Aufgrund ihrer passiven Anlagestrategie können Indexfonds die Übernahme börsennotierter Unternehmen erschweren.
Börsengehandelte Indexfonds (ETFs, engl. „exchange-traded funds″) werden aufgrund ihrer geringen Kosten und Risikostreuung bei Anlegern immer beliebter. Ihre Zunahme erschwert jedoch öffentliche Übernahmen: Indexfonds sind mittlerweile wesentliche Aktionäre zahlreicher börsennotierter Unternehmen.
Der Erfolg von Übernahmen kann daher in vielen Fällen davon abhängen, ob die ETFs ihre Beteiligung am Zielunternehmen andienen. So gab es beispielsweise bei den Übernahmen von Stada durch die Finanzinvestoren Bain und Cinven sowie der Fusion von Linde und Praxair Schwierigkeiten, angesichts der hohen Beteiligung von Indexfonds die angestrebte Beteiligungshöhe zu erreichen. Die Beliebtheit von ETFs dürfte auch in Zukunft öffentliche Übernahmen erschweren oder sogar scheitern lassen.
Vorteile von ETFs: Wertentwicklung nicht von einzelnen Aktien abhängig
ETFs haben zum Ziel, die Wertentwicklung eines Index – beispielsweise DAX, MDAX oder TecDax – möglichst exakt zu spiegeln. Anders als Investmentfonds, die aktiv von einem Fondmanager zusammengestellt und verwaltet werden, werden ETFs passiv gemanagt.
Ob Aktien gekauft oder verkauft und wie sie innerhalb des Fonds gewichtet werden, richtet sich ausschließlich nach den tatsächlichen Verhältnissen des Index, den der Fonds abbildet. Notwendige Anpassungen in der Zusammensetzung des ETFs werden automatisch durch Algorithmen umgesetzt. Im Gegensatz zu aktiv gemanagten Fonds fallen daher bei ETFs geringere Verwaltungsgebühren an, was diese Anlageform attraktiv macht.
Darüber hinaus schätzen Anleger häufig die durch ETFs bewirkte Risikostreuung: Sie bilden einen gesamten Aktienindex ab, sodass sich negative Kursentwicklungen einzelner Aktien weniger stark auf das Gesamtinvestment auswirken. Auch das Risiko eines Totalverlusts ist geringer. Verschiedene Studien zeigen zudem, dass ETFs auch in Zeiten sinkender bzw. schwankender Börsenkurse oftmals besser abschneiden als vergleichbare aktiv gemanagte Fonds.
Mindestannahmeschwelle bei Übernahmeangeboten
Öffentliche Übernahmeangebote stehen meistens unter der Bedingung, dass dem Bieter eine Mindestzahl von Aktien des Zielunternehmens angedient wird (sog. „Mindestannahmeschwelle″). Oft wird die Annahmeschwelle auf 75 Prozent gesetzt, um nach der Übernahme einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag zwischen Bieter und Zielunternehmen schließen zu können – so zum Beispiel bei der (zunächst gescheiterten) Stada-Übernahme oder im Übernahmeangebot an die Linde-Aktionäre.
Zeichnet sich ab, dass die Mindestannahmeschwelle nicht erreicht wird, hat der Bieter die Möglichkeit, sie unter Verlängerung der Annahmefrist zu senken; andernfalls droht das Angebot zu scheitern. Im Fall der Übernahmen von Stada und Linde wurden die ursprünglichen Mindestannahmeschwellen beispielsweise von 75 Prozent auf 67,5 bzw. 60 Prozent gesenkt. Werden auch die heruntergesetzten Schwellen nicht erreicht, scheitert das Übernahmeangebot (so beim ersten Versuch der Übernahme von Stada). In diesem Fall bleibt der Bieter nicht nur auf erheblichen Kosten sitzen, sondern darf grundsätzlich auch innerhalb eines Jahres kein weiteres Übernahmeangebot für das Unternehmen mehr abgeben.
ETFs blockieren Übernahmen
Da ETFs die Wertentwicklung eines Index widerspiegeln müssen, dürfen sie ein Übernahmeangebot so lange nicht annehmen, wie das Zielunternehmen im betreffenden Index gelistet ist. Die Annahme würde dazu führen, dass der ETF den Index nicht mehr exakt abbildet. Dies gilt auch dann, wenn das Angebot den aktuellen Börsenkurs übersteigt und damit wirtschaftlich attraktiv ist. Die passive Ausrichtung des ETF verbietet es, eine wirtschaftlich ggf. vorteilhaftere Investmentstrategie zu verfolgen. Die von Indexfonds gehaltenen Aktien stehen für die Erreichung der Mindestannahmeschwelle somit (zunächst) nicht zur Verfügung.
Erst wenn der Indexanbieter (in der Regel die jeweilige Börse) die Zusammensetzung des vom ETF abgebildeten Index ändert und das Zielunternehmen aus dem Index nimmt, darf der ETF die von ihm gehaltenen Aktien am Zielunternehmen andienen. Die Deutsche Börse ersetzt bei Übernahmen die bisherigen Aktien des Zielunternehmens durch die mit einer separaten Wertpapierkennnummer versehenen Aktien des Zielunternehmens, für die das Übernahmeangebot angenommen wurde, sobald die Annahmequote mehr als 50 Prozent beträgt.
So wurden bei der Übernahme von Stada ETFs dafür verantwortlich gemacht, dass die Mindestannahmeschwelle von 75 Prozent im ersten Anlauf nicht erreicht wurde. Etwa 12 Prozent der Stada-Aktien sollen von ETFs gehalten worden sein. Wohl auch aufgrund dieses hohen Anteils scheiterte das erste Angebot, obwohl die Mindestannahmequote gesenkt wurde. Erst ein zweites Angebot mit einer Mindestannahmequote von 63 Prozent konnte schließlich erfolgreich durchgeführt werden.
Bei der Fusion von Linde und Praxair waren wohl auch Indexfonds dafür ursächlich, dass die Mindestannahmequote gesenkt und die Annahmefrist verlängert werden musste. In diesem Fall wurde versucht, die ETF-Problematik durch unwiderrufliche Annahmeverpflichtungen („irrevocable undertakings″) zu vermeiden: Indexfonds sollten sich vertraglich verpflichten, ihre Linde-Aktien unter der Bedingung einzutauschen, dass die jeweiligen Indizes die Linde-Aktien durch die zum Tausch eingereichten Linde-Aktien ersetzen. Somit konnten die Aktien der ETFs bereits mit Abgabe der Annahmeverpflichtungen auf die Mindestannahmequote angerechnet werden. Allerdings wurden dem Bieter auf diese Weise nur 0,04 Prozent der Linde-Aktien angedient.
Blockade durch ETFs einplanen
Die Beliebtheit von ETFs als Anlageobjekt scheint nicht abzunehmen. Wer ein öffentliches Übernahmeangebot abgibt, muss sich deshalb darauf einstellen, dass ETFs die Übernahme (unfreiwillig) blockieren könnten.
Dies kann vermieden werden, indem die Mindestannahmequote niedrig festgesetzt wird. Dadurch kann zwar das Scheitern der Übernahme verhindert werden. Allerdings ist dann nicht sichergestellt, dass der Bieter nach Abschluss der Übernahme eine Beteiligungshöhe am Zielunternehmen erreicht, die ihm die Durchführung der angestrebten Strukturmaßnahmen ermöglicht.
Alternativ könnte, wie im Fall der Linde-Übernahme, durch rechtliche Gestaltungen versucht werden, den Indexfonds eine Andienung ihrer Aktien zu ermöglichen. In jedem Fall müssen Bieter in dieser Hinsicht mit erhöhtem Vorbereitungsaufwand rechnen.