3. Juni 2022
Hersteller-Garantie Informationspflicht
Wettbewerbsrecht (UWG)

Gelockerte Informationspflicht über Hersteller-Garantien

Der EuGH hat entschieden: Online-Händler müssen immer dann über eine Garantie des Herstellers informieren, wenn der Verbraucher ein berechtigtes Interesse daran hat.

Der EuGH hatte sich u.a. mit der Frage zu befassen, ob schon das bloße Bestehen einer Hersteller-Garantie die Informationspflicht eines Händlers* über diese Garantie nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. m RL 2011/83/EU auslöst oder ob der Unternehmer nur unter bestimmten Umständen verpflichtet ist, den Verbraucher über das Bestehen und die Bedingungen einer solchen Garantie zu informieren (Urteil v. 5. Mai 2022 – C‑179/21). Diese Frage war in der Rechtsprechung bisher umstritten. 

Online-Händler hatte nicht ausdrücklich über Herstellergarantie informiert

Ein Online-Händler hatte auf einem Online-Marktplatz (im konkreten Fall Amazon) ein Taschenmesser eines Schweizer Herstellers angeboten. Die auf dem Online-Marktplatz geschaltete Angebotsseite enthielt keine Angaben zu einer von dem Online-Händler oder einem Dritten gewährten Garantie für das angebotene Taschenmesser.

Allerdings hatte der Online-Händler auf der Angebotsseite unter der Rubrik „Weitere technische Informationen“ einen Link eingebettet, über den die Nutzer auf ein vom Hersteller formuliertes Informationsblatt mit der Bezeichnung „Betriebsanleitung“ zugreifen konnten. Dieses Informationsblatt enthielt auf Seite 2 den folgenden Hinweis:

Die Victorinox-Garantie erstreckt sich zeitlich unbeschränkt, auf jeden Material- und Fabrikationsfehler (für Elektronik 2 Jahre). Schäden, die durch normalen Verschleiß oder durch unsachgemäßen Gebrauch entstehen, sind durch die Garantie nicht gedeckt.

Ein Mitbewerber des Online-Händlers war der Auffassung, dass dieser keine ausreichenden Angaben zu dieser vom Hersteller gewährten Garantie gemacht habe. Er hat den Online-Händler daher auf Unterlassung in Anspruch genommen. Nachdem der Mitbewerber im ersten Rechtszug unterlegen war, wurde seiner Klage in der Berufungsinstanz vom OLG Hamm (Urteil v. 26. November 2019 – I-4 U 22/19) stattgegeben. Der Online-Händler legte gegen dieses Urteil Revision beim BGH ein. Der BGH legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. 

Maßgeblich für die Informationspflicht ist ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers

Der EuGH (Urteil v. 5. Mai 2022 – C‑179/21) hat entschieden, dass ein Unternehmer dem Verbraucher nicht schon aufgrund des bloßen Bestehens einer Hersteller-Garantie vorvertragliche Informationen über diese Garantie zur Verfügung stellen muss. Vielmehr bestehe diese in Art. 6 Abs. 1 Buchst. m RL 2011/83/EU genannte vorvertragliche Informationspflicht nur dann, wenn der Verbraucher ein berechtigtes Interesse am Erhalt der Informationen über die Hersteller-Garantie hat, um die Entscheidung zu treffen, ob er sich vertraglich an den Unternehmer binden möchte. Bei Auslegung der Vorschriften der maßgeblichen Verbraucherrechte-Richtlinie (RL 2011/83/EU) sei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sicherzustellen. 

Hersteller-Garantie muss ein zentrales oder entscheidendes Merkmal des Angebots sein

Ein berechtigtes Interesse am Erhalt der Informationen über die Garantie des Herstellers liegt nach den Ausführungen des EuGH dann vor, wenn der Unternehmer diese Garantie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht. Bei der Beurteilung, ob die Hersteller-Garantie ein zentrales oder entscheidendes Merkmal des Angebots ist, sind

  • der Inhalt bzw. die allgemeine Gestaltung des Angebots der betroffenen Ware,
  • die Bedeutung der Erwähnung der gewerblichen Garantie des Herstellers als Verkaufs- oder Werbeargument,
  • die Positionierung der Erwähnung der Garantie im Angebot,
  • die mögliche Hervorrufung der Gefahr eines Irrtums oder einer Verwechslung hinsichtlich der unterschiedlichen Garantierechte, die der Verbraucher geltend machen kann, 
  • die mögliche Hervorrufung der Gefahr eines Irrtums oder einer Verwechslung hinsichtlich der tatsächlichen Identität des Garantiegebers sowie 
  • das Vorliegen von Erläuterungen zu den weiteren mit der Ware verbundenen Garantien im Angebot und jeder weitere Gesichtspunkt, der ein objektives Schutzbedürfnis des Verbrauchers begründen kann,

zu berücksichtigen. 

Hersteller-Garantie ist im Ausgangsfall kein zentrales oder entscheidendes Merkmal des Angebots des Unternehmers 

Der EuGH verdeutlichte bezüglich des oben dargestellten Ausgangsfalls, dass die Garantie des Herstellers (Victorinox-Garantie) dort kein zentrales oder entscheidendes Merkmal des Angebots des Online-Händlers ist. Dies folge daraus, dass die gewerbliche Garantie nicht im eigentlichen Text des Angebots erwähnt war und damit vom Online-Händler auch nicht in nennenswertem Umfang als Verkaufs- oder Werbeargument genutzt wurde. Vielmehr wurde die Garantie in dem Angebot nur beiläufig erwähnt. 

Dadurch, dass an keiner Stelle des Angebots des Online-Händlers eine andere Garantie erwähnt wurde, die mit der Garantie des Herstellers hätte konkurrieren können, habe auch nicht die Gefahr bestanden, dass beim Verbraucher ein Irrtum oder eine Verwechslung hinsichtlich der Art der Garantie und der tatsächlichen Identität des Garantiegebers hätte hervorgerufen werden können.

Fazit: Lockerung der Informationspflicht für Online-Händler

Online-Händler können die praxisgerechte Entscheidung des EuGH mit gewisser 
Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Denn diese sind nicht mehr angehalten, umfassende Recherchen über bestehende Hersteller-Garantien anzustellen, um ihre Kunden sodann darüber zu informieren. Die Abmahngefahr besteht daher nicht mehr in dem Maße wie noch unter Geltung der nunmehr überholten Rechtsprechung des OLG Hamm (Urteil v. 26. November 2019 – I-4 U 22/19) und des LG Bochum (Urteil v. 27. November 2019 – I-15 O 122/19).

Ausgeschlossen ist eine Abmahnung aber nicht. Daher sollten Online-Händler ihre Kunden jedenfalls dann über bestehende Hersteller-Garantien informieren, wenn sie ein Angebot damit bewerben. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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