24. Oktober 2022
Gesellschafterklage Ersatzanspruch Fremdgeschäftsführer
Corporate / M&A

Keine Gesellschafterklage bei Ersatzansprüchen gegen Fremdgeschäftsführer

Die Gesellschafterklage wird stets lebhaft diskutiert. Der BGH äußert sich zur Übertragung der Gesellschafterklage auf die GmbH.

Unter der Gesellschafterklage (actio pro socio) versteht man eine Klage, die ein Gesellschafter* im eigenen Namen erhebt, um einen Anspruch seiner Gesellschaft geltend zu machen. Sie ist im Personengesellschaftsrecht schon seit langem anerkannt und wird künftig auch gesetzlich geregelt

Dennoch schafft sie regelmäßig Stoff für kontroverse Entscheidungen. So auch im vorliegenden Fall, den der BGH am 25. Januar 2022 (II ZR 50/20) entschieden hat.

Ausgangslage: Actio pro socio eines Minderheitsgesellschafters

Der Minderheitsgesellschafter einer GmbH wollte für seine Gesellschaft Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer geltend machen. Der Gesellschafter war selbst nicht Geschäftsführer. Eigentlich sieht das GmbH-Gesetz für solche Fälle mit § 46 Nr. 8 GmbHG eine abschließende Regel vor: Bei der GmbH muss ein Gesellschafterbeschluss über die Einleitung eines Verfahrens gegen den Geschäftsführer gefasst werden. Kommt der Beschluss nicht mehrheitlich zustande, muss der Minderheitsgesellschafter zunächst hiergegen klagen. Die Erhebung einer Klage im eigenen Namen gegen den Geschäftsführer ist dem Gesellschafter grds. verwehrt.

Im vorliegenden Fall hatte sich der Gesellschafter indes darauf berufen, dass die Gesellschaft liquidiert werde und schon seit dem Jahr 2012 keine werbende Tätigkeit mehr entfalte. Daher brauche er auch keinen Gesellschafterbeschluss über die Verfolgung von Ansprüchen gegen den Geschäftsführer mehr herbeizuführen. 

OLG Oldenburg: Gesellschafterklage ausnahmsweise zulässig

Das OLG Oldenburg (Vorinstanz) war der Argumentation des Minderheitsgesellschafters gefolgt und hatte die Zulässigkeit der actio pro socio bejaht. Es bezog sich dabei auf ein Urteil des BGH vom 14. Juli 2004 (VIII ZR 224/02). 

Seinerzeit hatte der BGH geurteilt, dass ein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG entbehrlich sei, wenn über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Im Übrigen sei dem Kläger die Herbeiführung eines Beschlusses nach § 46 Nr. 8 GmbHG nicht zumutbar gewesen, weil der Geschäftsführer im Lager des Mehrheitsgesellschafters stünde. Mit einer Beschlussfassung i.S.d. Klägers sei daher nicht zu rechnen gewesen. Es stelle eine „sinnlose Förmelei“ dar, den Kläger auf den Weg über die Beschlussfassung und die anschließende Erhebung einer Klage zu verweisen. 

BGH: Gesellschafterklage unzulässig

Der BGH sieht dies anders. Er lehnt die Gesellschafterklage gegen den Fremdgeschäftsführer ab. Eine actio pro socio könne nur gegen Mitgesellschafter und nicht gegen fremde Dritte erhoben werden. Der Fremdgeschäftsführer sei insoweit ebenfalls Dritten gleichzustellen. Als Gesellschaftsorgan sei er allein der Gesellschaft gegenüber verpflichtet. Zwischen ihm und den Gesellschaftern bestehe keine Sonderrechtsbeziehung, auf die eine actio pro socio gestützt werden könne.

Auch der am 1. Januar 2024 in Kraft tretende § 715 b BGB zwinge nicht dazu, die actio pro socio für Ansprüche der Gesellschaft gegen den Fremdgeschäftsführer im Allgemeinen zu öffnen. § 715b BGB n.F. ermögliche die Geltendmachung von Ansprüchen eines Gesellschafters gegenüber Dritten nur vor dem Hintergrund der vom BGH aufgestellten Rechtsgrundsätze zur GbR. Wenn die actio pro socio allgemein gegen den Fremdgeschäftsführer zugelassen werden würde, bestünde die Gefahr der Entwertung der Kompetenzen der Gesellschafterversammlung nach § 46 Nr. 8 GmbHG.

Nicht näher beschäftigt sich der BGH mit der Argumentation des OLG Oldenburg, dass der Beschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG entbehrlich gewesen sei, weil sich die GmbH bereits in Liquidation befunden habe. 

Der BGH bleibt bei seiner Linie

Der BGH bestätigt mit dieser Entscheidung eine Linie, die er bereits in einer Entscheidung vom 19. Dezember 2017 (II ZR 255/16) vorgegeben hatte. Der BGH hatte in dieser Entscheidung die actio pro socio des Kommanditisten einer GmbH & Co. KG gegen den Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH verneint. Der Kommanditist müsse vielmehr die Komplementär-GmbH in Anspruch nehmen. Aus einem Titel gegen die Komplementär-GmbH könnte er auch in deren Anspruch gegen den Geschäftsführer aus § 43 Abs. 2 GmbHG vollstrecken.

Damit hatte der BGH den Gesellschafter auf einen mühsamen Weg verwiesen: Er muss zunächst gegen die Komplementär-GmbH vorgehen, deren Anspruch gegen ihren Geschäftsführer pfänden und sodann nochmals den gepfändeten Anspruch im Wege der Klage geltend machen.

Inanspruchnahme eines GmbH-Geschäftsführers nur auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses

Anders als die Entscheidung des BGH vom 19. Dezember 2017 verdient die neue Entscheidung vom 25. Januar 2022 weitestgehend Anerkennung. Es ist richtig, dass der Fremdgeschäftsführer einer GmbH grds. nicht im Wege der actio pro socio in Anspruch genommen werden kann. § 46 Nr. 8 GmbHG weist die Entscheidung über die (Nicht-)Inanspruchnahme des Geschäftsführers eindeutig der Gesellschafterversammlung zu. Die Geschäftsführer haben damit von vornherein – anders als in einer Personengesellschaft – keine Entscheidungskompetenz in Bezug auf die Verfolgung der Ansprüche. Daher muss der Gesellschafter zunächst die Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Inanspruchnahme des Fremdgeschäftsführers suchen und ggf. Klage gegen einen ablehnenden Beschluss erheben.

Allerdings wird im Rahmen dieser ersten Klage nur geprüft, ob der Minderheitsgesellschafter einen Schadensersatzanspruch substantiiert behauptet hat. Erst in dem zweiten Prozess, den die GmbH dann selbst führt, müssen alle Tatsachen dargelegt und ggf. bewiesen werden, die den Schadensersatzanspruch rechtfertigen.

Das Erfordernis eines Beschlusses nach § 46 Nr. 8 Hs. 1 GmbHG entfiel im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund der Tatsache, dass sich die GmbH mittlerweile in Liquidation befand. Die Erwägungen des BGH aus seiner Entscheidung vom 14. Juli 2004 zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den (früheren) Geschäftsführer einer insolventen GmbH ließen sich insoweit nicht übertragen. Der BGH hatte seinerzeit – zutreffend – darauf verwiesen, dass im Insolvenzverfahren den Interessen der Gläubiger an einer Vermehrung der Masse der Vorzug einzuräumen ist. Eine vergleichbare Interessenlage liegt bei der GmbH i.L. nicht vor, weil bei dieser weiterhin davon auszugehen ist, dass alle Gläubigeransprüche vollständig erfüllt werden können (andernfalls muss die GmbH i.L. Insolvenz anmelden). Daher steht die Entscheidung über die Inanspruchnahme ehemaliger Geschäftsführer hier weiterhin zur Disposition der Gesellschafterversammlung. 

Falsche Schlussfolgerungen für die Personengesellschaft 

Kritik rufen aber die Ausführungen des BGH zum neuen § 715b BGB hervor. Sie lassen erkennen, dass der BGH sich offenbar durch die Neufassung in seiner bisherigen, restriktiven Rechtsprechung zur Inanspruchnahme Dritter auch bei Personengesellschaft bestätigt sieht. Die Rechtslage im Personengesellschaftsrecht unterscheidet sich fundamental von derjenigen bei der GmbH, weil das Personengesellschaftsrecht eine § 46 Nr. 8 Hs. 1 GmbHG vergleichbare Norm nicht kennt. Vielmehr obliegt die Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen hier immer den geschäftsführenden Gesellschaftern. Dies war gerade Anlass für die Entwicklung des Rechtsinstruments der actio pro socio, die es auch nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern ermöglicht, Ansprüche ihrer Gesellschaft einzuklagen. 

Der neue § 715b BGB (der am 1. Januar 2024 in Kraft tritt) sieht nun eindeutig vor, dass ein Gesellschafter Ansprüche der Gesellschafter gegen einen Dritten geltend machen kann, wenn dieser mitverantwortlich dafür war, dass die Gesellschaft den Anspruch nicht selbst geltend gemacht hat, oder zumindest hiervon weiß. Dieses Erfordernis ist bei dem Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH immer erfüllt, und zwar auch dann, wenn es sich um einen Fremdgeschäftsführer handelt. Der Geschäftsführer kennt die Interna der KG; er ist entweder an dem gesellschaftsschädigenden Unterlassen seiner Inanspruchnahme beteiligt oder kennt jedenfalls die Hintergründe. Daher muss es zulässig sein, ihn im Wege der actio pro socio in Anspruch zu nehmen. 

Immer erst die Gesellschaft verklagen

Die Entscheidung des BGH ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Häufig wird der Geschäftsführer für Verluste und schlechte wirtschaftliche Entwicklungen der Gesellschaft verantwortlich gemacht. Soweit er die Unterstützung des Mehrheitsgesellschafters genießt, braucht er aber nicht allzu viel zu befürchten. Der Weg für den Minderheitsgesellschafter zur Inanspruchnahme des Fremdgeschäftsführers ist lang. Ihm bleibt nur der Weg über § 46 Nr. 8 Hs. 1 GmbHG, ggf. verbunden mit einer anschließenden Beschlussmängelklage. Während dieser Weg in der GmbH gesetzlich vorgezeichnet ist, muss dagegen in der GmbH & Co. KG auch die unmittelbare Inanspruchnahme des (Fremd-)Geschäftsführers im Wege der Gesellschafterklage möglich sein.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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