten berücksichtigen. 

Update #1: Das HinSchG tritt am 2. Juli 2023 in Kraft

Und nun wird es schnell ernst: Das HinSchG wurde am 2. Juni 2023 im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2023 I Nr. 140 vom 2. Juni 2023) verkündet. Es tritt folglich am 2. Juli 2023 in Kraft. Damit tickt für alle Unternehmen die Uhr für die rechtzeitige Umsetzung des HinSchG. Ein Update mit weiteren Informationen zum Thema geben wir Ihnen gerne am 14. Juni 2023 um 10 Uhr in unserem Webinar „Das Hinweisgebeschutzgesetz kommt – was Unternehmen jetzt wissen müssen“ (Teil 4 unserer Webinar Reihe Compliance Sessions 2023). Zur kostenfreien Anmeldung gelangen Sie hier.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Compliance Hinweisgeberrichtlinie Hinweisgeberschutzgesetz