30. November 2015
Gerichtsstandsvereinbarungen
Dispute Resolution

Haager Gerichtsstandsübereinkommen: Neue Ära der Urteilsvollstreckung?

Zum 1. Oktober 2015 ist das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.06.2005 ("HGÜ") in Kraft getreten. Wir zeigen worum es dabei geht.

Dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen wird bereits ein ähnlich bahnbrechendes Potential zugesprochen, wie dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958.

HGÜ soll effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten

Das HGÜ regelt die Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen sowie die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, die auf Grundlage solcher Vereinbarungen ergehen.

Es soll damit über die Grenzen der Europäischen Union hinaus den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in internationalen Handelsbeziehungen gewährleisten. Zunächst gilt das Übereinkommen im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Mexiko.

Anwendungsbereich und Verhältnis des Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen zur EuGVVO

Nach Art. 1 HGÜ ist das Übereinkommen bei internationalen Sachverhalten auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden, die in Zivil- oder Handelssachen geschlossen werden und an denen kein Verbraucher beteiligt ist.

In sachlicher Hinsicht schließt Art. 2 Abs. 2 HGÜ zahlreiche Bereiche von der Anwendung aus, wie beispielsweise die Beförderung von Reisenden und Gütern, gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten sowie die Gültigkeit oder Verletzung bestimmter Rechte des geistigen Eigentums mit Ausnahme rein lizenzrechtlicher Streitigkeiten.

Das Verhältnis zur Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) bestimmt sich nach Art. 26 Abs. 6 HGÜ. Danach ist die EuGVVO innerhalb ihres Anwendungsbereichs weiterhin vorrangig, wenn keine der Parteien ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat, der nicht zugleich auch Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist.

Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten richtet sich ebenfalls weiterhin nach den unionsrechtlichen Instrumenten. Einziger Anwendungsfall des Übereinkommens sind derzeit folglich Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen einer mexikanischen Partei und einer Partei aus einem Mitgliedstaat der EU sowie die Vollstreckung der daraus resultierenden Entscheidungen in Mexiko oder dem betreffenden Mitgliedstaat.

Anforderungen an eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung

Die Parteien können entweder die Zuständigkeit eines oder mehrerer bestimmter Gerichte oder ganz allgemein die Gerichtsbarkeit eines Vertragsstaates (z.B. „Gerichtsstand ist Deutschland″) vereinbaren.

Das Übereinkommen regelt dabei lediglich die formelle Wirksamkeit der Vereinbarung und verweist im Übrigen auf das Recht des Staates, dessen Gerichte vereinbart wurden. Nach Art. 3 HGÜ muss die formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung schriftlich oder mittels eines Kommunikationsmittels, das einen späteren Zugriff auf die Information ermöglicht, vereinbart oder zumindest dokumentiert sein. Dem dürfte ausreichend Rechnung getragen sein, wenn eine zunächst mündliche Vereinbarung später per E-Mail wiedergegeben wird.

Auswirkungen der Zuständigkeitsvereinbarung

Die in einer Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gerichte eines Vertragsstaates sind allein zuständig und zur Sachentscheidung verpflichtet, sofern die Vereinbarung nach dem Recht dieses Staates wirksam ist.

Ruft eine der Parteien ein anderes als das vereinbarte Gericht an, muss dieses prüfen, ob die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Staates, dessen Gerichte vereinbart wurden, ungültig ist oder einer der sonstigen Fälle des Art. 6 HGÜ vorliegt. Ist die Vereinbarung gültig und liegt kein sonstiger Fall im Sinne des HGÜ vor, ist das Verfahren auszusetzen oder die Klage als unzulässig abzuweisen.

Das angerufene Gericht hat die Wirksamkeit der Vereinbarung in jedem Falle vollumfänglich – unter Umständen nach fremdem Recht – zu prüfen. Anders als jetzt in Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist nicht vorgesehen, dass das angerufene Gericht das Verfahren zu Gunsten des in der Vereinbarung benannten aussetzt, damit letzteres selbst über seine Zuständigkeit entscheidet.

Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen

Herzstück des Übereinkommens ist die Regelung der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen – mit Ausnahme solcher des Eilrechtsschutzes, aber einschließlich vollstreckbarer gerichtlicher Vergleiche – die in einem anderen Vertragsstaat auf Grundlage einer dem Übereinkommen unterfallenden Gerichtsstandsvereinbarung ergingen.

Da insoweit die sonst nach § 328 ZPO erforderliche und oft problematische Verbürgung der Gegenseitigkeit entfällt, stellt das Übereinkommen eine erhebliche Erleichterung dar.

Ein Vertragsstaat darf die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nur versagen, wenn einer der im Übereinkommen aufgezählten Gründe vorliegt. Ein Versagungsgrund liegt beispielsweise nach Art. 9 HGÜ vor, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung ungültig war (lit. a) oder das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde (lit. b) sowie bei Unvereinbarkeit der Entscheidung mit dem ordre public (lit. e) oder mit früheren Entscheidungen (lit. f und g). Die Anerkennung und Vollstreckung kann ferner versagt werden, wenn eine nach Art. 2 Abs. 2 HGÜ ausgeschlossene Angelegenheit als Vorfrage zu beurteilen war und die Entscheidung darauf beruht. Die inhaltliche Richtigkeit der Sachentscheidung darf in keinem Fall nachgeprüft werden (Verbot der sog. révision au fond).

Ausblick: Erfolg der HGÜ ist von weitgehender Ratifikation abhängig

Seiner inhaltlichen Konzeption nach kann das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen die gerichtliche Rechtsdurchsetzung in Handelsbeziehungen außerhalb des europäischen Justizraums erheblich verbessern und damit auf lange Sicht Gerichtsstandsvereinbarungen im Vergleich zu den derzeit verbreiteten Schiedsvereinbarungen wieder interessanter werden lassen.

Solange die Ratifikation durch weitere Staaten aber noch aussteht, bleibt der praktische Nutzen sehr begrenzt. Neben den USA hat bisher nur Singapur das Übereinkommen unterzeichnet; wobei die für das Inkrafttreten noch erforderliche Ratifikation in beiden Fällen nicht absehbar ist. Ob dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen für die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen tatsächlich eine so herausragende Bedeutung zukommen wird wie dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen mit derzeit immerhin 156 Mitgliedsstaaten, bleibt damit vorerst ungewiss.

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