Aktionäre sind bei Übernahmen nicht schutzlos. Werden sie in ihren Rechten verletzt, bestehen verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber dem Bieter.
Ob Aktionäre börsennotierter Gesellschaften Rechtsschutz in Anspruch nehmen können, wenn die Gesellschaft zum Ziel einer Übernahme wird, hängt stets von der konkreten Situation ab. Diese Frage ist sowohl für private als auch institutionelle Anleger relevant. Auch der Bieter muss sich damit auseinandersetzen, dass er im Zuge der Übernahme mit Ansprüchen der Aktionäre konfrontiert werden kann. Dass seine Angebotsunterlage durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gestattet wird, erteilt ihm insoweit keinen Freischein.
Insbesondere in nachfolgenden Konstellationen ist Rechtsschutz denkbar:
Unterlassenes Pflichtangebot (BKN-Entscheidung)
Konstellation: Ein Aktionär (der Bieter) hat mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft erlangt, unterlässt es jedoch, diesen Kontrollerwerb zu veröffentlichen und allen anderen Aktionären das vorgeschriebene Angebot auf Erwerb ihrer Aktien (sog. Pflichtangebot) zu unterbreiten.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in dieser Situation entschieden (Urteil v. 11. Juni 2013 – II ZR 80/12), dass das Unterbleiben des eigentlich erforderlichen Pflichtangebots keine zivilrechtlichen Ansprüche der übrigen Aktionäre begründet. Nach Ansicht des BGH dienen die zugrunde liegenden Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) in erster Linie der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Kapitalmarkts; der Individualschutz der Aktionäre ist ein bloßer Reflex dieses übergeordneten Zwecks. Die Aktionäre können daher weder direkte Zahlungsansprüche noch Schadensersatz gegenüber dem Kontrollerwerber geltend machen.
Der BGH hält die Sanktionsmöglichkeiten der BaFin sowie den dem Bieter drohenden Rechtsverlust für ausreichend, um Kontrollerwerber zur Abgabe des Pflichtangebots zu bewegen: Gemäß § 59 WpÜG bestehen nämlich die Rechte aus den Aktien des Bieters solange nicht, wie die Verpflichtung zur Abgabe des Pflichtangebots nicht erfüllt wird. Darüber hinaus stellt das Unterlassen des Pflichtangebots eine Ordnungswidrigkeit dar, die von der BaFin mit einem Bußgeld von bis zu EUR 5 Mio. bestraft werden kann. Ob die BaFin den Bieter im Wege der Verwaltungsvollstreckung auch zur Durchführung des Pflichtangebots zwingen kann, wurde bislang nicht gerichtlich entschieden.
Da das WpÜG im Grundsatz keinen Individualrechtsschutz gewährt, haben die Aktionäre allerdings keinen Anspruch auf ein Einschreiten der BaFin. Ihnen bleibt nur die Möglichkeit, die BaFin auf mögliche Rechtsverstöße hinzuweisen.
Freiwilliges Übernahmeangebot unter Verstoß gegen Mindestpreisvorschriften (McKesson-Entscheidung)
Konstellation: Der Bieter hat ein öffentliches Übernahmeangebot unter Verstoß gegen die Mindestpreisvorschriften des WpÜG veröffentlicht.
Diese Situation hatte der BGH in seiner McKesson-Entscheidung (Urteil v. 7. November 2017 – II ZR 37/16) und in abgewandelter Form in seiner Postbank-Entscheidung (dazu unten) zu beurteilen.
Freiwillige Übernahmeangebote und Pflichtangebote müssen „eine angemessene Gegenleistung″ vorsehen (§ 31 Abs. 1 WpÜG). Hierbei sind der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft in den letzten drei Monaten sowie Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen in den letzten sechs Monaten zu berücksichtigen.
Wird ein Übernahmeangebot unter Verstoß gegen diese Mindestpreisvorschriften abgegeben, haben diejenigen Aktionäre, die das Angebot angenommen haben, nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des BGH einen Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen der angebotenen und der gesetzlich vorgeschriebenen Gegenleistung. Der BGH stuft diesen Anspruch (wohl) als vertraglichen Erfüllungsanspruch ein, der mit Annahme des Übernahmeangebots zu Stande kommt. Der Zahlungsanspruch besteht damit unabhängig davon, ob den Bieter ein Verschulden trifft.
Die Geltendmachung des Anspruchs hat vor dem Landgericht zu erfolgen, entweder am Wohnort bzw. Sitz des Bieters oder am Sitz der Zielgesellschaft (§ 66 WpÜG). Nicht abschließend geklärt ist die Frage, wann der Anspruch verjährt. Allerdings spricht vieles dafür, dass die Regelverjährung des Bürgerlichen Gesetzbuchs von drei Jahren greift.
Auch wenn höchstrichterliche Rechtsprechung bislang nur zu freiwilligen öffentlichen Übernahmeangeboten ergangen ist, dürfte der Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags gleichermaßen bei Pflichtangeboten bestehen.
Freiwilliges Übernahmeangebot bei Unterlassung vorherigen Pflichtangebots (Postbank-Entscheidung)
Konstellation: Der Bieter hat ein freiwilliges Übernahmeangebot abgegeben, hätte jedoch ggf. vorher schon ein Pflichtangebot abgeben müssen.
Über diese Konstellation hatte der BGH im Rahmen der Übernahme von Postbank durch die Deutsche Bank zu entscheiden (Urteil v. 29. Juli 2014 – II ZR 353/12). Hier sind Elemente der beiden vorstehend beschriebenen Fälle relevant: Einerseits hat es der Bieter unterlassen, ein Pflichtangebot abzugeben, andererseits verstieß das freiwillige Übernahmeangebot gegen die Mindestpreisvorschriften (weil nach Ansicht des BGH der falsche Referenzzeitraum zugrunde gelegt wurde). Der BGH hat entschieden, dass bei Festlegung des Mindestpreises eines freiwilligen Übernahmeangebots auch der frühere Zeitraum zu berücksichtigen ist, in dem ein Pflichtangebot hätte veröffentlicht werden müssen, sofern sich dies zu Gunsten der Aktionäre auswirkt (also beispielsweise der durchschnittliche Börsenkurs der Zielaktie zu diesem Zeitpunkt deutlich höher lag). Der BGH spricht von einer „Verlängerung″ der Referenzzeiträume. Gemeint ist aber wohl eher, dass die angemessene Gegenleistung zu einem früheren Zeitpunkt bestimmt werden muss.
Keine Angebotsannahme durch Aktionär
Konstellation: Der Bieter hat ein öffentliches Übernahmeangebot unter Verstoß gegen die Mindestpreisvorschriften veröffentlicht. Dagegen wehrt sich ein Aktionär, der das Angebot nicht angenommen hat.
Wie bereits unter I. erläutert, eröffnen die Vorschriften des WpÜG keinen Individualrechtsschutz. Aktionäre können daher von der BaFin weder verlangen, dass die bereits erfolgte Gestattung der Angebotsunterlage rückgängig gemacht wird, noch dass sie den Bieter dazu zwingt, ein Pflichtangebot zu einem angemessenen Angebotspreis abzugeben.
Ob Aktionäre, die ein Angebot nicht angenommen haben, zivilrechtlichen Rechtsschutz gegenüber dem Bieter beanspruchen können, ist nicht abschließend geklärt und in der Literatur umstritten. Insbesondere kommt ein Anspruch auf Schadensersatz in Betracht, der aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten (sog. culpa in contrahendo – c.i.c.) hergeleitet werden könnte.
Ansprüche wegen fehlerhafter Angaben in der Angebotsunterlage
In § 12 WpÜG ist ausnahmsweise ein ausdrücklicher Anspruch der Aktionäre gegen den Bieter vorgesehen: Danach können Aktionäre, die ein Übernahmeangebot angenommen haben, vom Bieter Schadensersatz verlangen, wenn wesentliche Angaben in der Angebotsunterlage unvollständig oder unrichtig waren.
Aktionären steht Zivilrechtsweg auf Zahlung des Differenzbetrags offen
Sofern der Bieter im Rahmen seines Übernahmeangebots eine unangemessene Gegenleistung anbietet, steht den Aktionären, die das Angebot angenommen haben, ein zivilrechtlicher Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen angebotener und angemessener Gegenleistung zu. Der Zeitpunkt, zu dem die Angemessenheit der Gegenleistung des Bieters zu bestimmen ist, kann sich zeitlich nach vorne verlagern, wenn ein eigentlich erforderliches Pflichtangebot unterlassen wurde.
Ob auch denjenigen Aktionären, die das Übernahmeangebot nicht angenommen haben, Rechtsschutz zusteht – insbesondere auf Zahlung einer Kompensation für die unangemessene Gegenleistung – wurde bislang nicht abschließend entschieden.
In der Rechtsprechung ist allerdings geklärt, dass Aktionären lediglich der Zivilrechtsweg offensteht. Das BaFin-Verfahren zur Gestattung der Angebotsunterlage des Bieters gewährt ihnen keinen einklagbaren Rechtsschutz. Daher kommt beispielsweise ein Anspruch gegen die BaFin auf (nachträgliche) Untersagung einer bereits gestatteten Angebotsunterlage nicht in Betracht. Auch in dem Fall, dass das vorgeschriebene Pflichtangebot nicht abgegeben wird, haben die Aktionäre nach der Rechtsprechung des BGH keine Rechtsschutzmöglichkeiten nach dem WpÜG.