Seit 1. Juli 2025 erleichtert das Haager Übereinkommen 2019 die Vollstreckung von Urteilen zwischen EU und UK und entlastet international tätige Unternehmen.
Seit Ablauf der Brexit-Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 ist die grenzüberschreitende Durchsetzung von Zivil- und Handelsurteilen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich mit erheblichen Unsicherheiten verbunden: Die vereinfachte Vollstreckung nach der EuGVVO ist nicht mehr möglich. Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen von 2015, das zwischen der EU und Großbritannien gilt, erleichtert die Vollstreckung nur, wenn eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt. In allen übrigen Fällen ist unklar, ob das nationale Recht des Vollstreckungsstaats (in Deutschland: §§ 328, 722 ff. ZPO) oder ältere bilaterale Abkommen (wie das Deutsch-Britische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1960) Anwendung finden.
Abhilfe in dem post-Brexit Rechtslabyrinth verspricht nun der Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Haager Übereinkommen von 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen. Das Übereinkommen vereinheitlicht die Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Gerichtsentscheidungen und erhöht damit die Rechts- und Planungssicherheit im Wirtschaftsverkehr zwischen der EU und Großbritannien.
Zeitlicher Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens 2019
Das Übereinkommen gilt für Verfahren in Zivil- und Handelssachen, die an oder nach dem 1. Juli 2025 vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs oder einem EU-Mitgliedstaat (mit Ausnahme Dänemarks) eingeleitet wurden. Die Ukraine und Uruguay haben das Übereinkommen ebenfalls ratifiziert, so dass die Vorteile des Haager Übereinkommens 2019 auch im Verhältnis zu diesen Staaten gelten.
Sachlicher Anwendungsbereich des Haager Übereinkommen 2019
Das Übereinkommen erfasst vollsteckbare gerichtliche Entscheidungen in der Sache, einschließlich Urteile wegen Säumnis einer Partei und Kostenentscheidungen (Art. 2 (1) lit. b). Ob eine Entscheidung vollstreckbar ist, richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem sie erlassen wurde (Art. 4 (3)). Solange gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat eine gerichtliche Nachprüfung anhängig oder möglich ist, kann die Vollstreckung im Ausland aufgeschoben oder versagt werden (Art. 4 (4)). Gerichtliche Vergleiche werden wie Gerichtsentscheidungen vollstreckt (Art. 11). Einstweilige Sicherungsmaßnahmen sind von dem Übereinkommen ausgenommen.
Aus dem Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens 2019 sind eine Reihe von Materien explizit ausgeschlossen (Art. 2). Außen vor bleiben insbesondere Steuer- und Zollsachen, Insolvenz- und Transportrecht, Recht des geistigen Eigentums und wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten mit Ausnahme von Entscheidungen zu Hardcore-Kartellen (Absprachen über Preise, Gebiete, Kundengruppen), wenn das Verhalten und seine Auswirkung im Ursprungsstaat lagen. Nicht erfasst vom Übereinkommen sind außerdem Streitigkeiten über die Gründung und Auflösung von Gesellschaften sowie über die Gültigkeit von Beschlüssen ihrer Organe. Ausgenommen sind auch die Schiedsgerichtsbarkeit und auf Schiedsverfahren bezogene Gerichtsverfahren. Die Ausnahmen greifen allerdings nicht, wenn in einem Gerichtsverfahren über eine der ausgenommenen Materien lediglich im Rahmen einer Vorfrage oder aufgrund einer Einwendung entschieden wurde (Art. 2 (2)).
Verhältnis zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2015
Das Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2015, das vereinheitlichte Vorschriften über die internationale Zuständigkeit und grenzüberschreitende Vollstreckung bei Vorliegen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung enthält, verdrängt in seinem Anwendungsbereich das Haager Vollstreckungsübereinkommen 2019. Für letzteres bleibt daher nur Raum, wenn die Parteien keine, eine fakultative, oder – wie in der Finanzierungsbranche üblich – eine asymmetrische Gerichtsstandsabrede getroffen haben.
Vereinfachtes Vollstreckungsverfahren und Verfahrensvorteile
Das Haager Übereinkommen 2019 sieht ein vereinfachtes und standardisiertes Verfahren für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile vor. Die Partei, die ein Urteil vollstrecken möchte, muss im Zielstaat einen Antrag stellen und dabei eine beglaubigte Kopie des Urteils sowie eine standardisierte Bescheinigung des Ursprungsgerichts vorlegen (Art. 12). Das Gericht im Vollstreckungsstaat prüft lediglich die formalen Voraussetzungen und die abschließend geregelten Anerkennungshindernisse, nimmt aber keine inhaltliche Nachprüfung des Urteils (révision au fond) vor (Art. 4 (2)).
Zwingend notwendig für die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung nach dem Haager Übereinkommen 2019 ist die internationale Zuständigkeit des Ursprungsgerichts. Hierfür hält das Übereinkommen einen Katalog mit verschiedenen Gerichtsständen bereit (Art. 5). Der Katalog ist für das Ursprungsgericht nicht bindend, sondern erst im Rahmen der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung relevant. Die Gerichtsstände im Katalog lassen sich in drei Kategorien einteilen: Der Beklagte hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Niederlassung, aus deren Tätigkeit der streitige Anspruch rührt, im Ursprungsstaat (Kategorie 1), der Beklagte hat der Zuständigkeit des Gerichts im Ursprungsstaat ausdrücklich zugestimmt oder diese trotz Einlassung zur Sache nicht gerügt (Kategorie 2), oder es besteht eine ausreichende Verknüpfung zwischen dem streitigen Anspruch und dem Ursprungsstaat, weil in diesem Staat etwa der Erfüllungs- oder Schadensort liegt (Kategorie 3). Ist einer der Gerichtsstände aus dem Katalog im Ursprungsstaat begründet, so ist die Anerkennungszuständigkeit gegeben, unabhängig davon, ob das Gericht im Ursprungsstaat seine Zuständigkeit auf einen vergleichbaren oder einen anderen Gerichtsstand gestützt hat. Eine Besonderheit besteht bei Entscheidungen über dingliche Rechte an einer unbeweglichen Sache, die nur dann nach dem Übereinkommen anerkannt und vollstreckt werden, wenn die unbewegliche Sache im Ursprungsstaat belegen ist (Art. 6).
Die Anerkennung kann nur aus eng begrenzten Gründen verweigert werden, etwa bei offensichtlichem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaats (ordre public), betrügerischer Urteilserlangung, gravierender Verletzung von Verfahrensrechten oder fehlender Zustellung (Art. 7). Beruht eine Entscheidung auf der Beurteilung einer Vorfrage, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Haager Übereinkommens 2019 liegt, kann die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung versagt werden, wenn das Gericht im ersuchten Staat die Vorfrage anders als das Ursprungsgericht beurteilt hätte (Art. 8 (2)).
Das eigentliche Verfahren über die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung unterliegt dem nationalen Recht des Zweitstaats (Art. 13). Das Übereinkommen verpflichtet die Gerichte zur zügigen Entscheidung (Art. 13 (1)) und verbietet es nationalen Gerichten, den Antragsteller im Vollstreckbarerklärungsverfahren zur Zahlung einer Kostensicherheit zu verpflichten (Art. 14).
In Deutschland wird das Haager Übereinkommen 2019 durch das AVAG (Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Abkommen der Europäischen Union auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen) ins nationale Recht überführt:
- Ausschließlich zuständig für einen Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer ausländischen Gerichtsentscheidung ist das Landgericht am Wohnsitz des Schuldners oder – bei fehlendem inländischem Sitz – das Landgericht in dem Bezirk, wo die Vollstreckung durchgeführt werden soll (§ 3 AVAG).
- Eine Entscheidung ergeht ohne Anhörung des Verpflichteten und grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung (§ 6 AVAG). Das Verfahren ist damit deutlich schneller als das Exequaturverfahren nach §§ 722 f. ZPO, das als reguläres Erkenntnisverfahren mit mündlicher Verhandlung ausgestaltet ist.
- Bei Zulassung der Zwangsvollstreckung wird der ausländische Titel mit der Vollstreckungsklausel versehen, und die zu vollstreckende Verpflichtung in deutscher Sprache wiedergegeben (§§ 8, 9 AVAG).
Haager Übereinkommen 2019: Konsequenzen für Unternehmen und Ausblick
Das Haager Vollstreckungsübereinkommen 2019 schafft Rechtssicherheit und erleichtert die grenzüberschreitende Durchsetzung von Urteilen zwischen der EU und Großbritannien, auch wenn es aufgrund der zahlreichen ausgenommenen Materien die Brexit-bedingte Lücke nicht vollständig schließen kann.
Die erleichterte Urteilsvollstreckung auf beiden Seiten des Ärmelkanals sollte bei der Überprüfung bestehender und dem Abschluss neuer Streitbeilegungsklauseln berücksichtigt werden. Haben Parteien nach dem Brexit nur aus Vollstreckungsgründen auf Schiedsgerichte gesetzt, könnten sie nun erwägen, stattdessen staatliche Gerichte in der EU oder in Großbritannien als zuständiges Forum zu wählen. Haben Kredit- und Sicherungsgeber in den letzten Jahren ausschließliche Gerichtsstandsabreden abgeschlossen, um die Vorteile des Haager Gerichtsstandsübereinkommens 2015 zu nutzen, obwohl sie gerne die Möglichkeit hätten, auch vor anderen zuständigen Gerichten zu klagen, wo vollstreckbares Vermögen ihrer Vertragspartner belegen ist, sollten sie nun über die Aufnahme asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen nachdenken.
Für international tätige Unternehmen und Rechtsberater empfiehlt es sich außerdem, die Liste der Staaten, die das Haager Übereinkommen 2019 ratifizieren, im Blick zu behalten. In Albanien, Andorra und Montenegro wird es 2026 in Kraft treten.