7. Mai 2021
Cannabisblüte Ausgangsstoff
Gewerblicher Rechtsschutz

OLG Hamburg: Cannabisblüten sind Ausgangsstoff statt Arzneimittel

Medizinische Cannabisblüten müssen als Ausgangsstoff für ein noch herzustellendes Arzneimittel den Kennzeichnungsvorschriften genügen.

Seit März 2017 ist medizinischer Cannabis in Deutschland verkehrs- und verschreibungsfähig. Die erste Ernte von medizinischem Cannabis aus deutschem Anbau soll in diesem Jahr erfolgen. Bis dahin wird der Bedarf weiterhin über Importe gedeckt, v.a. aus den Niederlanden und Kanada.

Kurz vor Weihnachten hat das OLG Hamburg über die Kennzeichnungsvorgaben beim Inverkehrbringen von Liefergefäßen mit Cannabisblüten (sog. Cannabis Flos) entschieden, die aus den Niederlanden importiert werden (Beschluss v. 22. Dezember 2020 – 3 W 38/20). Im Rahmen seiner Entscheidung befasste sich das Gericht zugleich mit der Frage, ob Cannabisblüten als Arzneimittel einzustufen sind oder als Ausgangsstoff bzw. Zwischenprodukt eines erst noch herzustellenden Arzneimittels. Laut OLG Hamburg sind Cannabisblüten (noch) kein Arzneimittel, weil in der Apotheke noch wesentliche Verarbeitungsschritte zur Herstellung des Rezepturarzneimittels vorgenommen werden müssen.

Wettbewerbsverband ging gegen Großhändlerin wegen Verletzung von Kennzeichnungspflichten beim Vertrieb von Cannabisblüten vor

In dem wettbewerbsrechtlichen Ausgangsfall vor dem OLG Hamburg stritten die Parteien um die Zulässigkeit des Vertriebs von Cannabisblüten in pharmazeutischer Qualität, die eine Großhändlerin von einem niederländischen Hersteller an deutsche Apotheken vertrieben hat. 

Die deutschen Apotheken verwenden diese Cannabisblüten zur Herstellung von Rezepturarzneimitteln. Die Behältnisse mit den Cannabisblüten (Cannabis Flos) waren im Ausgangsfall mit einem Etikett in niederländischer Sprache gekennzeichnet. 

Das OLG Hamburg gab dem Wettbewerbsverband dahingehend Recht, dass die Großhändlerin beim Vertrieb der Cannabisblüten gegen Kennzeichnungsvorschriften (§ 24 Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung – AMWHV) verstoßen habe.

Cannabisblüten sind noch keine Arzneimittel, sondern Ausgangsstoffe

Während nationale Behörden zuletzt teilweise medizinische Cannabisblüten als Arzneimittel eingestuft hatten, sieht es das OLG Hamburg anders und stufte sie als bloßen (Ausgangs-)Stoff für die Herstellung von Rezepturarzneimitteln ein. Im Ausgangsverfahren war die Abgrenzung insbesondere für die Frage relevant, wie das Produkt nach der AMWHV zu kennzeichnen ist. 

Gemäß § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung von Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (sog. Präsentationsarzneimittel) oder die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (sogg. Funktionsarzneimittel). Unter den Arzneimittelbegriff fallen auch pflanzliche Arzneimittel (§ 4 Abs. 29 AMG). 

Hiervon zu unterscheiden sind Wirkstoffe, d.h. Stoffe, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet zu werden oder bei ihrer Verwendung in der Arzneimittelherstellung zu arzneilich wirksamen Bestandteilen der Arzneimittel zu werden (§ 4 Abs. 19 AMG). Es kommt auf die subjektive Zweckbestimmung des Herstellers an. Das Arzneimittelgesetz erfasst dabei auch pflanzliche Stoffe (§ 3 Nr. 2 AMG). 

Wesentliche Bearbeitungsschritte der Cannabisblüten bis zum Arzneimittel erforderlich

Das Arzneimittelgesetz regelt nicht ausdrücklich, ab welcher Produktionsstufe von einem Arzneimittel gesprochen werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt bei einem mehrstufigen Herstellungsprozess maßgeblich darauf an, ob noch wesentliche Bearbeitungsschritte bis zum fertigen Endprodukt erforderlich sind (BVerwG, Urteil v. 3. März 2011 – 3 C 8.10 – TCM-Granulate). 

Im Rahmen der legalen Verwendungsmöglichkeiten von medizinischen Cannabisblüten in Deutschland sind in diesem Sinne für die Herstellung von Rezepturarzneimitteln in der Apotheke noch wesentliche Herstellungsschritte bis zum abgabefähigen Endprodukt erforderlich, so das OLG Hamburg. Denn der Apotheker müsse nach den Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung (§ 6 ApoBetrO) zunächst die erforderliche Qualität und Reinheit der medizinischen Cannabisblüten prüfen, um diese anschließend nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln, etwa bestimmten Rezepturformeln, zu verarbeiten. Für diese Rezepturen werden die Cannabisblüten beispielsweise grob gemahlen, anschließend gesiebt und für den Patienten entsprechend der ärztlichen Verordnung dosiert. Verordnet der Arzt Einzeldosen, sind diese abzuwiegen, zu portionieren und in geeignete Behältnisse abzufüllen. 

All dies spreche aus Sicht des Gerichts dafür, dass noch wesentliche Bearbeitungsschritte erfolgen müssen, bis die medizinischen Cannabisblüten (als pflanzlicher Ausgangsstoff) als Rezepturarzneimittel an den Patienten abgegeben werden dürfen. Vor diesem Hintergrund sind die streitgegenständlichen Cannabisblüten (noch) nicht als Arzneimittel, sondern als pflanzliche (Ausgangs-)Stoffe gemäß § 3 Nr. 2 AMG einzustufen.

Gerichtsentscheidung zu Cannabisblüten auch für medizinisches Cannabis „made in Germany“ relevant

Die Hersteller von medizinischem Cannabis in Deutschland sollten mit Blick auf die Entscheidung des OLG Hamburg vor dem Inverkehrbringen ihrer ersten Ernte ein besonderes Augenmerk auf die Kennzeichnung ihrer Cannabisblüten legen.

Die Entscheidung des OLG Hamburg ist darüber hinaus vor allem für die rechtliche Einordnung von medizinischen Cannabisblüten nach dem Arzneimittelgesetz von Bedeutung. Die Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Ausgangsstoff dürfte auch für die Entscheidungspraxis regionaler Behörden Klarheit bringen. Es ist sachgerecht, Cannabisblüten – wie das OLG Hamburg – dann nicht als Arzneimittel einzustufen, wenn in der Apotheke noch wesentliche Schritte zur Herstellung von Rezepturarzneimitteln erforderlich sind. Dies dürfte derzeit der Regelfall sein.

Tags: Arzneimittel Ausgangsstoff Cannabisblüte
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Friederike von Zezschwitz