Die Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie erhöht die Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, auch hinsichtlich der Unternehmensmitbestimmung.
Die Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie 2019/2121 in das deutsche Recht steht unmittelbar bevor: Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie ins nationale Recht läuft am 31. Januar 2023 aus. Ganz rechtzeitig wird die Umsetzung in Deutschland nicht mehr erfolgen können, da das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) im Bundesrat frühestens am 10. Februar 2023 abschließend beraten werden kann. Mit Inkrafttreten werden vor allem die lang ersehnten Vorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen geschaffen.
Die Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer erfolgt durch das UmRMitbestG. Auch für die Gestaltung der Unternehmensmitbestimmung bei grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen gibt es damit mehr Klarheit.
Status quo: Keine Regelungen zu grenzüberschreitenden Formwechseln und Spaltungen
Bereits im Jahr 2007 wurden grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften in EU- und EWR-Ländern im deutschen Umwandlungsgesetz kodifiziert. Regelungen zu grenzüberschreitenden Formwechseln und Spaltungen fehlten bisher, obwohl der EuGH mit seiner Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit die Möglichkeit jedenfalls grenzüberschreitender Formwechsel bereits geschaffen hat.
In der Praxis führte dieser Zustand zu erheblichen Problemen: Während grenzüberschreitende Spaltungen von nationalen Registern und Behörden überhaupt nicht anerkannt wurden, fehlten für Formwechsel (harmonisierte) Vorschriften, sodass jede Maßnahme bis zu deren Wirksamkeit von erheblichen Unsicherheiten in formeller und zeitlicher Hinsicht geprägt war.
Ausweitung der grenzüberschreitenden Mobilität
Durch das UmRUG ergeben sich nun weitreichende neue Gestaltungsspielräume und Strukturmöglichkeiten für Unternehmen und Konzerne. Erstmals wird es harmonisierte Regelungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel und zur grenzüberschreitenden Spaltung geben. Die Rechtssicherheit bei der Umsetzung dieser Maßnahmen wird steigen.
Grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel weiterhin ausschließlich für Kapitalgesellschaften
Die Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Verschmelzung bestand bisher im Wesentlichen nur für Kapitalgesellschaften. Eine Personengesellschaft mit nicht mehr als 500 Arbeitnehmern* konnte lediglich als aufnehmende Gesellschaft agieren. Dabei bleibt es bedauerlicherweise auch nach dem Inkrafttreten des UmRUG. Grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel bleiben als Maßnahmen ausschließlich Kapitalgesellschaften vorbehalten.
Zudem konzentriert sich das UmRUG hinsichtlich grenzüberschreitender Spaltungen auf die Spaltung zur Neugründung. Die Möglichkeit zur Spaltung zur Aufnahme besteht nur in engen Grenzen.
Grundsätzlicher Ablauf von Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechseln
Der Ablauf grenzüberschreitender Spaltungen und Formwechsel folgt grds. dem bereits bekannten Ablauf bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Die beteiligten Gesellschaften stellen einen Plan auf, der zu prüfen und über den nach dessen Bekanntmachung im Register Beschluss zu fassen ist. Es erfolgt eine sukzessive Anwendung der nationalen Regelungen und Rechtmäßigkeitsprüfungen.
Novelliert werden durch das UmRUG nun die Regelungen zum Schutz von Gläubigern, Arbeitnehmern und Minderheitsgesellschaftern. Auch werden den Registergerichten neue Kontrollmöglichkeiten eingeräumt. Mit diesen Änderungen geht eine Verlängerung bestimmter Fristen einher. So beträgt bspw. die zwingende Wartefrist bis zur Eintragung im Register des Wegzugstaats zukünftig drei Monate ab Bekanntmachung des Vorhabens im Register. Besonders begrüßenswert ist die zukünftige Entbehrlichkeit eines Berichts im Falle von Gesellschaften ohne Arbeitnehmer bei Verzicht durch die Gesellschafter.
Gläubiger der beteiligten Gesellschaften müssen zukünftig berücksichtigen, dass es für das Geltendmachen des Anspruchs auf Sicherheitsleistung nicht mehr genügt, dies gegenüber der Gesellschaft zu tun; vielmehr wird es erforderlich sein, den Anspruch innerhalb der Gläubigerschutzfrist gerichtlich geltend zu machen.
Zentrales Anliegen der Umwandlungsrichtlinie ist der Schutz der Rechte der Arbeitnehmer der an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften
Die Umwandlungsrichtlinie sieht eine Reihe von Anforderungen an das Verfahren der Umwandlungsmaßnahme sowie an den Inhalt der umwandlungsrechtlichen Dokumentation vor. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird in der Praxis eine Herausforderung darstellen, die in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht nicht zu unterschätzen ist.
Besondere Bedeutung kommt dabei dem Schutz der Mitbestimmungsrechte zu. Mitbestimmung meint insoweit die Rechte der Arbeitnehmer, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu bestellen oder eine solche Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen. Unternehmen sollen sich dieser Art der Mitbestimmung nicht dadurch entziehen können, dass sie ihren Satzungssitz im Wege einer grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahme in einen EU-/EWR-Staat verlegen, in dem die nationalen Regelungen weniger oder gar keine Mitbestimmung vorsehen. So soll unter bestimmten Voraussetzungen ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt werden, mit dem Ziel, eine Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmern (vertreten durch das sog. besondere Verhandlungsgremium – BVG) über die Mitbestimmung zu verhandeln und abzuschließen. Kommt eine Einigung nicht zu Stande, greift eine gesetzliche Auffanglösung, die den bisher geltenden Mitbestimmungsstatus absichert (Vorher-nachher-Prinzip). Die Verhandlungen können bis zu sechs Monate und bei einvernehmlicher Verlängerung sogar bis zu ein Jahr dauern.
Diese sog. Verhandlungslösung ist an das aus dem SE-Recht bekannte System angelehnt und gilt auf der Grundlage der Verschmelzungsrichtlinie bereits für grenzüberschreitende Verschmelzungen. Durch die neue Umwandlungsrichtlinie werden aber die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer noch stärker geschützt. Die neuen Regelungen zur Ausgestaltung der Mitbestimmung werden durch das UmRMitbestG umgesetzt.
Voraussetzungen für das Beteiligungsverfahren
Künftig ist bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Spaltungen und Verschmelzungen ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen, wenn die betroffene Gesellschaft (bei Verschmelzungen: eine der betroffenen Gesellschaften)
- bereits mitbestimmt war oder
- mind. 4/5 des Arbeitnehmer-Schwellenwerts erreichte, der nach dem Recht des Wegzugstaats (bei Verschmelzungen: des Wegzug- oder des Zuzugstaats) die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auslöst.
Die 4/5-Regelung ist neu. Sie soll verhindern, dass sich Unternehmen kurz vor Erreichen einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle durch eine grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahme der drohenden Mitbestimmung entziehen. Beim Scheitern der Verhandlungen führt die gesetzliche Auffanglösung in diesem Fall aber grds. nicht zur Mitbestimmung. Dieser Status wird dann vorbehaltlich nachfolgender Umwandlungen auch eingefroren.
Missbrauchskontrolle: UmRMitbestG sieht Verfahren zur Sicherung von Mitbestimmungsrechten vor
Unternehmen, die mind. 4/5 des relevanten nationalen Schwellenwerts für die Mitbestimmung erreichen, wird die grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahme also erschwert. Sie müssen nach der Umwandlungsrichtlinie ein Verfahren zur Sicherung von Mitbestimmungsrechten durchführen, obwohl es in dem betroffenen Unternehmen solche Mitbestimmungsrechte noch nicht gibt. Der deutsche Gesetzgeber baut für solche Unternehmen noch eine weitere Hürde auf: Anhaltspunkt für eine missbräuchliche grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahme soll nämlich sein, dass
die Zahl der Arbeitnehmer mindestens vier Fünftel des für die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Schwellenwerts beträgt, im Zielland keine Wertschöpfung erbracht wird und der Verwaltungssitz in Deutschland verbleibt.
In einem solchen Fall soll der zuständige Registerrichter im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle – ggf. auch unter Durchführung weiterer Ermittlungen und einer Anhörung der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaft – genau prüfen, ob die Maßnahme zu missbräuchlichen Zwecken vorgenommen wird. Diese Prüfung kann insgesamt bis zu sechs Monate dauern. Wird ein missbräuchlicher Zweck festgestellt, ist die Umwandlungsmaßnahme abzulehnen.
Es kann bezweifelt werden, ob dieser Konkretisierungsversuch der Missbrauchskontrolle, der auf die Empfehlung des Rechtsausschusses hin auf den „letzten Metern“ des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt wurde, mit der Umwandlungsrichtlinie und der EU-Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. In der Praxis dürfte diese Regelung für Unternehmen mit mind. 400 Arbeitnehmern in Deutschland zu Unsicherheiten und Verzögerungen bei der Umsetzung der Umwandlungsmaßnahme führen.
Anwendung des nationalen Mitbestimmungsrechts; nachfolgende Umwandlungen
Liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens nicht vor, ist hinsichtlich der Mitbestimmung das nationale Recht des Zuzugstaats anzuwenden. Aber auch wenn ein Beteiligungsverfahren durchzuführen ist, kann das BVG mit einer qualifizierten Mehrheit beschließen, die Verhandlungen nicht aufzunehmen oder abzubrechen, wodurch ebenfalls die nationalen Mitbestimmungsgesetze des Zuzugstaats zur Anwendung kommen.
Bei innerstaatlichen Umwandlungsmaßnahmen, die innerhalb von vier Jahren nach der grenzüberschreitenden Umwandlung/Spaltung/Verschmelzung stattfinden, sind die oben skizzierten Mitbestimmungsregeln entsprechend anzuwenden. Unter Umständen ist also erneut ein Beteiligungsverfahren durchzuführen. Bei nachfolgenden grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen ist die entsprechende Anwendung zeitlich unbegrenzt.
UmRMitbestG regelt vorrangig „Herein-Umwandlungen“
Das UmRMitbestG regelt in erster Linie die Ausgestaltung der Mitbestimmung in Gesellschaften deutscher Rechtsform, also bei sog. „Herein-Umwandlungen“. Bei „Heraus-Umwandlungen“ aus Deutschland ins EU-/EWR-Ausland gilt hingegen das entsprechende Umsetzungsgesetz des Zuzugstaats.
Soweit jedoch bei einer „Heraus-Umwandlung“ Arbeitnehmer aus Deutschland zu beteiligen sind, finden wiederum bestimmte Vorschriften des UmRMitbestG Anwendung.
Neue Gestaltungsmöglichkeiten trotz offener Fragen
Der Blick in die Vergangenheit lässt vermuten, dass es in der Praxis weiterhin einige offene Fragen und viel Abstimmungsbedarf bei grenzüberschreitenden Umwandlungen geben wird. Die Umsetzung wird tendenziell länger dauern.
Trotzdem bedeuten die innerhalb der EU und des EWR nunmehr auch für die grenzüberschreitende Spaltung und den Formwechsel harmonisierten Vorschriften einen großen Fortschritt. Sie eröffnen Unternehmen weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten, die bislang nur auf nationaler Ebene verfügbar waren. Auch die Mitbestimmung kann künftig bei grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen sicherer gestaltet werden.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.