Das Achmea Urteil des EuGH wird die weitere Debatte zu Intra-EU Schiedsverfahren bestimmen. Investoren sorgen sich vor allem um die Auswirkungen auf laufende Verfahren.
The CJEU’s Achmea ruling will set the tone for future debate on intra-EU disputes. Its impact on pending arbitrations will be the investors‘ primary concern (English version available here).
Am 6. März 2018 hat der EuGH im Achmea Verfahren (C-284/16) ein Grundsatzurteil erlassen, in dem er Vorschriften in Intra-EU Investitionsschutzabkommen (Intra-EU BITs), die für Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren eines Mitgliedstaats und einem anderen Mitgliedstaat eine Streitbeilegung durch Schiedsgerichte vorsehen, für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt hat.
Der EuGH hält Investor-Staat Schiedsverfahren in Intra-EU BITs für unvereinbar mit dem in Artikel 344 AEUV niedergelegten Prinzip der loyalen Zusammenarbeit, da Schiedsgerichte nicht befugt sind, den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 267 AEUV anzurufen. Aus Sicht des EuGH verhindert dies, zusammen mit der begrenzten Überprüfbarkeit von Schiedssprüchen durch nationale Gerichte, dass bei einer Streitbeilegung durch Schiedsgerichte die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet bleibt.
Die Entscheidung kam überraschend, zumindest nachdem der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vergangenen September die entgegengesetzte Auffassung vertreten hatte und damit der Ansicht des BGH in seinem Vorlagebeschluss sowie mehrerer Mitgliedstaaten in ihren Stellungnahmen vor dem EuGH gefolgt war.
Auswirkungen auf laufende Schiedsverfahren und Aufhebungsverfahren
Der Vorlagebeschluss des BGH betraf einen Aufhebungsantrag der Slowakei gegen einen Schiedsspruch, den ein Schiedsgericht mit Sitz in Frankfurt am Main zugunsten des niederländischen Investors Achmea erlassen hatte. Es ist davon ausgehen, dass der BGH den Achmea Schiedsspruch infolge des EuGH Urteils mit der Begründung aufheben wird, dass die Slowakei ihre Zustimmung zum Schiedsverfahren nicht wirksam erteilt hat und daher keine wirksame Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien bestand (obwohl der Vorlagebeschluss deutlich macht, dass der BGH die Auffassung des EuGH nicht teilt).
Doch was bedeutet das für laufende Schiedsverfahren auf Grundlage von Intra-EU BITs sowie auf dieser Grundlage erlassene Schiedssprüche, deren Vollstreckung noch aussteht? Der Tenor des EuGH-Urteils beschränkt sich nicht auf Artikel 8 des Niederlande-Slowakei BIT, der dem Achmea Verfahren zugrunde liegt, sondern erstreckt sich vielmehr allgemein auf Vorschriften in internationalen Übereinkünften zwischen Mitgliedstaaten wie Artikel 8, nach denen ein Investor eines Mitgliedstaats ein Schiedsverfahren gegen einen anderen Mitgliedstaat einleiten darf. Liest man lediglich den Tenor, könnte dieses Urteil die Wirksamkeit der Streitbeilegungsklauseln in allen 196 Intra-EU BITs, die zur Zeit noch in Kraft sind, in Frage stellen.
Keine Argumentationsmöglichkeiten für Intra-EU Investoren?
Heißt das, dass es für Kläger in laufenden Schiedsverfahren und etwaigen Aufhebungsverfahren keine Argumentationsmöglichkeiten gibt? Nicht unbedingt. Schiedsgerichte könnten die Auffassung vertreten, dass ihre Zuständigkeit nach dem einschlägigen Intra-EU BIT als Frage des internationalen Rechts nach den Vorschriften des BIT zu entscheiden ist, und das EuGH-Urteil, das Unionsrecht auslegt und anwendet, unbeachtet lassen. Auch geht der EuGH, trotz des umfassenden Wortlauts im Tenor des Urteils, in seiner Begründung auf mehrere individuelle Eigenheiten von Artikel 8 des Niederlande-Slowakei BIT ein, die sich in den Streitbeilegungsklauseln anderer BITs so nicht wiederfinden. So sieht Artikel 8(6) explizit vor, dass das Schiedsgericht in seiner Entscheidung unter anderem das Recht des Gaststaats sowie andere erhebliche Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu berücksichtigen hat. Nach Ansicht des EuGH sind dies die beiden Einfallstore, über die das Unionsrecht zur Anwendung kommt. Gemäß Artikel 8(5) legt das Schiedsgericht zudem sein eigenes Verfahren unter Anwendung der UNCITRAL Schiedsordnung fest und wählt insbesondere seinen Sitz selbst aus, der wiederum das anwendbare Recht für die Überprüfbarkeit des Schiedsspruchs durch nationale Gerichte bestimmt.
Es ist davon auszugehen, dass Kläger in laufenden Schiedsverfahren und Aufhebungsverfahren versuchen werden, die Unterschiede zwischen der Streitbeilegungsklausel in ihrem BIT und Artikel 8 hervorzuheben, und argumentieren werden, dass das EuGH Urteil keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung hat, die sie mit dem beklagten Mitgliedstaat durch Einleitung des Schiedsverfahrens geschlossen haben.
Auswirkungen auf Schiedsverfahren nach dem Energie Charta Vertrag?
Hat das EuGH Urteil auch Auswirkungen auf die beträchtliche Anzahl an laufenden Verfahren nach dem Energie Charta Vertrag (ECT)? Hierüber wird es sicherlich intensive Diskussion geben. In seinem Urteil hat der EuGH explizit die Zuständigkeit der Union zum Abschluss internationaler Übereinkünfte betont, die „notwendigerweise die Möglichkeit, sich den Entscheidungen eines durch solche Übereinkünfte geschaffenen oder bestimmten Gerichts zu unterwerfen″ umfasst, sofern die Autonomie des Unionsrechts gewahrt bleibt. Dies lässt sich als Andeutung verstehen, dass der ECT, der auch durch die Union als Partei unterzeichnet wurde, vom EuGH Urteil nicht betroffen sein sollte.
Gleichzeitig bleibt zu beachten, dass der Tenor (anders als die Vorlagefrage des BGH) nicht ausdrücklich auf bilaterale Abkommen beschränkt ist, sondern allgemeiner von einer „internationalen Übereinkunft″ spricht. Hinzu kommt, dass die Bedenken des EuGH gegenüber Schiedsverfahren als Streitbeilegungsmechanismus durchaus auf den ECT übertragbar wären. Es ist daher völlig offen, ob Schiedsgerichte in Intra-EU Verfahren ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über solche Streitigkeiten im Lichte des EuGH-Urteils weiterhin bejahen werden.
Folgen für die Rechtsprechung zu Handelsschiedsverfahren?
Hat das EuGH Urteil auch Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen zwischen kommerziellen Parteien? Der EuGH hat Artikel 8 des Niederlande-Slowakei BIT für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärt, da er die Zuständigkeit nationaler Gerichte und, über das Vorlageverfahren des Artikel 267 AEUV, des EuGH ausschließt für die Entscheidung über etwaige Unionsrechtsfragen, die in einer Investitionsschutzstreitigkeit relevant werden könnten. Neben der Feststellung, dass Schiedsgerichte selbst nicht befugt sind, den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen, hält der EuGH die Überprüfungsmöglichkeit von Schiedssprüchen durch das nationale Gericht eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens für unzureichend. So wie im deutschen Recht ist diese Überprüfung meist begrenzt und erlaubt, abgesehen von der engen Ausnahme eines Verstoßes gegen den ordre public, keine Nachprüfung in der Sache.
Der EuGH hat ausdrücklich auf sein Eco Swiss Urteil aus dem Jahr 1999 Bezug genommen, in dem er eine solche begrenzte Überprüfung für Handelsschiedsverfahren als ausreichend erachtet hatte, soweit die grundlegenden Bestimmungen des Unionsrechts im Rahmen dieser Kontrolle geprüft werden können. Dies wird auch im deutschen Recht durch die Anwendung des ordre-public Vorbehalts sichergestellt. Im Rahmen von Investitionsschiedsverfahren hat der EuGH nun hingegen eine strengere Auffassung vertreten, mit der Begründung, dass Handelsschiedsverfahren von Schiedsvereinbarungen zwischen privaten Parteien herrühren, während Investitionsschiedsverfahren auf Übereinkünften zwischen den Mitgliedsstaaten selbst beruhen.
Während dies dafür spricht, dass der EuGH seine Ansicht zu Schiedsvereinbarungen in Handelsschiedsverfahren nicht geändert hat, stellt sich die Frage, ob dieses Argument die Unterscheidung zwischen Handels- und Investitionsschiedsverfahren rechtfertigt. Wenn die grundlegenden Bestimmungen des Unionsrechts in Handelsschiedsverfahren durch den ordre-public Vorbehalt ausreichend gewahrt werden können, fragt man sich, weshalb dasselbe nicht auch in Investitionsschiedsverfahren gelten soll. Investitionsschiedsgerichte sind primär dazu berufen, über Streitigkeiten nach den Vorschriften des Abkommens und den Grundsätzen des internationalen Rechts zu entscheiden und nur sekundär, falls überhaupt, das nationale Recht des Gaststaats, einschließlich Unionsrecht, einzubeziehen.
Quo vadis von hieraus?
Das EuGH Urteil wird eine erneute und intensivere Debatte über die von den beklagten Staaten erhobenen Zuständigkeitsrügen in intra-EU Schiedsverfahren auslösen. Die EU Kommission, die in diesen Streitigkeiten bereits in der Vergangenheit regelmäßig als amicus curiae aufgetreten ist, wird sich in ihrer Argumentation gestärkt sehen, dass Intra-EU BITs und Intra-EU Streitigkeiten nach dem ECT mit dem Unionsrecht unvereinbar und Schiedsgerichte für diese Verfahren nicht zuständig sind.
Es steht zu erwarten, dass das nächste Vorabentscheidungsersuchen, dieses Mal betreffend einen Schiedsspruch auf Grundlage des Artikel 26 ECT, nicht lange auf sich warten lassen wird. Möglicherweise wird bereits der kürzlich ergangene Schiedsspruch in dem Verfahren Novenergia gegen Spanien mit Sitz in Stockholm der Anwendungsfall hierfür sein.
Es bleibt abzuwarten, ob Schiedsgerichte dazu übergehen werden, ihre Zuständigkeit abzulehnen und, falls ja, was dies für die Investoren bedeuten wird. Insbesondere wenn, wie bei Artikel 8 des Niederlande-Slowakei BIT, keine alternative Streitbeilegungsmöglichkeit durch die nationalen Gerichte vorgesehen ist, stellt sich die Frage, ob den Investoren damit jegliche Möglichkeit genommen wird, ihre materiellen Rechte und den Schutz ihrer Investitionen nach den Vorschriften des BIT durchzusetzen. Es wäre sehr bedenklich, wenn Intra-EU Investoren infolge des EuGH-Urteils zur Durchsetzung ihrer Rechte auf diplomatischen Schutz angewiesen wären. Aus Sicht der Investitionspolitik würden Investoren von außerhalb der EU, die vom Schutz durch Investitionsschutzabkommen profitieren, so wesentlich besser gestellt als Investoren innerhalb der EU.
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