Ein Verweis auf die DIS-SchO genügt dem BayObLG zufolge, um die Anforderungen des BGH an Schiedsklauseln über Beschlussmängelstreitigkeiten zu erfüllen.
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat als erstes Obergericht entschieden, dass ein allgemeiner Verweis auf die DIS-Schiedsordnung in der Schiedsklausel einer GmbH-Satzung die Ergänzenden Regeln der DIS für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten auch ohne deren ausdrückliche Nennung einbezieht (Beschluss v. 10. Oktober 2022 – 101 SchH 46/22).
Dem Gericht zufolge umfassen solch allgemein gehaltene Schiedsabreden, wie sie in einer Vielzahl von Gesellschaftsverträgen anzutreffen sein dürften, auch Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen und erfüllen die vom BGH aufgestellten Wirksamkeitsvoraussetzungen.
Das (zum 15. September 2018 wiederbelebte) BayObLG ist seit dem 1. Mai 2020 für sämtliche gerichtliche Entscheidungen in schiedsrichterlichen Angelegenheiten nach § 1062 ZPO in Bayern zuständig (§ 7 GZVJu).
Schiedsfähigkeit I–IV: Anforderungen des BGH an die Wirksamkeit von Schiedsklauseln über Beschlussmängelstreitigkeiten
Dass Streitigkeiten über fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse schiedsfähig sind, also zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens gemacht werden können, steht längst außer Frage. Darüber hinaus hat der BGH in den Entscheidungen „Schiedsfähigkeit I–IV“ über die Jahre aber besondere Wirksamkeitsanforderungen an Schiedsklauseln aufgestellt, die auch Beschlussmängelstreitigkeiten erfassen sollen.
Die Bedenken der Rechtsprechung wurzeln in dem folgenden Dilemma: Die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen über Beschlussmängelstreitigkeiten in Kapitalgesellschaften beschränkt sich nicht auf die Verfahrensbeteiligten, d.h. in der Regel die Gesellschaft und die klagende Partei, sondern erfasst alle Gesellschafter* (§ 248 Abs. 1 AktG). Diese Form der Rechtskrafterstreckung sieht der BGH einerseits als zwingende Voraussetzung einer effektiven Streitbeilegung auf dem Gebiet an, die auch bei Schiedssprüchen gelten muss. Andererseits bringt sie für unbeteiligte Gesellschafter Risiken mit sich, da ihnen in einem Schiedsverfahren nicht per Gesetz dasselbe Maß an Verfahrensgarantien eingeräumt wird wie in einem Verfahren vor den staatlichen Gerichten.
Aus diesem Grund hielt der BGH entsprechende Schiedsklauseln ursprünglich per se für unwirksam (Urteil v. 29. März 1996 – II ZR 124/95). In der Folgeentscheidung (BGH, Urteil v. 6. April 2009 – II ZR 255/08, „Schiedsfähigkeit II“) stellte er bestimmte Mindestanforderungen auf, die Schiedsvereinbarungen über Beschlussmängelstreitigkeiten erfüllen müssen:
- Alle Gesellschafter müssen der Schiedsvereinbarung zustimmen.
- Es muss sichergestellt sein, dass die Gesellschafter über die Einleitung eines Schiedsverfahrens informiert werden.
- Ihnen muss das Recht eingeräumt werden, an der Auswahl der Schiedsrichter mitzuwirken und sich am Verfahren als Nebenintervenient zu beteiligen.
- Es muss sichergestellt werden, dass alle Klagen über denselben Streitgegenstand vor einem Schiedsgericht konzentriert werden.
Nach der Rechtsprechung sind Schiedsklauseln, die diese Anforderungen nicht erfüllen, unwirksam (§ 138 BGB). Das bringt mit sich, dass eine dennoch erhobene Schiedsklage unzulässig ist (§ 1040 Abs. 1 ZPO) und ein Schiedsspruch ggf. aufgehoben werden kann (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO).
Eine zwischenzeitliche Entscheidung, wonach diese Anforderungen auch auf Schiedsklauseln in Personengesellschaften Anwendung finden (BGH, Beschluss v. 6. April 2017 – I ZB 23/16, „Schiedsfähigkeit III“), hat der BGH zuletzt wieder korrigiert (BGH, Beschluss v. 23. September 2021 – I ZB 13/21, „Schiedsfähigkeit IV“). In Personengesellschaften stellte sich nämlich bislang eine andere Ausgangslage. Beschlussmängelstreitigkeiten werden – vorbehaltlich einer anderslautenden Regelung im Gesellschaftsvertrag – regelmäßig zwischen den Gesellschaftern ausgetragen. Da unbeteiligte Gesellschafter nicht an die Entscheidung gebunden sind, besteht kein Bedarf, ihre Verfahrensrechte besonders abzusichern.
Mit Inkrafttreten der relevanten Vorschriften des MoPeG zum 1. Januar 2024 wird sich das ändern. In Zukunft wird das aus den Kapitalgesellschaften bekannte „Anfechtungsmodell“ auch in Personengesellschaften (mit Ausnahme der GbR) zum Regelfall. Gerichtsentscheidungen binden dann ausdrücklich auch unbeteiligte Gesellschafter (§ 113 Abs. 6 n.F. HGB). Es ist daher damit zu rechnen, dass zukünftig auch Schiedsklauseln in Personengesellschaften an den Mindestanforderungen des BGH gemessen werden.
DIS-ERGeS: Reaktion der DIS auf die Rechtsprechung des BGH
Im Einzelfall kann es schwierig sein, die Voraussetzungen des BGH in einer satzungsmäßigen Schiedsklausel umzusetzen. Das ist aber von enormer Bedeutung, zumal der BGH die Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung zur „Rettung“ von Schiedsklauseln, die seinen Mindestanforderungen nicht gerecht werden, ausdrücklich ablehnt. Außerdem heilt lt. BGH selbst die Einhaltung der Verfahrensrechte im Schiedsverfahren nicht den Verstoß der Schiedsklausel gegen die Mindestanforderungen.
Um das Risiko einer unwirksamen Schiedsklausel zu minimieren, bietet es sich an, in der satzungsmäßigen Schiedsklausel auf eine Schiedsgerichtsordnung Bezug zu nehmen, die ihrerseits die BGH-Rechtsprechung umsetzt. Die DIS hat in Reaktion auf die vom BGH aufgestellten Mindestanforderungen an Schiedsklauseln über Beschlussmängelstreitigkeiten die sog. Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (ERGeS) erstellt. Dieses Regelwerk enthält u.a. Vorschriften über die Informierung aller Gesellschafter, ihre Mitwirkungsrechte bei der Schiedsrichterbenennung und am Verfahren sowie die Konzentration mehrerer Verfahren vor einem Schiedsgericht. Bereits gerichtlich entschieden ist, dass die Ergänzenden Regeln der DIS die Anforderungen des BGH erfüllen, sodass ein Verweis auf diese Regeln in der Schiedsvereinbarung für die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung für Beschlussmängelstreitigkeiten ausreicht (LG Köln, Urteil v. 8. Februar 2012 – 91 O 97/11; BayObLG, Beschluss v. 18. August 2020 – 1 Sch 93/20).
Einbeziehung der DIS-ERGeS leichter als gedacht?
Die Frage, ob ein einfacher Verweis auf die DIS-Schiedsordnung in Gesellschaftsverträgen zur Einbeziehung der Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten genügt, war bisher gerichtlich noch nicht entschieden.
Dafür spricht, dass die Ergänzenden Regeln nach Art. 1.3 der DIS-SchO 2018 als Anlage einen Bestandteil der Schiedsgerichtsordnung bilden. Allerdings finden die Ergänzenden Regeln nach deren Art. 1.1 Anwendung, wenn die Parteien in der Schiedsvereinbarung auf sie Bezug genommen oder sich sonst auf ihre Anwendung geeinigt haben. Das spricht eher dafür, dass die Ergänzenden Regeln ausdrücklich in die Schiedsvereinbarung einbezogen werden müssen. Dies empfiehlt die DIS auch in ihrer Musterklausel für Gesellschaftsverträge.
In dem vom BayObLG entschiedenen Fall enthielt die GmbH-Satzung eine weit gefasste Schiedsvereinbarung, der zufolge „alle Streitigkeiten, Ansprüche und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern untereinander bzw. in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft, welche diesen Gesellschaftsvertrag betreffen oder damit im Zusammenhang stehen“ von einem Schiedsgericht „nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS)“ zu entscheiden sind. Auf Grundlage dieser Schiedsvereinbarung leitete die Schiedsklägerin mehrere Schiedsverfahren zur Anfechtung bzw. Feststellung von Gesellschafterbeschlüssen ein. Nachdem das Schiedsgericht in einem der Verfahren in der Verfahrenskonferenz Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hatte, beantragte die Schiedsklägerin beim BayObLG nach § 1032 Abs. 2 ZPO die Feststellung der Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens.
Das BayObLG stellte zunächst fest, dass die Schiedsvereinbarung auch Beschlussmängelstreitigkeiten umfasst, auch wenn sie diese nicht ausdrücklich erwähnt. Anschließend prüfte das BayObLG, ob die Schiedsvereinbarung dadurch ganz oder teilweise unwirksam ist, dass die vom BGH aufgestellten Mindestanforderungen in Bezug auf Beschlussmängelstreitigkeiten nicht erfüllt sind. Dafür legte das BayObLG die Schiedsvereinbarung umfassend aus und kam zu dem Ergebnis, dass nach dem objektiven Verständnis der Klausel die Ergänzenden Regeln durch den allgemeinen Verweis auf die DIS-Schiedsordnung miteinbezogen sind.
Bei der Auslegung berücksichtigte das BayObLG, dass die Parteien des Gesellschaftsvertrags nicht die Musterklausel der DIS-Schiedsordnung übernommen hatten. Eine frei formulierte, allgemein gehaltene Bezugnahme auf die Verfahrensregeln der DIS rechtfertige kein enges Verständnis, wonach nur das Hauptregelwerk unter Ausschluss der in den Anlagen enthaltenen Verfahrensregeln gelten solle. Dem BayObLG zufolge liegt es bei einer umfassenden Zuständigkeit des Schiedsgerichts für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nahe, dass die für solche Streitigkeiten maßgeblichen Verfahrensregeln der Schiedsinstitution durch den allgemeinen Verweis auf die Schiedsgerichtsordnung miteinbezogen werden sollten. Bei seiner Auslegung berücksichtigte das Gericht zudem, dass das aus der Schiedsklausel hervorgehende Ziel, alle Streitigkeiten in Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen und einem Schiedsgericht zuzuweisen, bei einem engen Verständnis der Klausel verfehlt würde.
Dass die Ergänzenden Regeln in ihrem Anwendungsbereich (Art. 1.1) selbst eine Bezugnahme in der Schiedsvereinbarung oder eine sonstige Einigung der Parteien fordern, steht dem BayObLG zufolge seinem Auslegungsergebnis, wonach der allgemeine Verweis auf die DIS-Schiedsordnung auch die Ergänzenden Regeln miteinbezieht, nicht entgegen. Ebenso wenig lasse sich dem salvatorischen Zusatz, dass die Schiedsvereinbarung nur gelte, soweit dem nicht zwingendes Recht entgegenstehe, entnehmen, dass Beschlussmängelstreitigkeiten mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ergänzenden Regeln von der Schiedsabrede nicht umfasst seien.
Beschluss bringt mehr Rechtssicherheit – besonders für Altklauseln verbleiben aber offene Fragen
Das BayObLG hat eine in der Praxis immer wieder relevante Frage mit überzeugender Begründung pragmatisch und schiedsfreundlich gelöst. Es bleibt zu hoffen, dass sich andere Gerichte dieser Rechtsprechung anschließen werden.
Trotz dieser Präzedenzentscheidung dürften auch künftig gewisse Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit von Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen, die die Ergänzenden Regeln der DIS nicht ausdrücklich einbeziehen, fortbestehen. Zum einen sind Schiedsvereinbarungen unterschiedlich formuliert und nicht jede Schiedsvereinbarung in Gesellschaftsverträgen dürfte ähnlich weit gefasst sein wie die streitgegenständliche. Zum anderen handelt es sich vorliegend um eine Schiedsklausel jüngeren Datums (der Gesellschaftsvertrag datiert vom 10. März 2021), sodass die Mindestanforderungen des BGH an die Wirksamkeit von Schiedsklauseln bei Erstellung der Schiedsklausel bekannt waren – worauf das BayObLG seine Auslegung u.a. stützte.
Ob sich die Entscheidung auch auf Altklauseln, die vor 2009 verfasst wurden, übertragen lässt, bleibt offen. Wie die Entscheidung zeigt, richtet sich die Beurteilung der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung für Beschlussmängelstreitigkeiten letztlich nach den Umständen des Einzelfalls. Für die künftige Kautelarpraxis empfiehlt es sich somit, die DIS-ERGeS weiterhin ausdrücklich einzubeziehen (z.B. durch Verwendung der DIS-Musterklausel).
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.