Mit dem MoPeG schafft der Gesetzgeber zum ersten Mal eine geschriebene Regelung für das Rechtsinstitut der actio pro socio in der Personengesellschaft.
Bislang war das Recht des Gesellschafters einer Personengesellschaft, im eigenen Namen Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen (sog. actio pro socio), nur durch die Rechtsprechung anerkannt. Eine Sonderregelung für die AG findet sich seit 2005 in § 148 AktG. Rückschlüsse für Personengesellschaften ließen sich hieraus allerdings nicht ziehen.
Mit § 715b BGB n.F. hat der Gesetzgeber die actio pro socio nun zu geschriebenem Recht gemacht. Die Einzelklagebefugnis soll künftig „Gesellschafterklage“ heißen und für sämtliche Personengesellschaften einheitlich gelten. Damit schafft der Gesetzgeber Rechtsklarheit im Bereich des Minderheitenschutzes. Offene Fragen bleiben dennoch bestehen.
Hintergrund: Durchbrechung der Zuständigkeitsordnung zum Schutze der Minderheit
Mit der actio pro socio macht ein Gesellschafter im Wege der Einzelklage einen Anspruch der Gesellschaft im eigenen Namen gerichtet auf Leistung an die Gesellschaft geltend. Die Einzelklagebefugnis wurzelt im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters. Grundsätzlich sind mit der actio pro socio nur Innensprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis (sog. Sozialansprüche) einklagbar. Unter engeren Voraussetzungen kann mit der actio pro socio auch ein Außenanspruch gegen Schuldner der Gesellschaft eingeklagt werden.
Bedürfnis für die Einzelklage besteht, weil zur Durchsetzung der Gesellschaftsansprüche grundsätzlich die geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter zuständig sind. Weigern sich diese aber Gesellschaftsansprüche durchzusetzen, ohne dass es dafür einen legitimen Grund gibt, kann das dem nicht zur Geschäftsführung befugten Minderheitsgesellschafter gegenüber unzumutbar sein. Vor einem solchen pflichtwidrigen Unterlassen soll er geschützt werden.
Die Gesellschafterklage als gesetzlicher Fall der Prozessstandschaft
Die Einführung des § 715b Abs. 1 BGB n.F. beendet einen lang geführten Theorien-Streit: Der klagende Gesellschafter verfolgt mit der Gesellschafterklage keinen eigenen Anspruch. Der Gesellschafter macht vielmehr einen Anspruch der Gesellschaft gelten. Das nennt sich Prozessstandschaft. Er wird jedoch auch nicht von der Gesellschaft zur Prozessführung ermächtigt, was man als gewillkürte Prozesststandschaft versteht. Die Gesetzesbegründung ordnet die Gesellschafterklage eindeutig als einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft ein.
Die Klage hat grundsätzlich im eigenen Namen und auf Leistung an die Gesellschaft zu erfolgen. Die Rechtsprechung lässt aber im Abwicklungsstadium der Gesellschaft ausnahmsweise zu, dass der Gesellschafter auf unmittelbare Leistung an sich selbst klagt. Voraussetzung ist, dass mangels weiterer Liquidationsaufgaben das Ergebnis der Auseinandersetzung sinnvollerweise vorweggenommen wird. Die Gesetzesbegründung verhält sich zu dieser Frage nicht. Aus praktikabilitätsgründen sollte an dieser Ausnahme auch unter der Geltung von § 715b BGB n.F. festgehalten werden.
Vertragliche Beschränkungen und vollständiger Ausschluss
Nach §§ 708, 715b Abs. 2 BGB n.F. kann die Einzelklagebefugnis beschränkt werden, wenn dies der gesetzlichen Regelung nicht zuwiderläuft. Der Gesetzgeber will diese Frage am „Vertragsgefüge in seiner Gesamtheit“ messen. Dabei ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang Minderheitsgesellschafter auf diesen Schutzmechanismus angewiesen sind und welche weiteren Möglichkeiten (Abberufungsrechte, Bestellung von Sondergeschäftsführern) zur Verfügung stehen. Ob die Gesellschafterklage darüber hinaus sogar in Gänze ausgeschlossen werden kann, bedarf noch der höchstrichterlichen Klärung. Während § 715b Abs. 2 BGB durchaus so gelesen werden kann, dass ein Ausschluss grundsätzlich nicht erlaubt sein soll, geht der Gesetzgeber wohl von dieser Möglichkeit aus.
Persönlicher Anwendungsbereich: „Gesellschafter“
Klagebefugt ist der „Gesellschafter“. Die Klagebefugnis besteht daher nur für die Dauer der Gesellschaftszugehörigkeit. Über die Verweisnormen der §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB n.F. findet die Gesellschafterklage auch auf Personenhandelsgesellschaften Anwendung. Klagebefugt kann also auch der OHG-Gesellschafter und in der KG der Komplementär oder Kommanditist sein.
Der typische stille Gesellschafter nach § 230 Abs. 1 HGB scheidet dagegen als Kläger aus. Er ist nicht Mitglied in der Gesellschaft. Unklar bleibt hingegen, ob auch mittelbare Gesellschafter nach § 715b Abs. 1 BGB n.F. klagebefugt sind, wenn sie gesellschaftsvertraglich in die Gesellschaft eingegliedert werden. Das kann bei der atypischen stillen Gesellschaft der Fall sein. Ein weiteres Beispiel ist die qualifizierte Treuhand am Gesellschaftsanteil. Die Frage ist für die Klagebefugnis nach § 715 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. zu bejahen. Sie ist nämlich auf Sozialansprüche im Innenverhältnis bezogenen. Weil § 715 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. dagegen Außenansprüche gegen Dritte betrifft, wird insoweit die Klagebefugnis des bloßen Innengesellschafters wohl abzulehnen sein.
Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis
Die Regelung des § 715b BGB n.F. wird nur für rechtsfähige Gesellschaften gelten (vgl. § 740 Abs. 2 BGB n.F.). Die durch das MoPeG geregelte nicht rechtsfähige GbR ist als solche vermögenslos; ein Bedürfnis für eine Einzelklagebefugnis besteht hier praktisch nicht.
Die Gesellschafterklage betrifft in erster Linie Sozialansprüche gegen Mitgesellschafter. Daran möchte auch der Gesetzgeber festhalten und führt dies in § 715b Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. einer Regelung zu, die sich an der Terminologie des BGH orientiert. Wichtige Anwendungsfälle für einklagbare Sozialansprüche sind die Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen den Gesellschafter auf Erbringung seines Gesellschafterbeitrags oder Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den geschäftsführungsbefugten Gesellschafter wegen Verletzung seiner Geschäftsführungspflichten.
Auch Drittansprüche der Gesellschaft durchsetzbar
Im Wege der Gesellschafterklage kann ein Gesellschafter aber auch Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte, die nicht Gesellschafter sind, geltend machen. Das galt schon bislang richterrechtlich. Neben der allgemeinen Subsidiarität des Klagerechts (dazu sogleich) wird bei Ansprüchen gegen Dritte aber zusätzlich verlangt, dass der Dritte an dem gesellschaftswidrigen Verhalten der die Gesellschafterklage ablehnenden Mitgesellschafter beteiligt ist. § 715b Abs. 1 S. 2 BGB n.F. knüpft an diese Rechtsprechungsgrundsätze an und verlangt, dass der Dritte „an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte“.
Nach der neuen Rechtslage besteht die Gesellschafterklage bei Ansprüchen gegen Dritte zweifelsfrei auch bei den Personenhandelsgesellschaften (vgl. § 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB n.F.). Der BGH hält bisher jedoch die actio pro socio des Kommanditisten gegen den Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH in der GmbH & Co. KG für unzulässig. Die Entscheidung leuchtet nicht ein und sollte aufgegeben werden. Der Geschäftsführer vertritt die Komplementär-GmbH organschaftlich. Es liegt also in der Natur der Sache, dass beide im Sinne von § 715b Abs. 1 S. 2 BGB n.F. zusammenwirken.
Subsidiarität der Gesellschafterklage
Die Gesellschafterklage ist stets nur subsidiär zulässig, weil mit ihr die vorrangige Geschäftsführungs- und Vertretungsordnung durchbrochen wird (vgl. oben). Aus diesem Grund setzt § 715b Abs. 1 S. 1 BGB n.F. nun ausdrücklich voraus, dass der zur Geschäftsführung berufene Gesellschafter die Geltendmachung des Anspruchs pflichtwidrig unterlässt. Wie hoch oder tief die Anforderungen hier zu hängen sind, will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Rechtsprechung überlassen (vgl. BT-Drs. 19/27635, S. 155).
Der klagende Gesellschafter muss zumindest darlegen und beweisen können, dass die Geschäftsführung zuvor zur Anspruchsverfolgung vergeblich aufgefordert wurde. Existiert dagegen ein Gesellschafterbeschluss, der das Unterlassen trägt, ist die Beschlussmängelklage vorrangig zu erheben. Beschlussmängel- und Gesellschafterklage können dann aber miteinander verbunden werden. Übrigens: Ein Beschlussmängelrecht wird für die OHG und KG mit §§ 110 bis 115 HGB neu eingeführt. Es ist davon auszugehen, dass dies in Zukunft auch häufiger als Vorbild für GbR- und Partnerschafts-Gesellschaftsverträge dienen wird.
Liegt kein ablehnender Gesellschafterbeschlusses vor, stellt sich die Frage, ob der Gesellschafter zumindest vergeblich versucht haben muss, einen entsprechenden Beschluss zum Gegenstand einer Gesellschafterversammlung zu machen. Das wird wohl bei einer gesellschaftsvertraglichen Zustimmungspflicht der Fall sein. Zum Teil wird dies auch unabhängig hiervon allgemein verlangt, wenn die Klage die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Geschäftsführer betrifft (§ 46 Nr. 8 GmbHG analog). Ein vorheriger Gesellschafterbeschluss wird jedenfalls dann nicht zu fordern sein, wenn die Gesellschaftermehrheit zuvor schon eindeutig zu erkennen gegeben hat, die Anspruchsverfolgung abzulehnen und ein Verzicht auf den Anspruch nicht in Betracht kommt.
Beantwortung prozessualer Fragen
Zu begrüßen ist, dass § 715b BGB n.F. nunmehr auch Antworten zu wichtigen prozessualen Fragen geben wird, die über die Einordnung der Gesellschafterklage als gesetzliche Form der Prozessstandschaft hinausgehen. Da die wenigen Bestimmungen in Abs. 3 und 4 jedoch nicht sonderlich wortreich ausgestaltet sind, wird es auch hier im Einzelnen noch Klärungsbedarf geben.
Nach § 715b Abs. 3 S. 1 BGB n.F. hat der klagende Gesellschafter die Gesellschaft unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Das Prozessgericht wird auf die Unterrichtung der Gesellschaft hinwirken, sie jedoch nicht selbst vornehmen (§ 715b Abs. 3 S. 3 BGB n.F.). Der klagende Gesellschafter macht sich hingegen schadensersatzpflichtig, wenn die unterlassene Benachrichtigung der Gesellschaft zu einem Gesellschaftsschaden führt. Das kann der Fall sein, wenn die Gesellschaft deshalb ihre prozessualen Einwirkungsmöglichkeiten über eine streitgenössische Nebenintervention nicht wahrnehmen konnte.
§ 715b Abs. 4 BGB n.F. bestimmt, dass sich die Rechtskraft des Urteils auf die Gesellschaft erstreckt. Die Vorschrift ist an § 148 Abs. 5 S. 1 AktG angelehnt. Bewusst offengelassen wurde die Frage, ob einer parallel erhobenen Klage der Gesellschaft die Rechtshängigkeit der Gesellschafterklage entgegensteht (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Man wird wohl davon auszugehen haben, dass das Gegenteil der Fall ist: Mit Erhebung der Klage durch die Gesellschaft wird die Gesellschafterklage nachträglich unzulässig (vgl. auch § 148 Abs. 3 S. 1 AktG). Der klagende Gesellschafter sollte dann den Prozess für erledigt erklären, um nicht die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen zu müssen.
Actio pro socio: Einheitliche Regelung für sämtliche Personengesellschaften
Mit § 715b BGB n.F. schafft der Gesetzgeber eine überzeugende (Erst-)Regelung der actio pro socio im Personengesellschaftsrecht. Die Regelung wird für sämtliche Personengesellschaften einheitlich gelten.
Begrüßenswert ist, dass der Gesetzgeber mit § 715b BGB n.F. zu einigen Punkten klare Aussagen trifft und damit Rechtsklarheit schafft. Dennoch bleiben einige wichtige Fragen unbeantwortet. In der Praxis muss sich insbesondere zeigen, welche konkreten Voraussetzungen hinter der Voraussetzung des „pflichtwidrigen Unterlassens“ stehen.
Parallel sollten Minderheitsgesellschafter stets die Möglichkeit der Bestellung eines besonderen Vertreters analog § 46 Nr. 8 GmbHG mitbedenken. Die Gesellschaft ist dann selbst Klägerin und trägt das Kostenrisiko. Allerdings steht diese Möglichkeit nur offen, wenn der Gesellschafter hierfür die erforderliche Mehrheit im Gesellschafterkreis findet.
Die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften für Freiberufler und weitere Themen werden wir in unserer Blogreihe zum „MoPeG″ erörtern. Gestartet sind wir mit einer Übersicht zum Regierungsentwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, den Änderungen im Recht der GbR sowie dem Gesellschaftsregister. Weiter ging es mit einem Beitrag zum Auslandssitz der GmbH & Co. KG, zur Actio pro Socio sowie den Auswirkungen auf die Immobilienbranche.