6. April 2023
Vorabeinreichung Frage virtuelle Hauptversammlung
Aktienrecht

Die Vorabeinreichung von Fragen in der virtuellen HV-Praxis

In der Praxis kann es sich anbieten, Aktionären eine freiwillige Vorabeinreichung von Fragen abseits des Pflichtenregimes von § 131 Abs. 1a - 1f AktG zu gestatten.

Das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 2022 trat am 27. Juli 2022 in Kraft. Damit wurde die virtuelle Hauptversammlung im Aktiengesetz (AktG) verankert. Die (neue) virtuelle Hauptversammlung nach § 118a AktG bringt zahlreiche rechtliche und technische Herausforderungen mit sich, mit denen praxistauglich umzugehen ist. 

Dieser Beitrag befasst sich mit den praktischen Herausforderungen bei einer vom Vorstand vorgegebenen (verbindlichen) Vorabeinreichung von Fragen nach § 131 Abs. 1a AktG und zeigt die Vorteile auf, wenn den Aktionären stattdessen die Möglichkeit zur freiwilligen Vorabeinreichung von Fragen gewährt wird.

Die Vorabeinreichung von Fragen nach § 131 Abs. 1a AktG wird in der Praxis die Ausnahme bleiben

Mit Einführung der Regelungen in § 131 Abs. 1a bis 1f AktG hat der Gesetzgeber für den Vorstand die Option geschaffen, das Auskunftsrecht in das Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung zu verlagern. Eine Vorverlagerung des Auskunftsrechts war bereits bei den „Corona-Hauptversammlungen“ nach dem bis zum 31. August 2022 geltenden COVMG möglich (vgl. § 1 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 COVMG), wovon praktisch alle börsennotierten Gesellschaften in den HV-Saisons 2020 bis 2022 Gebrauch machten. Aus Sicht des Gesetzgebers habe sich dieses Gestaltungsmittel bewährt, da es zu einer höheren Anzahl von Aktionärsfragen und zur Erhöhung der Qualität bei der Beantwortung dieser Fragen beigetragen habe.

In der aktuellen HV-Saison 2023, in der das neue virtuelle HV-Format nach § 118a AktG bei den Gesellschaften nun erstmals zur Anwendung kommt, bleibt das neue Regelungsregime zur Vorabeinreichung von Fragen nach § 131 Abs. 1a bis 1f AktG allerdings die seltene Ausnahme. Nach einer kurzen Vorstellung des neuen Regelungsregimes wird auf die (rechtlichen) Gründe für diese Entwicklung eingegangen und abschließend eine Alternative zur Vorverlagerung des Auskunftsrechts dargestellt, die für die zukünftige HV-Praxis an Relevanz gewinnen kann.

Die (verbindliche) Vorabeinreichung von Fragen gemäß § 131 Abs. 1a bis 1f AktG

Der Vorstand kann für das Auskunftsrecht der Aktionäre* vorgeben, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei Tage vor der Hauptversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind; nicht fristgerecht eingereichte Fragen müssen nicht berücksichtigt werden (§ 131 Abs. 1a S. 1 AktG). Gibt der Vorstand die Vorabeinreichung von Fragen vor, so muss der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt bis spätestens sieben Tage vor der Hauptversammlung den Aktionären – d.h. nicht nur den ordnungsgemäß zur Versammlung angemeldeten, sondern allen Aktionären – zugänglich gemacht sein (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 5 AktG). Diese Veröffentlichungspflicht soll dazu dienen, die Informationsbasis der Aktionäre zu verbessern, damit diese ihre vorab einzureichenden Fragen hierauf stützen können.

Die Gesellschaft muss ordnungsgemäß eingereichte Fragen vor der Hauptversammlung allen Aktionären zugänglich machen und bis spätestens einen Tag vor der Hauptversammlung beantworten (§ 131 Abs. 1c S. 1 AktG). Bei börsennotierten Gesellschaften haben das Zugänglichmachen der Fragen und deren Beantwortung über die Internetseite der Gesellschaft zu erfolgen (§ 131 Abs. 1c S. 2 AktG). 

Sind die Antworten einen Tag vor Beginn und in der Hauptversammlung durchgängig zugänglich, darf der Vorstand in der Hauptversammlung die Auskunft zu diesen Fragen verweigern (§ 131 Abs. 1c S. 3 AktG). Jeder elektronisch zur Versammlung zugeschaltete Aktionär kann jedoch in der Hauptversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation sowohl Nachfragen zu allen vor und in der Hauptversammlung gegebenen Antworten des Vorstands als auch Fragen zu Sachverhalten stellen, die sich erst nach Ablauf der Vorabeinreichungsfrist ergeben haben (Nachfragen und Fragen zu neuen Sachverhalten gemäß § 131 Abs. 1d und Abs. 1e AktG). Dabei steht jedem Aktionär das Nachfragerecht unabhängig davon zu, ob er vorab eine Frage eingereicht hat und ob es sich um Nachfragen zu eigenen Fragen handelt oder nicht; möglich sind also insbesondere auch Nachfragen zu fremden (Ausgangs-)Fragen (sog. „Über-Kreuz-Fragen“). 

Das Recht zur (Vorab-)Einreichung von Fragen („Ob“) kann auf ordnungsgemäß zur Hauptversammlung angemeldete Aktionäre beschränkt werden. Es kann auch der Umfang der Einreichung von Fragen in der Einberufung angemessen beschränkt werden (§ 131 Abs. 1b AktG). Letztere Möglichkeit soll dazu dienen, einen angemessenen Zeitrahmen der Hauptversammlung gewährleisten zu können, etwa durch Festlegung einer Höchstzahl von Fragen pro Aktionär oder Vorgabe einer Zeichenbeschränkung. Nach den Gesetzesmaterialien sei von der Angemessenheit jedenfalls dann auszugehen, wenn sich die Beschränkung der Fragenanzahl grundsätzlich an der in den vergangenen (virtuellen) Hauptversammlungen durchschnittlich eingereichten Anzahl an Fragen orientiert, sofern sich die Tagesordnungspunkte der Versammlungen weitgehend entsprechen. 

Des Weiteren kann der Versammlungsleiter – wie beim allgemeinen Auskunftsrecht nach § 131 Abs. 1 AktG – festlegen, dass das Nachfragerecht und das Fragerecht zu neuen Sachverhalten in der Hauptversammlung ausschließlich im Wege der Videokommunikation ausgeübt werden dürfen (§ 131 Abs. 1f AktG).

Für die Praxis ist die (verbindlich) vorgegebene Vorabeinreichung von Fragen grundsätzlich nicht zu empfehlen

Für die Praxis empfiehlt sich die Vorgabe einer Vorabeinreichung von Fragen grundsätzlich nicht. Denn die entsprechende Vorverlagerung des Fragerechts dürfte in aller Regel zu einer zusätzlichen, vorgelagerten „Fragerunde“ führen, die keine Entlastung der Hauptversammlung bewirkt, sondern die Ressourcen der Gesellschaft erheblich bindet und zusätzliche Beratungskosten verursacht. 

Die Abgrenzung zwischen zulässigen Nachfragen und Fragen zu neuen Sachverhalten einerseits und unzulässigen neuen Fragen andererseits wird oftmals nicht trennscharf möglich sein, so dass zur Vermeidung von Anfechtungsrisiken im Zweifel (nach wie vor) sämtliche in der Hauptversammlung gestellten Fragen zugelassen und beantwortet werden. Dabei führt vor allem das Nachfragerecht in der Praxis zu einer Verdoppelung des Auskunftsrechts, da es auch „Über-Kreuz-Fragen“ zu Antworten auf (Nach-)Fragen anderer Aktionäre erlaubt. Das Backoffice für die Fragenbeantwortung ist nicht nur während der Hauptversammlung, sondern bereits vor der Hauptversammlung erforderlich. 

Des Weiteren resultieren aus der Pflicht, bis spätestens einen Tag vor der Hauptversammlung im Vorfeld eingereichte Fragen zu beantworten und die Antworten allen Aktionären zugänglich zu machen, durchaus gewichtige Risiken für die Gesellschaft. Aufgrund der Zugänglichmachung der Antworten in Textform, die bei börsennotierten Gesellschaften sogar zwingend auf der (öffentlich zugänglichen) Internetseite zu erfolgen hat, haben die textlichen Antworten, die leicht in die Presse gelangen können, eine höhere Verbindlichkeit als dies bei mündlichen Antworten in der Hauptversammlung der Fall ist. Die „schriftliche“ Beantwortung der Fragen erfordert daher einen größeren Aufwand. Falls eine große Vielzahl von Fragen erst am letztmöglichen Tag eingereicht wird (was in den letzten HV-Saisons häufiger vorkam), stehen der Gesellschaft lediglich zwei volle Tage zu ihrer Beantwortung zur Verfügung, was zusätzliche Anfechtungsrisiken begründet. 

Die Möglichkeit, den Umfang der Einreichung von Fragen in der Einberufung angemessen zu beschränken (§ 131 Abs. 1b AktG), etwa mittels Festlegung einer Höchstzahl von Fragen pro Aktionär oder einer Gesamthöchstzahl an zulässigen Fragen oder durch Vorgabe einer Zeichenbeschränkung, bietet der Praxis keine Abhilfe. Denn es besteht eine gewisse Rechtsunsicherheit darüber, welche Fragen- und Zeichenanzahl im Einzelfall (noch) als angemessen gilt und wie bei einer Überschreitung der vorgegebenen Höchstzahl für Fragen zu verfahren ist (z.B. Bestimmung/Auswahl der unzulässigen Fragen entsprechend ihres zeitlichen Eingangs und ihrer Reihenfolge bei der Gesellschaft). 

Sehr kritisch zu sehen ist vor allem die börsennotierten Gesellschaften gesetzlich auferlegte Pflicht, die Fragen und deren Beantwortung über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen. Die Antworten verlassen damit die eingeschränkte Bereichsöffentlichkeit der Hauptversammlung und sind für jedermann öffentlich zugänglich. Das ist insofern problematisch, als auch Fragen (etwa auch in ihrer Zusammenschau) einen Ausforschungsnutzen haben können, bei dem kein Auskunftsverweigerungsrecht, etwa aus Wettbewerbs- oder Geheimhaltungsgründen, greift.

Schließlich wird die Vorverlagerung des Auskunftsrechts in das Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung von Aktionärsvereinigungen und manchen institutionellen Investoren besonders kritisch gesehen, wenn nicht sogar abgelehnt (vgl. Abstimmungsrichtlinien für die HV-Saison 2023 von DSW, BVI und Deka). Die Beschränkung des Auskunftsrechts in der Hauptversammlung auf Nachfragen (§ 131 Abs. 1d AktG) und Fragen zu neuen Sachverhalten (§ 131 Abs. 1e AktG) stelle im Vergleich zur Präsenzhauptversammlung – als dem Leitbild für die Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlung – eine Verschlechterung von Aktionärsrechten dar. Offenbar wird auch ein Missbrauchsrisiko darin gesehen, dass der Vorstand in der Hauptversammlung die (nochmalige) Auskunft zu bereits im Vorfeld beantworteten eingereichten Fragen verweigern kann (vgl. § 131 Abs. 1c S. 4 AktG). 

Für die Praxis kann sich die Möglichkeit zur freiwilligen Vorabeinreichung von Fragen anbieten – abseits des Pflichtenregimes von § 131 Abs. 1a bis 1f AktG

Eine „Entwertung“ des Auskunftsrechts droht den Aktionären aber nicht durch die Vorgabe zur (verbindlichen) Vorabeinreichung von Fragen gemäß § 131 Abs. 1a AktG, sondern faktisch dann, wenn zahlreiche Hauptversammlungen an einem Tag gleichzeitig stattfinden. Wie die Aktionärsvereinigung SdK reklamiert hat, finden in der diesjährigen HV-Saison 2023 am 17. Mai die Hauptversammlungen von insgesamt 35 börsennotierten Gesellschaften, darunter von vier DAX-Unternehmen, statt. Die Terminkonzentration sei aufgrund des virtuellen HV-Formats möglich geworden, da hier anders als bei der Präsenzversammlung das Korrektiv der Raumverfügbarkeit fehle. Finden die Hauptversammlungen von mehreren Gesellschaften, an denen ein Aktionär als solcher beteiligt ist, parallel statt, wird sich der Aktionär – auch bei virtuellen Hauptversammlungen mit der Möglichkeit zur elektronischen Zuschaltung – letztlich entscheiden müssen, welche Hauptversammlung er ggf. per Livestream (primär) verfolgt bzw. an welcher Hauptversammlung er (primär) teilnimmt. Bei den übrigen, gleichzeitig stattfindenden Hauptversammlungen wird der Aktionär ein etwaiges Informationsbedürfnis kaum befriedigen können, obgleich er die betreffenden Informationen für sein Abstimmverhalten per (elektronischer) Briefwahl oder Stimmrechtsvertretung möglicherweise für erheblich hält. 

Sollte sich daher in der Praxis das Phänomen verstetigen, dass bei den jährlichen Hauptversammlungsterminen eine starke Konzentration auf wenige Tage im Monat Mai erfolgt, könnte sich in aktionärsfreundlicher Hinsicht folgendes Gestaltungsmittel anbieten:

Aktionären, die zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt sind (d.h., die sich ordnungsgemäß angemeldet und bei Inhaberaktien auch ihren Anteilsbesitz ordnungsgemäß nachgewiesen haben), kann über die Vorgaben von § 131 AktG hinaus auf freiwilliger Basis eine zusätzliche Möglichkeit für Fragen zu Gegenständen der Tagesordnung im Vorfeld der (virtuellen) Hauptversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation (z.B. Texteingabefeld im HV-Portal oder E-Mail) eingeräumt werden. Diese Fragemöglichkeit kann ähnlich wie diejenige nach dem COVMG i.d.F. bis zum 27. Februar 2021 ausgestaltet werden, z.B. indem der Vorstand sich vorbehält, nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen zu entscheiden, ob und wie er solche vorab eingereichten Fragen beantwortet, und vorgibt, dass Fragen bis spätestens fünf Tage vor der Versammlung elektronisch einzureichen sind. Der Vorstand wäre also nicht zur Beantwortung solcher vorab eingereichten Fragen verpflichtet. Er könnte z.B. auch Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen, unter den eingereichten Fragen im Interesse der anderen Aktionäre für die Beantwortung eine geeignete Auswahl treffen sowie dabei ggf. Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen. Die (ausgewählten) Fragen und deren Beantwortung könnten den Aktionären im Vorfeld der Hauptversammlung (z.B. bis spätestens einen Tag vor der Versammlung) über das zugangsgeschützte HV-Portal zugänglich gemacht werden. Auf diese Weise kann die Gesellschaft dem ggf. aufgrund der oben beschriebenen HV-Terminkonzentration bestehenden Aktionärsinteresse an einer Vorabinformation nachkommen, ohne dass sie sich in das Pflichtenregime des § 131 Abs. 1a bis 1f AktG begeben muss, das wegen der Internetpublizität der Fragen und Antworten nach § 131 Abs. 1c S. 2 AktG vor allem für börsennotierte Gesellschaften problematisch ist. 

Mit dieser freiwillig eingeräumten, zusätzlichen Fragemöglichkeit im Vorfeld der Hauptversammlung wird kein Auskunftsrecht gemäß § 131 Abs. 1 AktG und auch kein sonstiges Aktionärsrecht begründet. Das von Aktionären in der Hauptversammlung ausübbare (versammlungsgebundene) Auskunftsrecht gemäß § 131 Abs. 1 AktG bleibt von der zusätzlichen Fragemöglichkeit unberührt.

Es bleibt abzuwarten, ob die Praxis von der Möglichkeit zur freiwilligen Vorabeinreichung von Fragen im Vorfeld der Hauptversammlung Gebrauch machen wird. Neben deren flexibler Ausgestaltungsmöglichkeit würde ein eventuell steigendes Aktionärsinteresse an einer Vorabinformation aufgrund einer zunehmenden Terminkonzentration bei den größtenteils im Mai stattfindenden Hauptversammlungen dafür sprechen. 

In einem White Paper zur virtuellen Hauptversammlung geben wir weitere Praxisempfehlungen für die Ausgestaltung des neuen virtuellen HV-Formats. Ziel des White Papers ist es, insbesondere börsennotierten Gesellschaften mit großem Aktionärskreis eine praktische Hilfestellung bei der rechtlich und technisch sicheren Ausgestaltung ihrer virtuellen Hauptversammlung nach § 118a AktG zu geben. Eine weitere Handreichung für die Vorbereitung von Hauptversammlungen bieten wir mit unserem HV-Manager an – ein Legal-Tech-Tool, mit dem sich die gesamte HV-Vorbereitung zentral organisieren, einfacher koordinieren und effizienter abwickeln lässt.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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