Für vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen (EVU) schreiben die §§ 6 ff. Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) eine rechtliche, operationelle und informationelle Entflechtung (sog. „Unbundling“) vor. Ziel dieser Entflechtung ist die strikte Trennung der energiewirtschaftlichen Funktionen Produktion, Vertrieb und Speicherung einerseits von der netzbezogenen Übertragung/Fernleitung sowie Verteilung andererseits. Diese Trennung soll Transparenz und eine diskriminierungsfreie Ausgestaltung und Abwicklung des Netzbetriebs mit dem Ziel eines wirksamen Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas gewährleisten. Ferner soll möglichen verdeckten Quersubventionen zwischen dem Netzbetrieb und den anderen Geschäftsbereichen des EVU die Grundlage entzogen werden.
Konzernstrukturen zwischen EVU und Netzbetreibergesellschaft sind damit allerdings nicht ausgeschlossen und das führt natürlich zu einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen den Unbundlingvorgaben des EnWG und den gesellschafts- bzw. konzernrechtlichen Informations-, Weisungs- und Kontrollrechten. Dies gilt insbesondere für (aktienrechtliche) Auskunftsrechte und Kontrollkompetenzen des Aufsichtsrats.
LG Düsseldorf als Vorreiter
Die Rechtsprechung hatte bislang kaum Gelegenheit klarzustellen, welche Grenzen die Unbundlingvorgaben für die Bestimmung, Besetzung und Kompetenzen von Aufsichtsräten enthalten. In seinem vor kurzem veröffentlichten Beschluss vom 19.08.2011 (33 O 46/11 (AktE)) hat das LG Düsseldorf nun allerdings – soweit ersichtlich – als erstes Gericht zu dem Verhältnis von EnWG und Gesellschaftsrecht Stellung genommen – und dies auch noch in einem gerade arbeitsrechtlich spannenden Zusammenhang. Das LG Düsseldorf hatte nämlich die Frage zu beantworten, ob die Unbundlingvorgaben des EnWG die Regeln des MitbestG über die Bildung eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats einschränken. Es ging um nicht weniger als die Frage, ob der Gesetzgeber für energiewirtschaftliche Konzernmütter eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ angeordnet hat.
Überlagerung des MitbestG durch das EnWG?
In dem entschiedenen Fall hatte das EVU als herrschendes Konzernunternehmen (§§ 17, 18 Abs. 1 AktG) unter Hinweis auf die Entflechtungsvorgaben des EnWG die Errichtung eines nach dem MitbestG paritätisch mit Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsrats abgelehnt. Der für die Anwendbarkeit des MitbestG maßgebliche Schwellenwert von regelmäßig mehr als 2000 beschäftigten Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1, 6, 7 MitbestG) war bei dem EVU nur erreicht, wenn die Arbeitnehmer der vom EVU beherrschten Netzgesellschaften nach der Konzernklausel des § 5 Abs. 1 MitbestG als Arbeitnehmer des EVU galten, sie ihm also zuzurechnen waren. Das EVU hatte hiergegen eingewandt, § 8 Abs. 4 EnWG a.F. (≈ § 7 a Abs. 4 EnWG n.F.) überlagere die Vorschriften des Aktienrechts und des MitbestG und schließe die Zurechnung von Arbeitnehmern im Unterordnungskonzern aus.
Mitbestimmungsrechtliche Zurechnung der Arbeitnehmer trotz Anwendbarkeit des EnWG
Dem ist das LG Düsseldorf zu Recht nicht gefolgt. Es hat vielmehr im Leitsatz seiner Entscheidung festgestellt: „Die energiewirtschaftlichen Kompetenz- und Weisungsbeschränkungen gegenüber Tochtergesellschaften nach § 8 Abs. 4 EnWG a.F. stehen der mitbestimmungsrechtlichen Zurechnung der Arbeitnehmer im Konzern nach § 5 MitbestG nicht entgegen“.
Begründet hat das LG Düsseldorf dieses Ergebnis überzeugend damit, dass § 8 Abs. 4 EnWG (≈ § 7 a Abs. 4 EnWG n.F.) gesellschaftsrechtliche Instrumente der Einflussnahme und Kontrolle des EVU nur in Bezug auf bestimmte Entscheidungen einschränke. Daraus folge – sozusagen im Umkehrschluss –, dass § 8 Abs. 4 EnWG a.F. im Übrigen keine (weitergehende) Beschränkung gesellschaftsrechtlicher Instrumente der Einflussnahme und Kontrolle vorschreibe oder ermögliche. Deshalb müssten die Arbeitnehmer der konzernangehörigen (vom EVU beherrschten) Netzgesellschaften dem EVU gemäß § 5 MitbestG zugerechnet werden.
Zurechnung der Arbeitnehmer fördert Unabhängigkeit der Netzgesellschaft
Dafür, dass dieses Ergebnis richtig ist, spricht vor allem eine teleologische Auslegung, die das LG Düsseldorf überraschenderweise nicht (ausdrücklich) vornimmt: Denn die in § 8 Abs. 4 EnWG vorgegebene Entflechtung soll – wie eingangs gesagt – eine Unabhängigkeit der Netzgesellschaft von dem sie beherrschenden EVU sicherstellen. Führt man sich diesen Zweck vor Augen, sind die Arbeitnehmer der Netzgesellschaft dem EVU nach § 5 MitbestG unzweifelhaft zuzurechnen, ohne dass dem § 8 Abs. 4 EnWG entgegensteht. Denn das Ziel der Entflechtungsvorgaben wird durch eine Zurechnung nach § 5 MitbestG nicht nur nicht verhindert, sondern letztlich sogar gefördert. Wenn die Arbeitnehmer der Netzgesellschaft nämlich zu den Aufsichtsratswahlen bei dem EVU aktiv und passiv wahlberechtigt sind, können sie als Mitglieder im Aufsichtsrat des EVU bzw. über die von ihnen mitgewählten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gerade durch Aufsicht über die Unternehmensleitung des EVU dazu beitragen, die Unabhängigkeit der Netzgesellschaft zu wahren.
Dafür spricht auch eine Kontrollüberlegung: Nach h.M. bestehen gegen die umgekehrte Konstellation, in der einzelne Repräsentanten des EVU als Muttergesellschaft Mitglied im Aufsichtsrat der Netzgesellschaft sind, keine durchgreifenden Bedenken. Die Grenze des Zulässigen wird insoweit erst dann als überschritten angesehen, wenn Repräsentanten der Muttergesellschaft die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder der Netzgesellschaft bilden. Dies kann in der vorliegenden Fallkonstellation jedoch niemals der Fall sein – auch nicht vermittelt über § 5 MitbestG. Auch das spricht dafür, dass das LG Düsseldorf richtig entschieden hat.
Relevanz des Urteils auch für Konzernmütter
Über den mitbestimmungsrechtlichen Kontext hinaus ist der Beschluss des LG Düsseldorf allerdings auch für die Auslegung des neuen § 7 a Abs. 4 EnWG bedeutsam. Für die Praxis wichtig sind insbesondere die Feststellungen des Gerichts zur begrenzten Einschränkung gesellschaftsrechtlicher Instrumente der Einflussnahme und Kontrolle im Konzern. Denn sie legen eine restriktive Auslegung dieser Beschränkungen nahe – soweit die den Entflechtungsvorgaben zugrunde liegenden Richtlinien sie zulassen. Denkbar ist daher, dass auch Konzernmütter die Feststellungen des LG Düsseldorf für sich nutzbar machen können. Ob und inwieweit dies möglich ist, wird allerdings erst die künftige Rechtsprechung zeigen. Das LG Düsseldorf hat hierzu – wenngleich mit dem rechtspolitischen Ziel einer Sicherung der Arbeitnehmermitbestimmung – einen ersten Schritt getan.