Ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Bundeswehr können sog. Vorhalteverträge sein.
In den vergangenen Jahrzehnten des europäischen Friedens wurde die Bundeswehr erheblich verkleinert. Aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage werden die Stimmen lauter nach einer dauerhaften Lösung, um die Sicherheits- und Rüstungsindustrie in Kriegs- als auch in Friedenszeiten funktionstüchtig zu machen. Als zentrales Instrument sollen hierfür u.a. auch Vorhalteverträge eine effiziente Einbindung ziviler Unternehmen in den Verteidigungsplan der Bundesrepublik sicherstellen.
Keine Neuheit für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie
Vorhalteverträge sind als Instrument der öffentlichen Hand keine Neuheit für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. So sind Vorhalteverträge bereits in der Vergangenheit vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Energieversorgung zum Einsatz gekommen. Sie bieten eine praktische Möglichkeit, zivile Unternehmen in die Aufgabenerfüllung des Staates miteinzubeziehen und so die Bereitstellung wichtiger Infrastruktur- und Versorgungsleistungen auf einem hohen Niveau zu halten.
Sog. Expressoption als wesentlicher Regelungsinhalt
Vorhalteverträge sind im Allgemeinen Verschlusssache. Durch eine Antwort der Bundesregierung vom 30. Juli 2020 (BT-Drs. 19/21356) vom 13. Dezember 2018 zu militärischen Schienentransporten auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten de Fraktion Die Linke lassen sich jedoch die Grundzüge dieses Vertrags nachvollziehen. Der wesentliche Regelungsaspekt vor dem Hintergrund der Vorhaltung ist eine sog. Expressoption. Diese sieht im Grundsatz die Durchführung hochpriorisierter Transporte im Einsatzraum mit verkürzten Bereitstellungszeiten von wenigen Tagen vor. Dies sollte mitunter dadurch abgesichert werden, dass sich die Deutsche Bahn verpflichtete, 300 taugliche Waggons zu Transportzwecken vorzuhalten.
Aus dieser Regelung lassen sich zwei wesentliche Hauptleistungspflichten des Vorhaltevertrags herleiten: die Zusicherung des Unternehmens, währen der Vertragsdauer bestimmte Kapazitäten und Leistungen abrufbereit zu halten und die Pflicht zu einem vertraglich fixierten Zeitpunkt oder hinreichend konkreten Ereignis die bereitgestellten Kapazitäten zu liefern.
Vorhalteverträge: Vor und nach dem Abruf
Die Vorhalteverträge haben somit im Wesentlichen zwei Vertragsphasen. In der ersten Vertragsphase vor dem Abruf muss der Auftragnehmer die Funktionsfähigkeit und ordnungsgemäße Abrufbarkeit der vorgehaltenen Leistungen sicherstellen und insbesondere Funktionstests und Nachbesserungen vornehmen. Die zweite Vertragsphase ab dem Abruf wird durch diesen eingeleitet und verpflichtet den Auftragnehmer dazu, die vorgehaltenen Leistungen mangelfrei zu liefern.
Rechtsnatur des Vorhaltevertrags
Aufgrund der vertraglichen Hauptleistungspflichten dürften Vorhalteverträge als Vertragsart sui generis zu betrachten sein oder als typengemischte Verträge. Als Anhaltspunkt kann das Urteil des OLG Hamm (v. 19. März 2012 – 17 U 30/11) herangezogen werden. Für den gegenständlichen Gerüstbauvorhaltevertrag wurde der Schwerpunkt der Leistungspflicht des Auftragnehmers in der Vorhaltung des Gerüsts als mietrechtlicher Leistung gesehen. Bei einem Schwerpunkt auf dem Abbau des Gerüsts seien werkvertragliche Regelungen anwendbar. Danach wäre bei einem Rüstungsvorhaltevertrag die Zusicherung, die Leistungen abrufbereit zu halten mietrechtlicher Natur, und die Lieferung im Abruffall grundsätzlich werkvertraglicher Natur.
Dies dürfte auch den Interessen der Parteien entsprechen. Der Auftragnehmer eines Vorhaltevertrags ist verpflichtet die vorzuhaltenden Gegenstände im vereinbarten Zustand über die gesamte vereinbarte Dauer im vertragsgemäßen Zustand zu halten. Bei Geltendmachung der Lieferung der vorzuhaltenden Gegenstände hat er die angebotenen Leistungen mangelfrei erbringen, wobei es sich, nach Art der Vorhalte-Gegenstände, um Werkleistungen oder auch um Dienstleistungen handeln kann.
Zustandekommen von Vorhalteverträgen
Für die meisten Vorhalteverträge über Rüstungsgüter dürfte es nicht zweckmäßig sein, ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Denn dieses lebt von dem Wettbewerb der jeweiligen Anbieter. Dieser ist in vielen Bereichen der Rüstungsindustrie jedoch nicht gegeben, gerade wenn nur ein möglicher Anbieter die geforderte Vorhalteleistung bewirken kann.
Vergütungsregelungen
Neben der Vergütung für die Bereitstellung der Güter oder Dienstleistungen wurden in der Vergangenheit nahezu alle anderen Vorhaltekosten der Anbieter beglichen, unabhängig davon, ob der Abruffall tatsächlich eingetreten ist. Angesichts der Vielschichtigkeit der Leistungen wird die Vergütung detailliert zu regeln sein. Dabei bieten sich feste Vergütungsbestandteile, etwa eine Regelvergütung für den „reinen“ Vorbehalt, eine Abrufvergütung im Falle des Abrufs sowie einzelne Sonderkonditionen für individuelle Leistungen an.
Sofern der Vorhalt bestimmter Güter deren Produktion voraussetzt, bietet sich zusätzlich zur mietrechtlichen Vergütung ein Abschlag des Kaufpreises/Werklohn an. Die Zahlung kann bei endgültigem Abruf der Gegenstände anfallen oder in Form einer Rückzahlungspflicht der zuvor geleisteten Abschlagszahlungen im Falle der anderweitigen Veräußerung durch den Auftragnehmer nach Ablauf des Vorhaltevertrags.
Zweckmäßige Haftungsregelungen
Ein wesentlicher regelungsbedürftiger Punkt eines Vorhaltevertrags sind interessengerechte Haftungsregelungen. Dabei ist zwischen den beiden Stadien der Vorhaltung und des Abrufs der Leistung zu unterscheiden.
Mangelbehaftete Vorhalteleistungen vor dem Abruf sind zwar nicht im Interesse des Auftraggebers, stellen aber nur abstrakte Risiken dar. Da die wertmäßige Feststellung des Schadens mangels Abruf anhand einer hypothetischen Nachbeschaffung erfolgen müsste, dürften Vertragsstrafenregelungen für die meisten Pflichtverletzungen in diesem Bereich zweckmäßig sein.
Ist die Vorhalteleistung nach dem Abruf mangelhaft, bietet sich eine Regelung an, die einen Schadensersatzanspruch in der Höhe der tatsächlichen Ersatzbeschaffung fixiert. Eine Beschränkung der Höhe des Schadensersatzes auf eine angemessene oder durchschnittliche Höhe oder etwa auf den Wert der Vorhaltevergütung dürfte hingegen nicht interessengerecht sein. Denn die Marktverhältnisse dürften sich im tatsächlichen Abrufzeitpunkt, insbesondere einem möglichen NATO-Bündnisfall, stark verändern.
US-Defense Production Act – Ermessen des Präsidenten
Die USA verfolgen mit dem Defense Production Act (DPA) einen präsidial geprägten Ansatz. Der DPA ist ebenso wir das Instrument der Vorhalteverträge darauf ausgelegt, die Verteidigungsfähigkeit des Landes durch Versorgung mit Materialien und Dienstleistungen aus der heimischen Industrie sicherzustellen. Section 101 (a) DPA ermächtig den Präsidenten, die Annahme und die Erfüllung von Verträgen, die er zur Förderung der nationalen Verteidigung für notwendig oder angemessen hält, vorrangig zu verlangen.
Dabei steht die einseitige Durchsetzung nationaler Verteidigungsinteressen durch den Präsidenten im Vordergrund; dies insbesondere im Vergleich zum kooperativen Charakter von Vorhalteverträgen.