12. August 2013
Europarecht Restrukturierung und Insolvenz

Auf dem Weg zu einem Konzerninsolvenzrecht für Großunternehmen

Der Arcandor-Konzern, die Kirch-Gruppe und jetzt die Praktiker-Unternehmensgruppe: In letzter Zeit häufen sich Insolvenzen von grenzüberschreitend tätigen Konzernunternehmen, deren Betriebsvermögen auf zahlreiche miteinander verbundene Gesellschaften und Niederlassungen verteilt ist. In solchen Fällen fehlte bisher eine klare insolvenzrechtliche Regelung. Ein Gesetzentwurf soll dies künftig ändern.

Die einheitliche Leitung einer Unternehmensgruppe durch die Konzernspitze hat zur Folge, dass das Ganze im Konzern im sprichwörtlichen Sinne mehr wert ist als die Summe seiner Einzelteile. Deshalb wird in Krise und Insolvenz ganz überwiegend versucht, den Konzern als Unternehmensverbund zu erhalten und entweder gemeinschaftlich zu sanieren oder zu verwerten.

Hierzu bedarf es in der Konzerninsolvenz entweder einheitlicher Zuständigkeiten oder einer sehr präzisen Abstimmung der Beteiligten. Dies ist in der Rechtspraxis oftmals schwierig umzusetzen.

Das Problem beschreibt der neue Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ) für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 3. Januar 2013: Eine unkoordinierte Eröffnung und Durchführung einer Mehrzahl von Insolvenzverfahren im Konzern könne dazu führen, dass „wertmaximierende Verwertungsstrategien“ behindert oder sogar unterbunden werden, weil sich zahlreiche Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter jeweils auf das oder die eigene(n) Insolvenzverfahren und deren richtige Durchführung konzentrieren und möglicherweise übergreifende Verwertungsansätze aus dem Auge verlieren.

Es sind hier nach Ansicht des BMJ „Reibungs- und Wertverluste“ zu befürchten, insbesondere der Wegfall von wichtigen Synergieeffekten, die den Konzernaufbau ehemals gekennzeichnet haben.

Im aktuellen Fall der Praktiker-Gruppe werden Insolvenzverfahren über die Vermögen operativ tätiger Tochtergesellschaften beim AG Hamburg geführt und durch einen einheitlichen Insolvenzverwalter betreut, während der Insolvenzantrag über das Vermögen der Konzernobergesellschaft Praktiker AG in Saarbrücken gestellt wurde, was zur dortigen Verfahrenseröffnung und lokalen Verwalterbestellung geführt hat. Über einen weiteren Konzernteil wurde ebenfalls die Insolvenz im Hamburg eröffnet und ein weiterer Insolvenzverwalter bestellt.

Mindestens zwei beteiligte Insolvenzgerichte und drei Insolvenzverwalter in einer bundesweit bedeutenden Unternehmensinsolvenz, die von dem Wunsch auf Fortführung und Sanierung getragen wird − sollte das BMJ nach einem Modellfall gesucht haben, der paradigmatisch dem Gesetzentwurf zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen zugrunde gelegt werden kann, mit der Praktiker-Insolvenz ist ein solcher Fall gegeben.

Bisherige Handhabung

Bislang hat sich die Rechtspraxis in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben bei nationalen und internationalen Konzerninsolvenzen durch den Einsatz verschiedener informeller Koordinationsmittel beholfen: Waren die insolventen Unternehmen anwaltlich beraten, konnten im Vorfeld der Antragstellung mit den Insolvenzgerichten die Zuständigkeitsfrage und das Thema der Verwalterauswahl angesprochen werden.

Waren die Insolvenzanträge bei einem Insolvenzgericht und – idealerweise − in der Hand eines Insolvenzrichters gebündelt (was beim Praktiker-Konzern offenbar nicht der Fall war), konnte ein einheitlicher Insolvenzverwalter bestellt werden oder zumindest Sozien aus einer Verwalterkanzlei. Dadurch konnte wenigstens eine personell koordinierte Insolvenzverwaltung stattfinden. Die hiermit verringerte Komplexität führt zu einer flexibleren und entscheidungsstarken Insolvenzverwaltung, die zum Werterhalt im insolventen Konzern beitragen kann.

Bei mehreren Insolvenzverfahren über verbundene Unternehmen an verschiedenen Gerichtsstandorten und mit verschiedenen Insolvenzverwaltern haben sich verbindliche Koordinationsabsprachen zwischen Insolvenzgerichten und Insolvenzverwaltern bewährt. Diese werden insbesondere im internationalen Kontext in sogenannten Protocols niedergelegt. Schließlich können verschiedene Insolvenzpläne in den Verfahren von Mutter- und Tochtergesellschaften derart miteinander harmonisiert werden, dass eine Gesamtlösung trotz der Verfahrensvielfalt erreicht wird.

Der Vorstoß des BMJ mit dem neuen Gesetzentwurf

Das BMJ hatte sich vorgenommen, auf der dritten und vorerst letzten Stufe der Reform des deutschen Insolvenzrechts das Konzerninsolvenzrecht zu modernisieren. Hierzu liegt nun ein Gesetzesentwurf vor, der die Implementierung konzerninsolvenzrechtlicher Vorschriften in die Insolvenzordnung (InsO) vorsieht, insbesondere einen neuen 7. Teil der InsO in §§ 269a ff. E-InsO, der sich mit der Koordinierung von Insolvenzverfahren befasst, die über konzernangehörige Insolvenzschuldner eröffnet werden. Im Grundsatz ist dies zu begrüßen.

Der Diskussionsentwurf des BMJ sieht keine Zusammenlegung der verschiedenen Insolvenzmassen im Konzern nach dem Vorbild der US-amerikanischen substantive consolidation vor und auch keine gemeinsame Verwaltung mehrerer konzernangehöriger Schuldner in einem Verfahren nach dem Vorbild der joint administration des US-Rechts. Es bleibt bei der verfahrensmäßigen Eigenständigkeit der Konzerngesellschaften ohne eine substanzielle Verschmelzung von Verbindlichkeiten und Ansprüchen im Konzern und ohne Verfahrenszusammenfassung.

Die gesetzlichen Veränderungen sind vielmehr auf eine stärkere Vernetzung, Information und Abstimmung der beteiligten Insolvenzverfahren ausgerichtet: Zunächst sollen die beteiligten Konzern-Insolvenzverfahren bei einem Insolvenzgericht zusammengeführt werden, was im Falle der Praktiker-Unternehmensgruppe wohl zur Zuständigkeit des zuerst angerufenen Amtsgerichts Hamburg geführt hätte.

Der sogenannte Gruppengerichtsstand (§ 3a E-InsO) kann bei dem Insolvenzgericht begründet werden, bei dem der erste Antrag auf Verfahrenseröffnung gestellt wird, wenn die Konzentration im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt und wenn die Antragstellerin eine für den Konzern wesentliche Funktion innehatte.

Bei abweichenden Antragstellungen kommt die Verweisung an das „Konzerninsolvenzgericht“ in Betracht. Die Zuständigkeitskonzentration entspricht den Wünschen der Rechtspraxis, denn die Verfahrensleitung hinsichtlich des Konzerns würde in einer Hand liegen, was zu zahlreichen operativen Erleichterungen im Hinblick auf Verwalter- und Gläubigerausschussbestellungen, Durchführung von Gläubigerversammlungen usw. führen würde.

Der Gesetzentwurf des BMJ übernimmt das aus der Praxis bekannte Modell des einheitlichen Konzerninsolvenzverwalters, der in mehreren Verfahren zugleich bestellt werden soll (§ 56b E-InsO). Hierzu sollen sich die beteiligten Insolvenzgerichte abstimmen, soweit kein Gruppeninsolvenzgericht tätig ist. Der Gesetzentwurf des BMJ übernimmt sodann das aus der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) bekannte Modell der Kooperation von Verfahrensorganen.

Hiernach sollen Insolvenzverwalter (§ 269a E-InsO), Insolvenzgerichte (§ 269b E-InsO) und Gläubigerausschüsse (§ 269c E-InsO) in der Konzerninsolvenz zusammenarbeiten und wechselseitig Informationen austauschen, was zu einer Abstimmung im operativen Betrieb führen kann. Hier soll die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmassen koordiniert werden, was insbesondere bei Betriebsfortführungen sinnvoll ist.

Das neue Koordinationsverfahren

Das zentrale Element des Gesetzentwurfs des BMJ ist die Einführung eines in dieser Form noch nicht bekannten Koordinationsverfahrens in §§ 269d ff. E-InsO, welches vom Gruppeninsolvenzgericht eingeleitet werden kann. Das Koordinationsverfahren ist geprägt durch die im Insolvenzrecht neue Rechtsfigur des sogenannten Koordinationsverwalters (§ 269e ff. E-InsO), der aus dem Kreis der im Konzern bestellten Insolvenzverwalter zu bestimmen ist.

Seine Aufgabe wird es zukünftig sein, die verschiedenen Verfahren der Konzernunternehmen inhaltlich abzustimmen, um den Verbundwert zu sichern. Er entwickelt die strategischen Leitlinien für die Verwaltung des Konzerns, ohne dass die anderen Verwalter und Insolvenzmasse jedoch hieran gebunden wären. Die anderen Insolvenzverwalter im Konzern sind zwar zur Zusammenarbeit mit dem Koordinationsverwalter gesetzlich verpflichtet, ihm aber nicht inhaltlich untergeordnet.

Vielmehr ist es Aufgabe des Koordinationsverwalters, die Beteiligten von seiner Konzernstrategie zu überzeugen. Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, dass zum Koordinationsverwalter eine Verwalterpersönlichkeit zu bestellen ist, die neben dem insolvenzrechtlichen Sachverstand auch Erfahrung mit Konzerninsolvenzen und mediatives Geschick mitbringt, denn Weisungsbefugnisse sind im Gesetzentwurf nicht vorgesehen, mit denen der Koordinationsverwalter seine Bestrebungen durchsetzen könnte.

Dafür ist das Mittel des Koordinationsplans entwickelt worden (§ 269h ff. E-InsO), welcher dem Koordinationsgericht zur Bestätigung vorzulegen ist und der von einem sogenannten Gruppen-Gläubigerausschuss (§ 269c E-InsO) genehmigt werden muss. Der Koordinationsplan ist ein Lenkungsinstrument, in dem niedergelegt werden kann, welche einzelnen Maßnahmen zur Abstimmung in der Konzerninsolvenz ergriffen werden sollen, insbesondere wie die wirtschaftliche Leistungskraft des Konzerns für eine eventuelle Sanierung wiederhergestellt werden kann.

Die geplante Reform der EuInsVO

Das BMJ ist auch bemüht, die im Hinblick auf grenzüberschreitende Konzerninsolvenzen notwendige Reform der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) voranzutreiben. Auch hier liegt bereits ein offizieller Entwurf der Europäischen Kommission vom 12. Dezember 2012 vor, der einige Neuregelungen im Hinblick auf die Konzerninsolvenz in dem geplanten Kapitel IV A. enthält.

Dort sind in den Art. 42a bis 42d E-EuInsVO verschiedene Kooperations- und Kommunikationsbefugnisse und -pflichten geregelt. Im Gleichlauf mit dem geplanten deutschen Konzerninsolvenzrecht werden Konsolidierungsansätze nicht verfolgt; die Reform zielt auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter bei transnationalen Unternehmensgruppen.

Demzufolge müssen sich Insolvenzverwalter im Konzern wechselseitig informieren und zusammenarbeiten, soweit dies für die beteiligten Verfahren von Bedeutung ist und keine erkennbaren Nachteile für die Insolvenzmassen verursacht (Art. 42a E-EuInsVO). Das Gleiche gilt im Grundsatz für die Insolvenzgerichte (Art. 42b E-EuInsVO). Nach Art. 42c E-EuInsVO haben Insolvenzverwalter im Konzern sogar einen Anspruch auf Zusammenarbeit und Informationsaustausch gegenüber Insolvenzgerichten, die nicht für ihr eigenes Insolvenzverfahren zuständig sind, sondern für ein anderes Insolvenzverfahren im Konzern.

Schließlich können Insolvenzverwalter im Konzern nach Maßgabe des Art. 42d E-EuInsVO in Gläubigerversammlungen von verbundenen Unternehmen teilnehmen oder die Verfahrensaussetzung in einem anderen Konzernverfahren beantragen oder dort einen Sanierungsplan vorlegen. Diese zuletzt genannten Befugnisse sind sehr weitgehend und es ist fraglich, ob sie mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes vereinbar sind.

Fazit

Insgesamt liegt mit dem Gesetzentwurf des BMJ ein Vorschlag für die Reform der InsO vor, der die in der Insolvenzpraxis auch bislang schon gelebten Abstimmungsinstrumente gesetzlich verankert, teilweise inhaltlich ausformt und mit dem neu einzuführenden Koordinationsverfahren sinnvoll ergänzt. Von besonderer Bedeutung ist die Einführung eines Gruppengerichtsstands verbunden mit der Möglichkeit der Verweisung eines Insolvenzantrags an das Gruppengericht. Hiermit können durch die Antragsteller die Grundlagen für eine strategische Konzerninsolvenzplanung gelegt werden.

Auf europäischer Ebene sind die Bemühungen um eine stärkere Abstimmung und Vernetzung grundsätzlich zu begrüßen, wenngleich protektionistische Verhaltensmuster im jeweiligen nationalen Kontext einer echten harmonisierten Konzerninsolvenzverwaltung nach wie vor entgegenstehen werden.

Tags: einheitlicher Insolvenzverwalter EuInsVO Gesetzgebung Gruppengerichtsstand Gruppeninsolvenzgericht InsO Konzerninsolvenz Koordinationsverwalter Koordinierung Verfahrensvielfalt