EuGH erklärt asymmetrische Gerichtsstandsabreden für grundsätzlich wirksam, der Teufel steckt allerdings in der Klauselgestaltung.
Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen sind im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, insbesondere in Finanzierungsverträgen, weit verbreitet. Sie sehen in der Regel die ausschließliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts vor, räumen jedoch einer Partei – meist dem Kredit- oder Sicherungsgeber – zusätzlich das Recht ein, auch vor anderen zuständigen Gerichten Klage zu erheben. Die privilegierte Partei kann damit im Streitfall gezielt den Gerichtsstand wählen, an dem der Schuldner Vermögenswerte besitzt, um eine effektive Vollstreckung zu erreichen. Lange Zeit war unklar, wie solche Abreden im vereinheitlichten europäischen Verfahrensrecht zu bewerten sind. In einer Entscheidung vom Ende Februar 2025 hat der EuGH nun grundlegende Vorgaben getroffen, die maßgeblichen Einfluss auf die vertragliche Ausgestaltung asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen haben.
Bisherige Rechtslage und divergierende nationale Rechtsprechung
Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen in Finanzierungsverträgen lauten typischerweise wie folgt:
Für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag ist das Gericht X ausschließlich zuständig, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Dem Darlehensgeber bleibt jedoch vorbehalten, den Darlehensnehmer auch vor jedem anderen zuständigen Gericht zu verklagen.
Nationale Gerichte innerhalb der EU haben die Wirksamkeit derartiger Vereinbarungen bislang unterschiedlich beurteilt. Während deutsche und italienische Gerichte sie im Grundsatz als wirksam betrachteten, störte sich der französiche Cour de Cassation in der Vergangenheit an der mit der Asymmetrie einhergehenden strukturellen Ungleichbehandlung der Parteien und erklärte derartige Abreden für unwirksam.
Diese divergierende nationale Rechtsprechung führte zur Unsicherheit bei der Anwendung der vereinheitlichten europäischen Zuständigkeitsvorschriften in der EuGVVO, die gelten, wenn die ausschließliche Zuständigkeit eines EU-mitgliedstaatlichen Gerichts vereinbart wurde oder der Beklagte seinen Wohnsitz innerhalb der EU hat.
Das EuGH-Urteil: Hintergrund und Kernaussagen
Hintergrund des EuGH-Urteils vom 27. Februar 2025 in Sachen Società Italiana Lastre (SIL) SpA./. Agora SARL (C-537/23) war ein Streit zwischen einer italienischen Verkäuferin und einer französischen Käuferin, deren Liefervertrag eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung mit folgendem Inhalt vorsah: Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts in Brescia (Italien) mit dem zusätzlichen Recht der Verkäuferin,
vor einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland vorzugehen.
Ungeachtet dieser Abrede nahm die französische Käuferin die italienische Verkäuferin vor französischen Gerichten in Anspruch. Den Einwand der entgegenstehenden Gerichtsstandsabrede wiesen die Gerichte in Frankreich in erster und zweiter Instanz zurück. Die Verkäuferin legte Kassationsbeschwerde beim Cour de Cassation in Paris ein, der dem EuGH mehrere Fragen betreffend die Wirksamkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen nach der EuGVVO vorlegte.
Der EuGH stellte klar, dass die Wirksamkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nach nationalem Recht, sondern euroautonom nach Art. 25 EuGVVO zu beurteilen ist. Mit Blick auf die Systematik der EuGVVO und die Vertragsautonomie erklärte der EuGH, dass die Asymmetrie einer Gerichtsstandsklausel – entgegen der Auffassung der französischen Gerichte – nicht automatisch ihre Ungültigkeit zur Folge hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die Abrede dem Genauigkeitserfordernis in Art. 25 EuGVVO genügt und nicht die Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern, Versicherungsnehmern oder einen ausschließlichen Gerichtsstand missachtet (Art. 15, 19, 23, 24 i.V.m. 25 Abs. 4 EuGVVO).
Das Genauigkeitserfordernis erklärte der EuGH jedenfalls dann für gewahrt, wenn die Vereinbarung die privilegierte Partei auf die zuständigen Gerichte nach der EuGVVO oder dem Lugano Übereinkommen (LugÜ), das im Verhältnis zu Schweiz, Norwegen und Island gilt, beschränkt. Durch den Verweis auf die EuGVVO oder das LugÜ seien hinreichend objektive Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Gerichts bezeichnet, weil in Wahrheit nur auf die allgemeinen Zuständigkeitsregeln in der Verordnung und das Übereinkommen verwiesen wird.
Verletzt sei das Genauigkeitserfordernis allerdings, wenn die asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung auf „sonst zuständige Gerichte“ verweist und damit der privilegierten Partei die Möglichkeit eröffnet, auch Gerichte außerhalb der EU bzw. eines LugÜ-Vertragsstaats zu klagen. Bei einer solchen Abrede ist es nach Auffassung des EuGH nicht möglich, das zuständige Gericht vorhersehbar, transparent und rechtssicher zu bestimmen. Das zuständige Gerichte lasse sich in solchen Fällen nicht nach dem Unionsrecht ermitteln, sondern erfordere ggf. die Anwendung des internationalen Privatrechts von Drittstaaten, woraus eine erhöhte Gefahr von Kompetenzkonflikten resultiere. Ob eine asymmetrische Gerichtsstandsklausel der privilegierten Partei im Einzelfall den Weg zu einem drittstaatlichen Gericht eröffnet und damit unwirksam ist, erklärte der EuGH für eine Frage der Auslegung, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu beantworten ist.
Auswirkungen für die Vertragspraxis bei Sachverhalten ohne Drittstaatenbezug
Für internationale Sachverhalte mit ausschließlichem Bezug zu EU, Island, Norwegen und Schweiz hat der EuGH klare Vorgaben für die vertragliche Gestaltung gemacht:
Parteien können rechtssicher eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung treffen, die ein Gericht eines EU-Mitgliedstaats der EU oder eines LugÜ-Vertragsstaats für ausschließlich zuständig bestimmt und gleichzeitig nach ihrer ausdrücklichen Formulierung einem Vertragspartner das Recht einräumt, vor jedem anderen nach der EuGVVO oder dem LugÜ zuständigen Gericht zu klagen.
Ebenfalls wirksam dürfte eine mittelbare Verweisung auf die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO oder des LugÜ sein, etwa durch die Befugnis der privilegierten Partei, am Sitz des Beklagten oder am vertraglichen Erfüllungsort zu klagen. Voraussetzung ist allerdings, dass der gewählte Anknüpfungspunkt eindeutig innerhalb der EU bzw. in der Schweiz, Norwegen oder Island zu verorten ist.
Nach der Urteilsbegründung sind auch asymmetrische Gerichtsstandsabreden in Verträgen wirksam, wenn der Sachverhalt ausschließlich Bezüge zu der EU, Norwegen, Schweiz und/oder Island aufweist. In solchen Fällen dürfte das Recht einer privilegierten Partei, auch vor einem anderen zuständigen Gericht zu klagen, auf Gerichte innerhalb der EU bzw. der LugÜ-Vertragsstaaten beschränkt und der Weg zu drittstaatlichen Gerichten nicht eröffnet sein.
Ungültig sind hingegen Gerichtsstandsvereinbarungen, die ausdrücklich oder implizit (etwa wegen Sitz der Beklagten oder Erfüllungsort) auch auf zuständige Gerichte außerhalb der EU oder außerhalb der LugÜ-Vertragsstaaten Bezug nehmen.
Verbleibende Unsicherheiten bei Sachverhalten mit Drittstaatenbezug
Nach dem EuGH-Urteil bestehen weiterhin erhebliche Unsicherheiten bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen mit Drittstaatenbezug, etwa wenn ein Vertragspartner im Vereinigten Königreich oder den USA sitzt. Hier sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
Liegt das ausschließlich zuständige Gericht in einem EU-Mitgliedstaat, gilt Art. 25 EuGVVO unabhängig vom Sitz der Parteien. Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen von 2005 (HGÜ), das im Verhältnis zum Vereinigten Königreicht relevant ist, ist auf asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen nicht anwendbar. Klagt eine Partei vor einem Gericht innerhalb der EU, Norwegen, Schweiz oder Island, muss das Gericht die Wirksamkeit der Zuständigkeitsabrede nach den oben erläuterten Kriterien prüfen und darf sie nur dann als wirksam anerkennen, wenn sie ausschließlich auf Gerichte innerhalb der EU (oder eines LugÜ-Vertragsstaats) verweist. Wird Klage vor einem drittstaatlichen Gericht erhoben, entscheidet dieses über die die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gemäß dem Recht, das nach dem Kollisionsrecht des Drittstaats anwendbar ist.
Liegt das ausschließlich zuständige Gericht in einem Drittstaat, ist weder der Anwendungsbereich des HGÜ noch des Art. 25 EuGVVO eröffnet. Für ersteres fehlt es an einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des HGÜ, für letzteres an der Vereinbarung der Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts. Die Wirksamkeit der asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich hier nach nationalem Recht, das nach dem Kollisionsrecht des Staates zu bestimmen ist, in dem Klage erhoben wird. Bei Klage vor deutschen Gerichten sind die Zulässigkeit und Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung nach deutschem Recht, insbesondere §§ 38, 40 ZPO zu bestimmen. Ob die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam zustande gekommen ist (insbesondere Einigung, Inhaltskontrolle AGB, Sittenwidrigkeit), unterliegt nach der Rechtsprechung des BGH dagegen dem Recht, dem auch der Hauptvertrag unterworfen ist (Akzessorietät). Gilt für den Hauptvertrag englisches Recht, werden deutsche Gerichte die Frage, ob eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung wegen Privilegierung einer Partei als unwirksam zu behandeln ist, nach englischem Recht beurteilen. Nach englischem Recht steht die Asymmetrie einer Zuständigkeitsabrede ihrer Wirksamkeit grundsätzlich nicht entgegen, wie der UK Court of Appeal kürzlich bestätigt hat.
Kritik an der EuGH-Entscheidung
Zu begrüßen ist, dass der EuGH im Sinne der Privatautonomie klargestellt hat, dass die einseitige Privilegierung der Partei einer Gerichtsstandsvereinbarung in der EuGVVO innerhalb der dort ausdrücklich geregelten Grenzen zulässig ist. Dennoch bleibt für Vertragsparteien auch nach der Entscheidung erhebliche Rechtsunsicherheit bestehen.
Sowohl im reinen EU- bzw. LugÜ-Kontext als auch bei Sachverhalten mit Drittstaatenbezug ist weiterhin unklar, ob Parteien wirksam objektive Kriterien benennen können (wie Sitz einer Partei, Erfüllungsort), die unter Umständen zur Zuständigkeit drittstaatlicher Gerichte führen. Ebenso ist offen, ob im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ für die privilegierte Partei ein drittstaatliches Gericht konkret als Alternative benannt werden darf. In beiden Fällen besteht dem Grunde nach kein Konflikt mit der Rechtssicherheit, Transparenz und Vorhersehbarkeit als übergeordnete Ziele der EuGVVO.
Diese Unsicherheiten können dazu führen, dass die EU- und die LugÜ-Vertragsstaaten in internationalen Finanzierungsverträgen als Gerichtsstandort an Attraktivität verlieren, und Parteien das Gericht eines Drittstaats für ausschließlich zuständig vereinbaren, um die Anwendung der EuGVVO und des LugÜ zu verhindern.
Handlungsempfehlungen und Ausblick
Nach der Entscheidung des EuGH bleibt festzuhalten: Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen in internationalen Verträgen, die die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts in der EU, Schweiz, Norwegen oder Island vorsehen, sind im B2B-Verkehr grundsätzlich wirksam, wenn sie der privilegierten Partei die Möglichkeit eröffnen, vor einem nach der EuGVVO oder dem LugÜ zuständigen Gericht zu klagen. Kann die privilegierte Partei nach dem ausdrücklichen Wortlaut oder der Auslegung der Gerichtsstandsklausel (auch) vor einem zuständigen Gericht in einem Drittstaat klagen, ist die Klausel hingegen insgesamt unwirksam. Ist im Einzelfall der Zugang zu drittstaatlichen Gerichten wichtig, empfiehlt sich die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines Gerichts außerhalb der EU und der LugÜ-Vertragsstaaten.
Das Urteil der EuGH gilt auch für internationale asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen, die vor dem 27. Februar 2025 abgeschlossen wurden. Ältere Klauseln, die die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts in der EU, Schweiz, Norwegen oder Island vorsehen, sind daher entsprechend den oben genannten Grundsätzen anzupassen. Kein Änderungsbedarf besteht in rein nationalen Sachverhalten, in denen der Sitz der Parteien, der Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtungen und das als ausschließlich zuständig bezeichnete Gericht in demselben Staat sind. Hier gelten die EuGVVO und das LugÜ mangels grenzüberschreitenden Bezugs nicht.
Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass der EuGH bald Gelegenheit erhält, die Anforderungen an asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen weiter zu konkretisieren und die bestehenden Unsicherheiten dadurch auszuräumen.
Dieser Beitrag wurde mit Unterstützung von Fr. Verena Frech verfasst.