5. September 2023
Mandatory Mediation
Dispute Resolution

„Mandatory Mediation“: auch in Deutschland denkbar?

Eine verpflichtende Mediation (sog. „Mandatory Mediation“) kann die Gerichte entlasten und die Chancen einer einvernehmlichen Streitbeilegung erhöhen.

Das Prinzip der Freiwilligkeit zählt zu den Grundprinzipien der Mediation – und das aus guten Gründen: es schützt die Konfliktparteien vor einer erzwungenen Teilnahme an der Mediation und trägt dazu bei, dass eine einvernehmliche Lösung für den Konflikt erarbeitet werden kann.

Aktuelle Entwicklungen im Vereinigten Königreich sind deshalb bemerkenswert. Dort gab das Ministry of Justice im Juli 2023 bekannt, dass Zivilklagen mit einem Streitwert von bis zu GBP 10.000 (umgerechnet etwa EUR 12.000) künftig einem verpflichtenden Mediationsverfahren (engl.: „mandatory mediation“) unterworfen werden sollen. Erst nach dem Scheitern der Mediation soll eine richterliche Befassung mit dem jeweiligen Verfahren möglich sein.

Berechnungen des Ministry of Justice zufolge wird erwartet, dass die geplante Änderung jährlich etwa 92.000 Verfahren betreffen könnte und ca. 5.000 Verhandlungstage bei den Zivilgerichten entfallen würden. Die freiwerdenden Kapazitäten sollen für eine beschleunigte Bearbeitung komplexerer Fälle eingesetzt werden. Zur Begründung des Reformvorschlags verweist die britische Regierung – neben der Entlastung der Zivilgerichte – außerdem darauf, dass die außergerichtliche Konfliktlösung typischerweise mit geringeren Kosten für die Parteien verbunden ist und auch die psychischen Belastungen eines gerichtlichen Verfahrens vermieden werden.

Rechtslage in Deutschland: Möglichkeit, vermögensrechtliche Streitigkeiten mit geringem Streitwert auf Mediationsverfahren zu verweisen, wird nicht wahrgenommen

In Deutschland ist die Freiwilligkeit der Mediation in § 1 Abs. 1 des Mediationsgesetzes (MediationsG) gesetzlich verankert. Mediation wird dort definiert als ein

vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. 

Neben der freiwilligen Aufnahme der Mediation gehört hierzu auch das Recht der Konfliktparteien, die Mediation jederzeit – und ohne Angabe von Gründen – zu beenden (§ 2 Abs. 5 S. 1 MediationsG).

Zivilprozessual spiegelt sich der Gedanke, dass Mediation grundsätzlich nur bei freiwilliger Teilnahme der Konfliktbeteiligten „funktioniere“, darin wider, dass das Gericht eine Mediation oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung vorschlagen, nicht aber anordnen kann (§ 278a Abs. 1 ZPO). Auch in Scheidungssachen kann das Gericht lediglich die Teilnahme der Ehegatten an einem (kostenfreien) Informationsgespräch über Mediation anordnen, nicht jedoch die Teilnahme an der Mediation selbst (§ 135 S. 1 FamFG).

Ein gewisser Vergleich zu dem Reformvorhaben im Vereinigten Königreich lässt sich mit Blick auf § 15a EGZPO ziehen. Die Vorschrift eröffnet den Bundesländern die Möglichkeit, die Zulässigkeit bestimmter Zivilklagen an den (erfolglosen) Versuch einer einvernehmlichen Streitbeilegung vor einer sog. Gütestelle zu knüpfen. In Bayern – und anderen Bundesländern – wurde auf dieser Grundlage beispielsweise eine obligatorische Schlichtung für bestimmte Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei Verfahren wegen Beleidigung und in Diskriminierungsfällen geschaffen.

Bemerkenswert ist, dass derzeit kein einziges Bundesland von der in § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EGZPO geregelten Möglichkeit Gebrauch macht, vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von bis zu EUR 750 zur einvernehmlichen Streitbeilegung an eine Gütestelle zu verweisen. Entsprechende Regelungen existierten zwar für einige Zeit im Saarland, in Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg, wurden mittlerweile sämtlich wieder aufgehoben.

Dies zeigt, dass sich jedenfalls in Deutschland der für die außergerichtliche Beilegung geringfügiger vermögensrechtlicher Streitigkeiten angestellte Gedanke ganz offenbar nicht durchsetzen konnte. Dieser bestand ausweislich der Gesetzesbegründung darin, dass bei derartigen Streitigkeiten

die Bedeutung der Sache in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Kosten- und Zeitaufwand eines gerichtlichen Verfahrens [steht]

(BT-Drs. 14/980, S. 6). Als effizientere Variante gegenüber dem Versuch einer einvernehmlichen Streitbeilegung dürfte sich in diesen Fällen häufig die Möglichkeit der Anspruchsdurchsetzung im Wege eines gerichtlichen Mahnverfahrens (§§ 688 ff. ZPO) erwiesen haben.

Unionsrecht lässt Spielraum für Anordnung von Mediationsverfahren

Wie sich aus Art. 3 lit. a der Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen ergibt, steht es dem Prinzip der Freiwilligkeit jedenfalls aus unionsrechtlicher Sicht nicht entgegen, wenn die Mediation von einem Gericht vorgeschlagen oder angeordnet wird oder sie nach dem nationalen Recht eines EU-Mitgliedstaats vorgeschrieben ist. Maßgeblich für die Wahrung der Freiwilligkeit ist nach dem 13. Erwägungsgrund der Mediationsrichtlinie vielmehr, 

dass die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich sind und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden können.

Ergänzend hat der EuGH in der Rechtssache Menini und Rampanelli (C-75/16) mit Urteil vom 14. Juni 2017 klargestellt, dass die Richtlinie 2013/11/EU über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Zulässigkeit einer gerichtlichen Klage von der vorherigen Einleitung eines Mediationsverfahrens abhängig macht. Entscheidend ist nach Auffassung des EuGH weniger der freiwillige oder verpflichtende Charakter der Mediationsregelung, sondern vor allem der Umstand, dass die Parteien nicht daran gehindert werden, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem auszuüben.

Nach alldem bleibt jedoch die Frage: Wie sinnvoll ist eine verpflichtende Mediation überhaupt?

Chancen und Risiken von „Mandatory Mediation“

Bei einer verpflichtend ausgestalteten Mediation sind die Parteien gehalten, einen Versuch der einvernehmlichen Streitbeilegung zu unternehmen und sich hierbei durch einen neutralen Dritten – einen Mediator – unterstützen zu lassen, der die Gespräche strukturiert und leitet. Nach dem klassischen Modell der Mediation finden die Gespräche grundsätzlich im Beisein aller Konfliktbeteiligten statt, wobei auch Einzelgespräche möglich sind (vgl. § 2 Abs. 3 S. 3 MediationsG). Ebenso kann das Mediationsverfahren als sog. Shuttle-Mediation ausgestaltet sein, bei der keine direkten Gespräche zwischen den Konfliktparteien stattfinden, sondern der Mediator über Einzelgespräche zwischen den Parteien pendelt (sog. Caucusing). 

Werden die Konfliktbeteiligten zu einer Teilnahme an dem Verfahren verpflichtet, besteht die Gefahr, dass die Mediation möglicherweise von vornherein zum Scheitern verurteilt ist und lediglich eine mit Blick auf die Zulässigkeit der Klage nötige Voraussetzung „abgearbeitet“ wird. Umgekehrt gilt – jedenfalls nach der Vorstellung einer idealtypischen Mediation: Wenn die Parteien freiwillig an dem Verfahren teilnehmen, sind sie in der Regel eher zu einer kooperativen Lösungsfindung bereit. Sie sind motivierter und stehen dem Verfahren tendenziell offener gegenüber. 

Andererseits: In der Praxis sind die Parteien in den seltensten Fällen von sich aus und ohne jeden Anstoß von außen zu einer Mediation bereit. Einen Konflikt mit der anderen Partei zu klären und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, ist nicht nur herausfordernd, sondern wird zusätzlich durch die in Konflikten herrschende Eskalationsdynamik erschwert. Insofern erscheint es häufig als Entlastung, die Konfliktlösung an Prozessanwälte abzugeben.

Gerade wenn jedoch die (Geschäfts-)Beziehung zwischen den Konfliktparteien erhalten werden soll, bietet Mediation eine besondere Chance. Als Mediator unterstützt ein neutraler, allparteilicher Dritter beide Seiten gleichermaßen dabei herauszufinden, worum es in dem Konflikt eigentlich geht, was die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse sind und über welche Umstände möglicherweise Einigkeit oder auch Uneinigkeit herrscht. Selbst wenn die Mediation zunächst scheitern sollte, kann allein dieser Klärungsaspekt dazu beitragen, dass die Parteien später im Rahmen eines Gerichtsverfahrens doch noch zu einer Einigung gelangen. 

Mediationsverfahren – Zwang zum Glück?

Letztlich dürften die Erfolgschancen verpflichtender Mediationen vor allem von der Art des Konflikts, den Konfliktbeteiligten und insbesondere der Person des Mediators abhängen. Vergleichsweise gute (erste) Erfahrungen wurden im Vereinigten Königreich mit verpflichtenden Mediationen in Scheidungskontexten gemacht, die seit dem Frühjahr 2023 zum Schutz der Kinder vor traumatisierenden Erfahrungen in familiengerichtlichen Verfahren durchgeführt wurden. Von den 7.200 Fällen, die nach dieser Verfahrensweise bearbeitet werden konnten, wurde in 69% der Fälle eine vollständige oder zumindest teilweise außergerichtliche Einigung erzielt. 

Darüber hinaus dürfte auch die Ausgestaltung der Mediation zu einem hohen Maße beeinflussen, ob die Parteien das Verfahren akzeptieren und als ernsthafte Option für die Herbeiführung einer außergerichtlichen Einigung erachten. Die im Vereinigten Königreich geplante „Mandatory Mediation“ für vermögensrechtliche Streitigkeiten soll beispielsweise für die Parteien kostenlos sein. Interessant ist auch, dass das Verfahren als telefonische (fernmündliche) Mediation konzipiert ist – ein Ansatz, der in Deutschland etwa bereits von Versicherungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung eingesetzt wird. Es spricht also durchaus einiges dafür, die Parteien zu „ihrem Glück“ zu zwingen und auch in Deutschland über eine Ausweitung der „Mandatory Mediation“ nachzudenken.

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