26. Oktober 2021
Brexit Prozesskostensicherheit
Brexit Dispute Resolution

Klagende Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich müssen Prozesskostensicherheit leisten

Kläger mit Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums müssen auf Verlangen des Beklagten Prozesskostensicherheit leisten.

Im Zuge des Brexits hat sich das Vereinigte Königreich aus der EU verabschiedet und gehört auch dem Europäischen Wirtschaftsraum nicht mehr länger an. Nach dem Ende der Übergangsphase stellte sich zum 1. Januar 2021 die Frage, ob nun auch von Klägern mit Sitz im Vereinigten Königreich Prozesskostensicherheit verlangt werden kann.

Das OLG Frankfurt (Zwischenurteil v. 9. September 2021 – 11 U 84/18) hat sich mit der Problematik beschäftigt.

Prozesskostensicherheit – zum Schutz des Beklagten

Die in den §§ 110 bis 113 ZPO geregelte Prozesskostensicherheit soll den Beklagten davor schützen, dass er trotz gewonnenem Prozess auf seinen von der Gegenseite zu erstattenden Prozesskosten sitzen bleibt. Diese Gefahr besteht, wenn der Kläger seinen Sitz in einem Staat hat, der deutsche Gerichtsurteile nicht oder zumindest nicht ohne Weiteres anerkennt bzw. in dem eine Vollstreckung der zu erstattenden Prozesskosten auf rechtliche Schwierigkeiten stößt. Um diese Probleme zu vermeiden, kann der Beklagte verlangen, dass der Kläger eine Sicherheit hinterlegt.

Diese Sicherheit wird vom Gericht in Höhe der wahrscheinlich entstehenden Prozesskosten festgesetzt (hierzu lesenswert: OLG Karlsruhe, Urteil v. 11. Oktober 2007 – 19 U 34/07). Sollte der Beklagte den Prozess tatsächlich gewinnen, kann er sich an dem hinterlegten Betrag bedienen, ohne eine aufwändige Vollstreckung im Ausland anzustrengen. 

Im Zusammenhang mit dem Brexit stellte sich die Frage, ob dieses Prozedere auch für Kläger mit Sitz im Vereinigten Königreich gilt. Solange das Vereinigte Königreich noch EU-Mitglied war bzw. während der Übergangsfrist als solches behandelt wurde, ermöglichte die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EuGVVO) die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus anderen Mitgliedstaaten.

Auch britischen Klägern kann eine Sicherheitsleistung auferlegt werden

Ausgehend vom Sinn und Zweck der Norm erscheint diese Überlegung zunächst abwegig – besteht wirklich die Sorge, dass britische Gerichte deutsche Urteile nicht mehr anerkennen oder das britische Rechtssystem eine Vollstreckung behindert? Tatsache ist jedoch, dass das Vereinigte Königreich mit dem Austritt aus der EU nicht mehr an die Gesetzgebung der EU gebunden ist. Das genügte auch dem Bundesgerichtshof (BGH), der mit Beschluss vom 1. März 2021 (Az. X ZR 54/19) einem britischen Unternehmen aufgab, Prozesskostensicherheit zu leisten. Genauso sah es kurz darauf das Bundespatentgericht (BPatG, Beschluss v. 15. März 2021 – 3 Ni 20/20 (EP)).

Selbstverständlich sieht das Gesetz auch Ausnahmen von der Pflicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit vor. So bestehen zwischen Deutschland bzw. der EU und zahlreichen anderen Staaten völkerrechtliche Verträge, die eine solche Pflicht schlicht ausschließen (vgl. § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder aber Erleichterungen für die Vollstreckung von Prozesskosten vorsehen (vgl. § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weshalb schon kein Bedürfnis für einen verstärkten Schutz des Beklagten besteht. Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich konnten BGH und BPatG nach dem Brexit jedoch kein solches Abkommen mehr finden.

Ausnahme für natürliche Personen mit britischer Staatsangehörigkeit

Das lag vor allem daran, dass der Kläger in beiden Verfahren eine juristische Person war. Für natürliche Personen existiert tatsächlich eine Ausnahme: Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13. Dezember 1955 darf den Staatsangehörigen der Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung auferlegt werden. Da der Brexit auf dieses Abkommen keine Auswirkungen hatte und sowohl Deutschland als auch das Vereinigte Königreich Vertragsstaaten sind, findet es weiterhin Anwendung. Folglich erübrigt sich die Diskussion um die Prozesskostensicherheit zumindest für natürliche Personen.

Sonderbehandlung für Altfälle?

Für juristische Personen mit Sitz im Vereinigten Königreich bleibt es jedoch bei der Pflicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit. Dennoch sind die beiden Beschlüsse von BGH und BPatG auf viel Kritik gestoßen. Der Grund: Es handelte sich um Altfälle, also Verfahren, die bereits vor dem Brexit am 1. Januar 2021 anhängig waren. Denn Art. 67 Abs. 2 lit. a des Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU sieht vor, dass die EuGVVO weiterhin Anwendung

auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen [findet], die in vor dem Ablauf des Übergangszeitraums eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind.

Die EuGVVO wiederum regelt die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den EU-Mitgliedern. Eine Fortgeltung hätte also zur Folge, dass zumindest in Altfällen eine Vollstreckung der Prozesskosten unproblematisch auf Grundlage der EuGVVO erfolgen könnte und die Leistung einer Sicherheit entbehrlich wäre. Wurde diese Regelung also sowohl von BGH als auch von BPatG übersehen?

OLG Frankfurt schlägt sich bei Frage nach einer Sicherheitsleistung im Prozess auf die Seite von BGH und BPatG

Das OLG Frankfurt hatte einen ganz ähnlichen Fall vorliegen. Wiederum begehrte der Beklagte von einem britischen Unternehmen auf der Klägerseite die Leistung einer Prozesskostensicherheit. Das Verfahren stammte jedoch aus der Zeit vor dem Brexit, weshalb sich das OLG Frankfurt mit dem Art. 67 Abs. 2 lit. a des Austrittsabkommens beschäftigte – und den beiden höchstrichterlichen Entscheidungen zustimmte. Dabei sezierte das Gericht den Absatz 2 und kam zu einer logischen Schlussfolgerung:

Art. 67 Abs. 2 des Austrittsabkommens nennt Urteile, Entscheidungen, öffentliche Urkunden, gerichtliche Vergleiche und Gerichtsstandsvereinbarungen. Die nachfolgenden lit. a bis d führen jedoch nur jeweils einzelne dieser fünf Punkte auf. In lit. a, der die Fortgeltung der EuGVVO regelt, werden nur Urteile und öffentliche Urkunden genannt. Prozesskosten werden in einem Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzt, woraus dann vollstreckt werden kann. Derartige Kostenfestsetzungsbeschlüsse sind jedoch „(sonstige) Entscheidungen″ und werden als solche zwar in Art. 67 Abs. 2 lit. c, nicht aber in lit. a des Austrittsabkommens genannt. Das OLG Frankfurt zog daraus den Umkehrschluss, dass lit. a für Entscheidungen gerade nicht gilt.

Prozesskostensicherheit wird an Bedeutung gewinnen

Ob damit der Streit um die Fortgeltung der EuGVVO beigelegt ist, mag bezweifelt werden. Die in Absatz 2 genannten „Gerichtsstandsvereinbarungen″ tauchen in den lit. a bis d überhaupt nicht auf und wären damit nach Logik des OLG völlig überflüssig. Zudem unterscheidet sich die englische Originalfassung des Austrittsabkommens insofern, als dass die in Absatz 2 genannten fünf Punkte in ganz unterschiedlichen Konstellationen in den lit. a bis d auftauchen.

Aus praktischer Sicht bedarf der Streit aber wahrscheinlich sowieso keiner Klärung. Da die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit an strenge Fristen gebunden ist, dürfte die Zahl der Altfälle, in denen sie überhaupt noch eine Rolle spielen könnte, sehr gering sein. Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass für sämtliche neuen Verfahren, bei denen auf Klägerseite eine juristische Person mit Sitz im Vereinigten Königreich steht, eine Prozesskostensicherheit verlangt werden kann. Damit dürften die §§ 110 ff. ZPO an Bedeutung gewinnen – zumindest bis die verfahrensrechtlichen Grundlagen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich einer völkerrechtlichen Klärung zugeführt werden.

Tags: Brexit Dispute Resolution Gerichtsverfahren Prozesskostensicherheit