Wir zeigen den aktuellen Stand der Debatte in Deutschland um die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken auf.
Cannabis zu Genusszwecken und medizinisches Cannabis sind nach deutschem Recht strikt zu trennen: Seit 2017 ist es in Deutschland erlaubt, Cannabis für medizinische Zwecke anzubauen, zu verkaufen und einzuführen. Der Anbau und der Handel mit Cannabis zu Genusszwecken sind dagegen derzeit noch streng verboten. Die aktuelle Rechtslage zu Cannabis in Deutschland finden Sie in unserem CMS Expert Guide to cannabis law and legislation.
Legalisierungspläne der Bundesregierung
Die Koalitionspartner der am 26. September 2021 gewählten Bundesregierung haben sich darauf geeinigt, eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Laut Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach wird das Hauptziel des Gesetzgebungsverfahrens darin bestehen, den bestmöglichen Gesundheitsschutz für die Verbraucher* zu gewährleisten und den Schutz von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen. Risiken gehen derzeit vor allem von einem großen Schwarzmarkt für Cannabis ohne Qualitätsstandards und Kontrollen aus, der dazu führt, dass verunreinigte Cannabisprodukte auf den illegalen Markt gelangen. Das neue Cannabisgesetz soll nach vier Jahren auf seine gesellschaftlichen Auswirkungen hin evaluiert werden.
Das Gesetzesvorhaben soll die gesamte Lieferkette abdecken, vom Anbau über die Produktion und Herstellung bis hin zum Verkauf in lizenzierten Geschäften. Dies hat auch Auswirkungen auf zahlreiche nationale Gesetze, wie das Strafrecht, das Straßenverkehrsrecht und das Steuerrecht.
Konsultationsprozess und Expertenanhörung
Ab Mitte Juni 2022 diskutierten über 200 Experten aus den Bereichen Suchtmedizin, Suchthilfe, Recht, Wirtschaft und gesellschaftliche Interessenverbände sowie Vertreter der Länder, der Bundesministerien und -behörden relevante Aspekte des Gesetzesvorhabens in vier nicht öffentlichen Expertenanhörungen: (1) Gesundheits- und Verbraucherschutz, (2) Jugendschutz und Prävention, (3) Lieferketten, ökologische und ökonomische Fragen sowie (4) Strafbarkeit, Kontrollmaßnahmen und Lizenzierung. Soweit ersichtlich, wurde bisher noch kein Abschlusspapier mit den Ergebnissen dieser nicht öffentlichen Anhörungen veröffentlicht.
Keine einheitlichen weltweiten Entwicklungen
In der folgenden (öffentlichen) internationalen Expertenanhörung am 30. Juni 2022 berichteten zahlreiche internationale Experten, u.a. aus Malta, Kanada, USA, Südafrika, Uruguay, Luxemburg und den Niederlanden, über die Erfahrungen ihrer Länder mit der Legalisierung von Cannabis. Besonders auffällig war, dass es in den USA, Kanada und Uruguay keinen einheitlichen Trend gibt, sondern dass die Entwicklungen nach der Legalisierung von Cannabis stark von den spezifischen nationalen Bestimmungen und den jeweiligen Zielen des nationalen Gesetzgebers abhängen. Dies wird auch durch den aktuellen „World Drug Report“ der Vereinten Nationen (UN) bestätigt, der ebenfalls in der Anhörung diskutiert wurde. Die UN-Vertreterin stellte dabei fest, dass es keinen verlässlichen Zusammenhang zwischen der Gesetzgebung zu Cannabis und einer vermeintlich steigenden Zahl an Konsumenten gebe.
Zahlreiche Fragen wurden aufgeworfen
In der abschließenden internationalen Anhörung am 30. Juni 2022 wurde deutlich, dass es derzeit mehr Fragen als Antworten darauf gibt, wie ein Gesetzesentwurf für Cannabis zu Genusszwecken aussehen soll.
So wurden bspw. folgende Fragen kontrovers diskutiert:
- Soll Cannabis zu Genusszwecken für den deutschen Markt aus heimischem Anbau stammen oder importiert werden?
- Soll Cannabis zu Genusszwecken über Apotheken vertrieben werden oder sollen spezielle Geschäfte eingerichtet werden? Soll der Kauf von Cannabis zu Genusszwecken nur in lokalen Vor-Ort-Geschäften oder auch online möglich sein? Wie kann eine Beratung durch eine qualifizierte Person sichergestellt werden?
- Sollte es Mengenbeschränkungen (z.B. tägliche Höchstmengen pro Verbraucher) und/oder THC-Grenzwerte für das Produkt geben?
- Wie hoch sollten der Einzelhandelspreis und die Steuern auf Cannabisprodukte sein?
- Soll es ein striktes Werbeverbot geben?
- Wie kann ein wirksamer Schutz von Minderjährigen gewährleistet werden? Sollten Minderjährige vom Erwerb von Cannabisprodukten in lizenzierten Geschäften ausgeschlossen werden?
Vor allem Kontroverse über Werbeverbot, Preise und Steuern
Insbesondere die Frage des Werbeverbots wurde von den Experten kontrovers diskutiert: Die einen sprachen sich für ein striktes Verbot (vor allem der Werbung durch Influencer) zum Schutz der Jugendlichen aus. Andere argumentierten, dass ein Mindestmaß an Werbung erforderlich sei, damit die Verbraucher öffentlich darüber informiert werden können, wo sie qualitativ hochwertiges und sicheres Cannabis legal erwerben können.
Damit der Vertrieb von Cannabis zu Genusszwecken über lizenzierte Geschäfte im Vergleich zum Schwarzmarkt nicht aus Kostengründen unattraktiv wird, sollten die Preise im Verhältnis nicht zu hoch sein. Dirk Heitpriem, Vizepräsident des Branchenverbands Cannabiswirtschaft (BvCW), schlug als denkbare Option vor, Cannabisprodukte nach dem THC-Gehalt zu besteuern, z.B. EUR 10,00 pro 1 Gramm THC.
Internationales und europäisches Recht muss berücksichtigt werden
Das internationale und europäische Recht macht die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken kompliziert, da Deutschland Vertragspartei des UN-Einheitsübereinkommens über Suchtstoffe (1961) ist. In dem UN-Einheitsübereinkommen verpflichten sich die Mitgliedsstaaten ausdrücklich, u.a. den Anbau und Handel von Cannabis außerhalb medizinischer oder wissenschaftlicher Zwecke zu verbieten. Auch das europäische Recht verweist auf das UN-Einheitsübereinkommen. In der Öffentlichkeit werden derzeit verschiedene Optionen diskutiert, darunter ein (vorübergehender) Austritt aus dem UN-Einheitsübereinkommen, wie etwa Bolivien es gemacht hat. Eine andere Option, die diskutiert wird, ist, dass Deutschland, wie Kanada und Uruguay, eine Verletzung des internationalen Rechts in Betracht zieht und Cannabis zu Genusszwecken trotzdem legalisiert. Andere schlagen vor, dass Deutschland eine Änderung des UN-Einheitsübereinkommens anstreben sollte.
Wie geht es mit der Cannabisgesetzgebung in Deutschland weiter?
Die internationale Anhörung am 30. Juni 2022 hat einmal mehr deutlich gemacht, dass das Gesetzesvorhaben zwar ambitioniert ist, aber mit Blick auf den politischen Willen der Koalitionspartner kein unerreichbares Ziel mehr darstellt. Es gilt jedoch nunmehr im Gesetzgebungsverfahren Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. Klar dürfte derzeit wohl nur sein, dass jedenfalls die gesamte Lieferkette vom Anbau bis zum lizenzierten Geschäft unter staatlicher Kontrolle stehen soll. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, fasste die Erkenntnisse aus der Expertenanhörung u.a. dahingehend zusammen, dass es sich um einen Lernprozess handeln werde, da die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen gesetzlichen Regelungen noch nicht absehbar seien.
Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach kündigte für den Herbst 2022 ein Eckpunktepapier an, dem im Dezember ein Entwurf für ein Cannabisgesetz folgen soll. Der Gesetzesentwurf müsste dann zwischen mehreren Ministerien (Bundesgesundheits-, Landwirtschafts-, Justiz-, Wirtschafts- und Finanzministerium) abgestimmt werden. Die parlamentarischen Beratungen sollen offenbar im nächsten Jahr beginnen. Nachfolgend müsste auch der Bundesrat dem Entwurf zustimmen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Entwurf vor Ende 2023 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird. Vielmehr zeichnet sich ab, dass Cannabis zu Genusszwecken frühestens im Jahr 2024 legal auf dem deutschen Markt erhältlich sein wird.
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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.