„Erfolgreich gescheitert“ – OLG verneint Zahlungsanspruch, betont aber, dass große CO₂‑Emittenten zivilrechtlich für Klimafolgeschäden haften können.
Hintergrund
Der peruanische Bergführer Saúl Luciano Lliuya verlangt seit 2015, dass RWE sich als Europas größter CO2-Emittent anteilig an lokalen Hochwasserschutzmaßnahmen für sein Haus und sein Dorf beteiligt. Der Vorwurf: Durch den anthropogen beschleunigten Klimawandel schmelzen die Gletscher unaufhaltsam, während der Pegel des oberhalb seines Dorfes gelegenen Gletschersees, unaufhörlich steigt und dadurch eine gefährliche Flutwelle („GLOF“) auslösen könnte, die möglicherweise bis zu seinem Haus vordringt. Um dem vorzubeugen, könnte der Wasserpegel der Lagune durch gezielte Absenkungsmaßnahmen – die auf etwa 3,5 Millionen Euro geschätzt werden – dauerhaft gesenkt werden, wobei sich RWE dem Peruaner zufolge anteilig an diesen Kosten beteiligen soll. „Anteilig″ bedeutet hier entsprechend dem Verursachungsbeitrag von RWE. Grundlage ist eine wissenschaftlich ermittelte Mitverursachungsquote des Unternehmens, das ausweislich des sogenannten Carbon-Majors-Berichts für zunächst 0,47 Prozent, nunmehr „nur“ noch 0,38% aller CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich ist.
Prozessverlauf
Nach der Klageeinreichung vor dem LG Essen (2015) und der Abweisung in erster Instanz (2016) hatte das OLG Hamm im Jahr 2017 einen umfangreichen Beweisbeschluss erlassen. Es folgten zwei Ortstermine in Huaraz (Peru), zwei Sachverständigengutachten zu Hydrologie und Klimamodellierung sowie diverse Befangenheitsanträge – mit Gerichts- und Gutachterkosten in Höhe von ca. 800.000 Euro.
Die Gutachten sollten die erste Beweisfrage des Gerichts klären, nämlich ob in den nächsten dreißig Jahren eine ernsthafte Beeinträchtigung des Hausgrundstücks durch eine Überflutung oder eine Schlammlawine droht. Bereits am ersten Tag der mündlichen Verhandlung im März 2025 war deutlich geworden, dass die Gutachter die Gefahr als sehr gering einschätzten.
Da sich der Anteil von RWE an den globalen Treibhausgasemissionen von 0,47 auf 0,38 Prozent reduziert zu haben scheint, hatte Klägeranwältin Dr. Roda Verheyen zudem die Klage teilweise für erledigt erklärt – und zwar in Höhe von 0,09 Prozentpunkten.
Am 28. Mai 2025 verkündete der 5. Zivilsenat nun also sein Endurteil (5 U 15/17) nach nahezu zehnjähriger Verfahrensdauer. Die Revision wurde nicht zugelassen; eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH steht dem Kläger jedoch offen.
Die Entscheidung im Überblick
1. Haftung soll im Grundsatz möglich sein
Lliuya stützte seine Klage neben der sog. Geschäftsführung ohne Auftrag auf den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), demzufolge der Eigentümer von dem Störer die Unterlassung „drohender Beeinträchtigungen″ seines Eigentums verlangen kann. Die erforderlichen Kosten der Beseitigung muss der Störer dann verschuldensunabhängig tragen. Das OLG Hamm hält eine solche Haftung deutscher Unternehmen für Folgen des Klimawandels in anderen Staaten im Grundsatz für möglich. Auch die große Entfernung zwischen den Kraftwerken des deutschen Energieerzeugers und dem Wohnort des Klägers sei kein Hindernis. In diesem Punkt widersprach das OLG der ersten Instanz, welche die Klage des Bauern abgewiesen hatte mit der Begründung, ein einzelnes Unternehmen könne für den globalen Klimawandel nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Gericht bestätigte, dass eine naturwissenschaftliche wie auch adäquate Kausalität grundsätzlich nachweisbar sein muss und auch ein geringer Emissionsanteil für die Störereigenschaft ausreichend sein kann. Öffentliche Genehmigungen sowie die Einhaltung umweltrechtlicher Grenzwerte wirken nur „indikatorisch“ (§ 906 BGB) und entfalten keinen automatischen Haftungsausschluss (Autonomie des Privatrechts).
2. Kausalitäts‑ und Risikohürde
Die Klage scheitert allein an der fehlenden Konkretheit der Gefahr: Der Sachverständige bezifferte die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Überflutung in den nächsten 30 Jahren auf ≈ 1 %; selbst bei Eintritt würde das Wasser das Haus nur etwa 20 cm hoch treffen. Damit fehlt die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ für einen drohenden Eingriff – ein zwingendes Tatbestandsmerkmal der §§ 1004, 906 BGB.
Der Senat beschränkte die Prüfung bewusst auf das letzte Glied der Kausalkette – die unmittelbare Gefahrenprognose – und ließ alle vorgelagerten Rechtsfragen offen. Damit erteilt er künftigen Klägern den Fingerzeig, dass detaillierte Sachverhaltsaufarbeitung zu Risiko und Eintrittswahrscheinlichkeit unerlässlich sein wird.
Rechtliche Einordnung
Die Entscheidung fügt sich in die europäische Diskussion um Art. 17 Rom‑II‑VO ein: Gerichte berücksichtigen genehmigungsrechtliche Vorgaben als „Sicherheits‑ und Verhaltensregeln“ nur, soweit diese angemessen sind. Damit bleibt Genehmigungstreue eine wichtige, aber nicht abschließende Verteidigungslinie. Das OLG Hamm legt die Latte für eine erfolgreiche Klimaklage zugleich höher, indem es die konkrete Gefahren‑ und Schadensprognose ins Zentrum der Darlegungslast rückt. Dennoch ist der Weg für zukünftige Schadensersatz‑ oder Anpassungsklagen grundsätzlich geebnet – NGOs sprechen von einem „Erfolg trotz Niederlage“.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen und Handlungsempfehlungen
- Genehmigungs‑Compliance bleibt unverzichtbar, ist aber kein „Haftungsschild“. Genehmigungs‑Audit: Prüfen Sie ältere BImSchG‑Genehmigungen auf Klimaschutz‑Bezüge.
- Beweisrisiko steigt: Künftige Kläger können umfangreiche Gutachten und Datensätze verlangen (Discovery‑light im deutschen Zivilprozess). Identifizieren und dokumentieren Sie potenzielle Schadenspunkte Ihrer Emissionen, um Behauptungen früh zu entkräften („Klimarisiko‑Mapping“). Archivieren Sie Betriebs‑, Emissions‑ und Wetterdaten strukturiert – so sind Sie für gerichtliche Sachverständigenanforderungen gerüstet.
- Einzelne Klimafolgeschäden (Überschwemmung, Waldbrand, Hitze) lassen sich leichter konkretisieren als „globale Durchschnittsschäden“ – die Fallzahlen dürften steigen.
- ESG‑Reporting und Litigation‑Narrative müssen konsistent sein: Widersprüche zwischen Nachhaltigkeits‑Kommunikation und Prozessstandpunkten bieten Angriffsfläche.
- Vertragliche Rückgriffsregeln: Lassen Sie prüfen, ob sich Klimarisiken entlang der Liefer‑ und Finanzkette durch klare Kostenteilungs‑ und Freistellungsklauseln verteilen lassen.
Ausblick: Droht bei realer Gefahr einer Flutwelle (oder anderer klimabedingter Naturkatastrophen) eine Klagewelle?
Der Kläger hat bereits angekündigt, Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH einzulegen. Aufgrund der sehr geringen Gefahr einer Flutwelle infolge Gletscherschmelzens ist aber mit einer Klagewelle zumindest von Anwohnern der Stadt Huaraz gegen den Energieriesen vorab nicht zu rechnen. So erklärte der Vorsitzende Richter Dr. Meyer bei der Urteilsverkündung: „Das Verfahren fordert nicht zur Nachahmung auf und wird wahrscheinlich, zumindest zu meinen Lebzeiten, das einzige seiner Art bleiben″. An anderer Stelle erklärte ein Gerichtssprecher hingegen, der von den Klägern vorgebrachte Anspruch sei theoretisch möglich, sodass das Gericht bei einer anderen Beweislage auch anders hätte entscheiden können. Weitere Klagen könnten daher folgen und auch Klägervertreterin Verheyen hat bereits weitere Mandanten, z.B. in Nepal. Für Unternehmen heißt das: Frühzeitige Datensammlung und integriertes Klimarisiko‑Management sind der wirksamste Schutz vor kostspieligen Climate‑Litigation‑Wellen.