Heute hat der Rat der EU die Neufassung der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) angenommen. Das Europäische Parlament hatte dieser Fassung bereits am 20. November 2012 zugestimmt. Auch das Plazet der Kommission liegt vor. Die Bekanntmachung im Amtsblatt steht noch aus.
Die auch als Brüssel-I-VO bekannte Regelung (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000) löste im Jahr 2002 das bis dahin geltende Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ) ab. Die EuGVVO und das ihr vorausgehende Übereinkommen bilden den historischen Kern und – was die wirtschaftliche Bedeutung angeht – wohl auch den Schwerpunkt des heute breit gefächerten europäischen Zivilprozessrechts.
Das neue Recht gilt nicht sofort, sondern wird wohl erst ab Ende 2014 oder Anfang 2015 Anwendung finden. Zum Inhalt lässt sich Folgendes sagen:
- Ganz erhebliche Neuerungen werden im Bereich der Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen eingreifen. Eine Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat entfällt. Wenn bestimmte Formalien beachtet werden, muss eine in den Anwendungsbereich der Verordnung fallende Entscheidung von jedem anderen zuständigen europäischen Gericht vollstreckt werden. Dies erspart dem Gläubiger nicht nur Zeit, sondern auch Kosten.
- Ferner werden in der EuGVVO Gerichtsstandsvereinbarungen signifikant gestärkt. Bisher gefürchtet waren die sog. „Torpedo-Klagen″, die unter Missachtung der Parteivereinbarungen vor unzuständigen aber langsamen Gerichten erhoben wurden, um ein Vorgehen der Gegenpartei vor dem vereinbarten Gericht zu blockieren. Der EuGH hat es leider versäumt, dieser Praxis Einhalt zu gebieten. Das neue Recht löst dieses Dilemma: Wenn das in der Vereinbarung genannte Gericht angerufen wird, haben auch früher angerufene Gerichte andernorts ihr Verfahren auszusetzen. Damit ist gewährleistet, dass das vereinbarte Gericht über die Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden kann, ohne durch die frühere ausländische Klage blockiert zu sein. Diese Regelung stärkt die Vertragsfreiheit und ist sehr zu begrüßen.
- Die Zuständigkeitsregeln werden sich hingegen in geringerem Umfang ändern, als dies in dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission angedacht war. In der aus zähen Verhandlungen der zuständigen Organe hervorgegangenen Kompromissfassung wurde insbesondere darauf verzichtet, die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Parteien aus Nicht-EU-Staaten einheitlich zu regeln; die Kommission wollte auch hierfür die Anwendbarkeit der EuGVVO bestimmen und hatte zusätzlich einen Abschnitt über „Subsidiäre Zuständigkeit und Notzuständigkeit″ vorgesehen, wonach unter anderem ein Gerichtsstand am Vermögensort für Klagen gegen Parteien aus Nicht-EU-Staaten gegolten hätte. Dies hätte die Durchsetzung von Ansprüchen gegen solche Parteien erheblich erleichtert.
- Ebenfalls verzichtet wurde auf die von der Kommission vorgeschlagene Regelung zu Rechtshängigkeitskonflikten bei Schiedsverfahren. Danach sollten bei Konflikten über die Schiedsvereinbarung die Gerichte des Schiedsorts vorrangig zuständig sein: Sobald diese damit befasst würden, hätten auch zuvor angerufene Gerichte anderer Mitgliedstaaten ihr Verfahren aussetzen müssen. Auch zu dieser Stärkung von Schiedsverfahren und insbesondere effizienten Standorten für solche Verfahren konnte der europäische Gesetzgeber sich leider nicht durchringen.
Das neue Recht wird wohl auch im Verhältnis zum Vereinigten Königreich und zu Irland gelten. Es bleibt abzuwarten, ob auch Dänemark die neue Verordnung anwenden wird; andernfalls würde im Verhältnis zu Dänemark weiterhin die Verordnung Nr. 44/2001 maßgeblich sein.