1. August 2023
Intra-EU Schiedsverfahren ICSID
Dispute Resolution

BGH: Intra-EU Schiedsverfahren nach der ICSID Konvention auch unzulässig

BGH ermöglicht Feststellung der Unzulässigkeit gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO auch für ICSID Schiedsverfahren im Intra-EU Kontext.

Der BGH hat in drei Beschlüssen vom 27. Juli 2023 in den Verfahren I ZB 43/22, I ZB 74/22 und I ZB 75/22 entschieden, dass auch für Intra-EU Schiedsverfahren nach der ICSID Konvention eine Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO zulässig ist. Damit ermöglicht er die Durchsetzung der Rechtsprechung des EuGH zu Intra-EU Schiedsklauseln auch in Bezug auf ICSID Schiedsverfahren.

Das höchste deutsche Zivilgericht hatte über drei Rechtsbeschwerden zu entscheiden, in denen sich die Frage stellte, ob ICSID Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags (ECV) im Intra-EU Kontext unionsrechtswidrig sind und nach § 1032 Abs. 2 ZPO von deutschen Gerichten für unzulässig erklärt werden können. Die Vorinstanzen waren dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt: So hatte das Kammergericht Berlin den Antrag Deutschlands nach § 1032 Abs. 2 ZPO in einem Intra-EU Schiedsverfahren nach der ICSID Konvention für unzulässig erklärt (KG Berlin, Beschluss v. 28. April 2022 – 12 SchH 6/21), woraufhin Deutschland gegen den Beschluss Rechtsbeschwerde einlegte (I ZB 43/22). Demgegenüber hatte das OLG Köln den Antrag der Niederlande nach § 1032 Abs. 2 ZPO für zulässig und begründet erklärt (OLG Köln, Beschluss v. 1. September 2022 – 19 SchH 14/21), woraufhin die Investoren beim BGH Rechtsbeschwerde einlegten (I ZB 74/22 und I ZB 75/22).

EuGH erklärte Schiedsklauseln im Intra-EU Kontext für unionsrechtswidrig

Über die Zulässigkeit von Investitionsschiedsverfahren zwischen EU-Mitgliedstaaten und Investoren aus anderen EU-Mitgliedstaaten (Intra-EU Schiedsverfahren) wird seit vielen Jahren gerungen. Im Jahr 2018 traf der EuGH in der Rechtssache Achmea die grundlegende Entscheidung, dass Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten gegen das Unionsrecht verstoßen (EuGH, Urteil v. 6. März 2018 – C-284/16). Im September 2021 entschied der EuGH in der Rechtssache Komstroy in einem obiter dictum, dass auch die in Art. 26 ECV enthaltene Schiedsklausel in Bezug auf Intra-EU Schiedsverfahren unionsrechtswidrig ist (EuGH, Urteil v. 2. September 2021 – C-741/19).

Nichtsdestotrotz haben die Schiedsgerichte ihre Zuständigkeit in Intra-EU Schiedsverfahren bisher weit überwiegend bejaht. Die Auseinandersetzung über die Vollstreckbarkeit solcher Intra-EU Schiedssprüche wird seit Jahren vor den staatlichen Gerichten (sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU) geführt.

Ein noch relativ neues Phänomen ist, dass die beklagten EU-Mitgliedstaaten auch schon während der laufenden Schiedsverfahren Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten suchen, um die Unzulässigkeit von Intra-EU Schiedsverfahren in einem frühen Verfahrensstadium feststellen zu lassen.

§ 1032 Abs. 2 ZPO ermöglicht die Feststellung der Unzulässigkeit eines schiedsgerichtlichen Verfahrens vor Konstituierung des Schiedsgerichts

§ 1032 Abs. 2 ZPO ermöglicht es deutschen Gerichten, auf Antrag einer Partei bis zur Bildung des Schiedsgerichts die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Schiedsverfahrens festzustellen. Die Vorschrift stellt eine Besonderheit des deutschen Schiedsverfahrensrechts dar und ermöglicht als Ausnahme zum Grundsatz, dass zunächst das Schiedsgericht über die eigene Zuständigkeit entscheidet, eine Überprüfung der Schiedsklausel durch ein staatliches Gericht bereits vor Bildung des Schiedsgerichts. Dies gilt gemäß § 1025 Abs. 2 ZPO sogar in Fällen, in denen der Schiedsort nicht in Deutschland gelegen oder noch nicht bestimmt ist. 

Dass diese Norm als Mechanismus zur Durchsetzung der EuGH-Rechtsprechung zur Unionswidrigkeit von Intra-EU Investitionsschiedsverfahren dienen kann, hatte der BGH bereits im November 2021 bestätigt. Damals hatte der BGH im Fall eines UNCITRAL Schiedsverfahrens mit Sitz in Frankfurt einen Beschluss des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 11. Februar 2021 – 26 SchH 2/20) aufrechterhalten, in welchem das OLG Frankfurt dem Antrag Kroatiens stattgegeben und gem. § 1032 Abs. 2 ZPO die Unzulässigkeit des durch den österreichischen Investor eingeleiteten Schiedsverfahrens festgestellt hatte (BGH, Beschluss v. 17. November 2021 – I ZB 16/21). 

Ob § 1032 Abs. 2 ZPO auch auf Schiedsverfahren nach der ICSID Konvention angewendet werden kann, war bisher höchstrichterlich ungeklärt. Das „Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ ist eine bei der Weltbank in Washington D.C. angesiedelte Schiedsinstitution. Die ICSID Konvention ist ein völkerrechtliches Abkommen, das umfassende Regeln zur Streitbeilegung durch Schiedsgerichte und zur Überprüfung (und Aufhebung) von Schiedssprüchen enthält und in dem sich die Vertragsparteien im Gegenzug verpflichten, ICSID Schiedssprüche unmittelbar und ohne erneute Überprüfung durch die nationalen Gerichte anzuerkennen und wie ein innerstaatliches Urteil zu vollstrecken. Auf ICSID Schiedsverfahren finden die autonomen Regeln der ICSID Konvention (und der darauf aufbauenden ICSID Schiedsregeln) Anwendung; sie haben keinen Schiedsort im Rechtssinne und unterliegen keinem nationalen Schiedsverfahrensrecht. ICSID Schiedsverfahren sind eines der in Art. 26 ECV genannten Fora zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Vertragsstaaten. Aufgrund dieser Besonderheiten der ICSID Konvention war bisher ungeklärt, ob ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO für ein ICSID Schiedsverfahren ohne (deutschen) Schiedsort überhaupt zulässig ist.

Die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für einen Antrag nach § 1032 Abs 2 ZPO beantworteten die Vorinstanzen noch einheitlich. Das KG Berlin sah einen hinreichenden Inlandsbezug bereits darin, dass der Schiedsspruch im Inland Wirkung entfalten werde.  Das OLG Köln stellte fest, dass im Rahmen von ICSID Schiedsverfahren zwar kein Schiedsort, aber ein Tagungsort bestehe. Nach Ansicht des OLG Köln konnte es dahinstehen, ob § 1025 Abs. 2 ZPO auch auf den ICSID Tagungsort Anwendung findet, da jedenfalls der Vorrang des Unionsrechts es gebiete, § 1032 Abs. 2 ZPO auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Diese entsprechende Anwendung des § 1025 Abs. 2 ZPO für ICSID Schiedsverfahren ohne Schiedsort im Rechtssinne hat der BGH nun in seinen Beschlüssen vom 27.07.2023 bestätigt.

Das KG Berlin lehnte die Anwendung des § 1032 Abs. 2 ZPO auf ICSID Schiedsverfahren ab

Das KG Berlin befand den Antrag gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO jedoch für unzulässig. Seine ablehnende Entscheidung, wonach § 1032 Abs. 2 ZPO auf ein Schiedsverfahren nach den Regelungen der ICSID Konvention keine Anwendung findet, begründete das Kammergericht damit, dass die Verfahrensregeln der ICSID Konvention ein geschlossenes Rechtssystem etablierten und dem Schiedsgericht die Letztentscheidungskompetenz in Bezug auf seine Zuständigkeit zuwiesen. Diese völkerrechtliche Vereinbarung könne durch § 1032 Abs. 2 ZPO nicht durchbrochen werden. 

Das Kammgericht setzte sich in seiner Entscheidung auch mit der Rechtsprechung des EuGH auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass die Achmea– und Komstroy-Entscheidungen keine Aussagen zu den Verfahrensvorschriften der ZPO und deren Anwendbarkeit im Falle eines ICSID Schiedsverfahrens enthielten. 

Das OLG Köln hielt § 1032 Abs. 2 ZPO für anwendbar auf Intra-EU Schiedsverfahren nach der ICSID Konvention

Das OLG Köln vertrat die entgegengesetzte Auffassung. Seine Entscheidung begründete das OLG damit, dass die deutschen Gerichte im Rahmen von § 1032 Abs. 2 ZPO frei entscheiden dürften, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung vorliege. Dem stehe auch nicht die ICSID Konvention entgegen. In Folge des Vorrangs des Unionsrechts seien unionsrechtswidrige völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten unanwendbar. § 1032 Abs. 2 ZPO diene der Prozessökonomie und sei im Wege unionsrechtskonformer Auslegung dahingehend zu verstehen, dass die Vorschrift die frühzeitige Feststellung der unionsrechtlichen Unwirksamkeit einer Schiedsabrede ermögliche. 

Nach Auffassung des OLG Köln war damit nicht nur das bereits eingeleitete streitgegenständliche Schiedsverfahren unzulässig, sondern auch jedes weitere zwischen den Parteien auf der Grundlage des Art. 26 ECV eingeleitete Schiedsverfahren.

Der BGH folgt der Ansicht des OLG Köln und bejaht die Unzulässigkeit von ICSID Schiedsverfahren im Intra-EU Kontext

In seinem (bisher noch unveröffentlichten) Beschluss vom 27. Juli 2023 hat sich der BGH der Argumentation des OLG Köln angeschlossen. Zwar erkennt der BGH an, dass ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO grundsätzlich jedenfalls ab der Registrierung eines ICSID Schiedsverfahrens nicht mehr statthaft ist, weil das Schiedsgericht nach Art. 41 Abs. 1 ICSID Konvention vorrangig über die eigene Zuständigkeit entscheidet (Kompetenz-Kompetenz). Allerdings kann die ICSID Konvention in der vorliegenden Konstellation eines Intra-EU Schiedsverfahrens nach Ansicht des BGH ausnahmsweise keine Sperrwirkung gegenüber staatlichen Gerichtsverfahren entfalten. Der BGH begründet dies mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts, der auch gegenüber dem Völkerrecht gelte, und dem Effektivitätsgrundsatz. 

Dem BGH zufolge ist eine nachgelagerte staatsgerichtliche Kontrolle eines ICSID Schiedsverfahrens nach der Rechtsprechung des EuGH zwingend erforderlich, selbst wenn dies der Regelungssystematik der ICSID Konvention widerspricht. Diese Kontrolle kann nach Auffassung des BGH im Intra-EU Kontext durch einen Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO vorweggenommen werden, da eine Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO bindend sei und die (spätere) Vollstreckbarerklärung eines ICSID Schiedsspruchs in Deutschland verhindere. Eine Vorlage an den EuGH sah der BGH nicht als erforderlich an, da die Rechtsprechung des EuGH diesbezüglich eindeutig sei. 

Lediglich hinsichtlich der Unzulässigkeit von weiteren Schiedsverfahren zwischen den Parteien auf Grundlage des ECV widerspricht der BGH dem OLG Köln: § 1032 Abs. 2 ZPO erlaube lediglich die Unzulässigkeitserklärung einer konkreten, aber keiner potenziellen Schiedsvereinbarung. 

Reaktion der Schiedsgerichte und ausländischer Vollstreckungsgerichte bleibt abzuwarten

Mit seiner Entscheidung setzt der BGH die Rechtsprechung des EuGH zur Unzulässigkeit von Intra-EU Schiedsverfahren konsequent um und macht deutlich, dass für ihn das Unionsrecht über dem Völkerrecht steht. Der BGH lässt dabei deutlich erkennen, dass er Intra-EU Schiedssprüche auf Grundlage der ICSID Konvention in Deutschland für nicht vollstreckbar hält. Für die ICSID Konvention, deren Vertragsparteien (derzeit 158 Staaten weltweit, darunter mit Ausnahme von Polen alle EU-Mitgliedstaaten) die Streitbeilegung durch Schaffung eines umfassenden und autonomen Streitbeilegungsmechanismus (mit eigener Aufhebungsinstanz) dem Einfluss nationaler Gerichte entziehen wollten, sind dies keine guten Nachrichten.

Wie die Schiedsgerichte in den beiden noch laufenden Schiedsverfahren mit der Entscheidung des BGH umgehen werden, bleibt abzuwarten. In einem der beiden Schiedsverfahren (Mainstream Renewable Power Ltd u.a. v. Deutschland) hatten die Kläger noch kurz vor der Entscheidung des BGH das Schiedsgericht um Erlass einer einstweiligen Anordnung ersucht, die es Deutschland hätte untersagen sollen, den Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO weiterzuverfolgen. Das Schiedsgericht hatte den Erlass einer solchen Anordnung abgelehnt, aber festgehalten, dass ein solcher Antrag möglicherweise gegen die ausschließliche Zuständigkeitsklausel der ICSID Konvention verstößt. In dem zweiten noch laufenden Schiedsverfahren (RWE v. Niederlande) hatte das Schiedsgericht bereits im August 2022 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Niederlande ebenfalls abgelehnt. Auf Antrag der Parteien wurde das Schiedsverfahren ausgesetzt.

Spannend bleibt auch die Frage, wie Drittstaaten (wie etwa die USA, Großbritannien oder Australien) mit der Vollstreckung von Intra-EU Schiedssprüchen nach der ICSID Konvention umgehen werden. Nach den klaren Entscheidungen des EuGH sowie der mitgliedstaatlichen Gerichte (z.B. in Frankreich und Schweden) dürften sich die Vollstreckungsversuche der Investoren künftig noch stärker auf Jurisdiktionen außerhalb der EU konzentrieren.

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