EuGH bestätigt Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit auch für isolierte Satzungssitzverlegung.
Mit der VALE-Entscheidung des EuGH im Jahr 2012 (Rs.: C-378/10) wurde die Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels bestätigt. Seither spielt diese Form der Mobilität von Gesellschaften nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Praxis eine immer bedeutendere Rolle.
Der EuGH hat nun mit seiner Entscheidung in der Rechtssache Polbud (Rs.: C-106/16) einen weiteren Eckpfeiler gesetzt, um den Rahmen der grenzüberschreitenden Mobilität innerhalb Europas zu definieren.
Die Rechtssache Polbud
Im Rahmen unseres Blogbeitrags „Der grenzüberschreitende Heraus-Formwechsel″ sind wir bereits auf die Rs Polbud eingegangen:
Eine polnische Gesellschaft wollte ihren Satzungssitz nach Luxemburg verlegen und damit den Formwechsel in eine Gesellschaft nach luxemburgischem Recht erreichen, ohne ihren Verwaltungssitz und damit den Ort ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit zu verlegen. Nach Beschluss der Sitzverlegung wurde die Gesellschaft im Register in Luxemburg eingetragen. Die ebenfalls erforderliche Löschung im Register in Polen wurde allerdings von dem Register abgewiesen mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft. Dies verwundert umso mehr, da gerade die Wahrung der Identität der Gesellschaft der große Vorteil eines (grenzüberschreitenden) Formwechsels ist, durch den die Auflösung im einen Mitgliedsstaat und Neugründung im anderen Mitgliedsstaat vermieden wird.
Daraufhin wurde ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH eingeleitet, u.a. mit der Frage, ob der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nach Artt. 49, 54 AEUV auch den Formwechsel durch die isolierte Verlegung des Satzungssitzes von einem in einen anderen Mitgliedstaat umfasst – ohne, dass auch der Verwaltungssitz und damit der Ort der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit verlegt wird oder jedenfalls die Absicht dazu besteht.
Leitsatz des EuGH
Am 25. Oktober 2017 hat der EuGH eindeutig bestätigt, dass die Niederlassungsfreiheit auch den Formwechsel in Form der isolierten Satzungssitzverlegung umfasst. Dort hat er wie folgt ausgeführt:
Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass die Niederlassungsfreiheit für die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat gilt, durch die diese unter Einhaltung der dort geltenden Bestimmungen ohne Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes in eine dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umgewandelt werden soll.
Schranken der freien (Satzungs-)Sitzwahl
Allerdings hat der EuGH die Niederlassungsfreiheit insofern eingeschränkt, als dass bei einer reinen Verlegung des Satzungssitzes die Bestimmungen im Zuzugsstaat eingehalten werden müssen. Dabei ist insbesondere das Kriterium der Anknüpfung zu beachten, das es der Gesellschaft ermöglicht, als Gesellschaft nationaler Rechtsform im Zuzugsstaat anerkannt zu werden.
Die Definition der Anknüpfung ist mangels Vereinheitlichung im Unionsrecht gem. Art. 54 AEUV Sache des einzelnen Mitgliedsstaates. D.h. in jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob der Zuzugsstaat nur an den Satzungssitz, oder eventuell auch an den Verwaltungssitz und eine damit verbundene tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit im Inland anknüpft, um es einer Gesellschaft zu ermöglichen, sich das Rechtskleid dieses Staates überziehen zu dürfen.
Deutschland: § 4a GmbHG und § 5 AktG – satzungsmäßiger Zuzug möglich
Für Deutschland ist der Sachverhalt des Zuzugs und damit das Kriterium der Anknüpfung bereits seit MoMiG – zumindest für Kapitalgesellschaften – eindeutig geregelt. Gem. § 4a GmbHG und § 5 AktG erlaubt es der Gesetzgeber Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften – unter Beibehaltung des Satzungssitzes in Deutschland – den Verwaltungssitz ins Ausland zu verlegen. Somit muss es auch Gesellschaften aus anderen Mitgliedsstaaten möglich sein, unter Beibehaltung des Verwaltungssitzes im anderen Mitgliedstaat den Satzungssitz nach Deutschland zu verlegen und sich das Rechtskleid einer deutschen (Kapital-)Gesellschaft überzuziehen.