Am 28. Mai 2022 war es soweit: Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht trat in Kraft. Wir beschäftigen uns mit den wichtigsten Neuerungen im Wettbewerbsrecht.
Die EU-Kommission hat das Recht der Verbraucher:innen der Europäischen Union auf Aktualität und Vollständigkeit geprüft. Der festgestellte Ausbaubedarf hat zum Erlass der sog. Omnibus-Richtlinie (Richtlinie [EU] 2019/21261) geführt, die Teil der EU-Verbraucherschutzinitiative „New Deal for Consumers“ ist. Der Umsetzung der Omnibus-Richtlinie, die ihrerseits insbesondere die sog. UGP-Richtlinie (Richtlinie 2005/29/EG) ändert, dient das Gesetz der Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht, was dementsprechend eine Reihe grundlegender und zum Teil auch sehr praxisrelevanter Neuerungen zur Stärkung der Verbraucherrechte mit sich bringt.
Die wichtigsten lauterkeitsrechtlichen Änderungen, wie neue Hinweis- und Informationspflichten, das Verbot der Vermarktung wesentlich unterschiedlicher Waren als identisch, Ergänzungen des Anhangs zu § 3 Abs. 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), der Individualschadensersatz für Verbraucher:innen und ein neuer Bußgeldtatbestand sollen hier kurz vorgestellt werden.
Neue Hinweis- und Informationspflichten in § 5b UWG
Nachdem der nationale Gesetzgeber die Rechtsverfolgung von Verstößen gegen bestimmte Informationspflichten zuletzt noch erschwert hat, indem Mitbewerber:innen bei Verstößen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien und gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten keinen Ersatz ihrer Abmahnkosten mehr verlangen können, sieht § 5b UWG in Umsetzung von Art. 7 UGP-Richtlinie seit dem 28. Mai 2022 weitere Informationspflichten vor, die insbesondere für Betreiber:innen von Online-Marktplätzen relevant sind.
Pflicht für Betreiber:innen von Online-Marktplätzen zur Information über Unternehmereigenschaft
Betreiber:innen von Online-Marktplätzen sind nach § 5b Abs. 1 Nr. 6 UWG n.F. dazu verpflichtet, über die Unternehmereigenschaft von Anbieter:innen zu informieren, wobei insofern keine anlassunabhängige Pflicht zur Nachprüfung der (Selbst-)Einstufung der Anbieter:innen besteht.
Durch die Information über die Unternehmereigenschaft von Anbieter:innen sollen Verbraucher:innen dazu befähigt werden, die Entscheidung für oder gegen einen Geschäftsabschluss an dem Umstand auszurichten, ob ihnen aufgrund der Unternehmereigenschaft ihrer Vertragspartner:innen verbraucherschutzrechtliche Ansprüche zustehen.
Informationspflichten bei Online-Suchfunktion mit Rankings
§ 5b Abs. 2 S. 1 UWG n.F. sieht zudem vor, dass Plattformen, die Verbraucher:innen Online-Suchanfragen nach Waren und Dienstleistungen verschiedener Anbieter:innen ermöglichen, über die wesentlichen Parameter für die Festlegung des Rankings der den Verbraucher:innen als Ergebnis der Suchanfrage präsentierten Waren oder Dienstleistungen und über die Gewichtung dieser Parameter untereinander informieren müssen.
Unternehmer:innen sind jedoch nicht zu einer detaillierten Offenlegung der Funktionsweise ihrer Ranking-Systeme, einschließlich ihrer Algorithmen, verpflichtet. Da der Anwendungsbereich des § 5b Abs. 2 S. 1 UWG n.F. nicht voraussetzt, dass der Abschluss des Rechtsgeschäfts online erfolgt, werden auch Vermittlerdienste wie Vergleichsplattformen hiervon erfasst.
Die neue Transparenzpflicht erstreckt sich allerdings weder auf Online-Shops, die nur ihre eigenen Produkte im Rahmen eines Rankings anbieten, noch auf allgemeine Suchmaschinen. Neu eingeführt wurde in diesem Zusammenhang auch Nr. 11a des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG. Hiernach dürfen Rankings in Suchergebnissen nicht durch versteckte Werbung oder versteckte Zahlungen beeinflusst werden.
Informationspflichten bei Kund:innenbewertungen
Da Verbraucher:innen ihre Kaufentscheidungen bei Online-Käufen zunehmend an den veröffentlichten Bewertungen anderer Verbraucher:innen ausrichten, sieht § 5b Abs. 3 UWG n.F. außerdem vor, dass Unternehmer:innen darüber informieren müssen, ob und wie sie sicherstellen, dass von ihnen veröffentlichte Verbraucher:innenbewertungen tatsächlich von Verbraucher:innen stammen. Damit wird keine generelle Überprüfungspflicht der Bewertungen normiert, sondern eine Informationspflicht, deren Inhalt grds. auch lauten kann, dass eben keine Überprüfung erfolgt. Wird nur mit einem Link auf Bewertungen verwiesen, die sich auf anderen Internetseiten finden, gilt die Informationspflicht allerdings nicht. Flankiert wird § 5b Abs. 3 UWG zudem von zwei weiteren Per-se-Verboten zu Bewertungen von Verbraucher:innen. Nach Nr. 23b des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG n.F. dürfen Unternehmer:innen nicht behaupten, dass Bewertungen von Verbraucher:innen stammen, wenn die Unternehmer:innen keine angemessenen und verhältnismäßigen Schritte unternommen haben, um zu überprüfen, dass veröffentlichte Bewertungen tatsächlich von Verbraucher:innen stammen. Außerdem dürfen Unternehmer:innen auch weder gefälschte Bewertungen von Verbraucher:innen abgeben noch andere hiermit beauftragen, Nr. 23c des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG n.F.
Klarstellung der Kennzeichnungspflichten bei Werbung (durch Influencer:innen)
Ebenfalls praxisrelevant ist – insbesondere im Bereich der Influencer:innen-Werbung – § 5a Abs. 4 S. 2 UWG n.F. Denn danach liegt ein versteckter kommerzieller Zweck einer geschäftlichen Handlung dann nicht vor, wenn der/die Handelnde, der/die zugunsten eines anderen Unternehmens tätig wird, für seine Handlungen weder ein Entgelt noch eine ähnliche Gegenleistung wie – bspw. – Testprodukte erhält. Da die Gegenleistung allerdings ein Faktor ist, der regelmäßig nur im Innenverhältnis zwischen Handelndem/Handelnder und Drittunternehmen bekannt ist, obliegt dem/der Handelnden die Glaubhaftmachung, dass keine solche Leistung erbracht wurde; andernfalls wird das Vorliegen einer Gegenleistung vermutet.
§ 5a Abs. 4 S. 2 UWG n.F. geht nicht auf europarechtliche Vorgaben zurück, sondern ist vielmehr der Eigeninitiative des deutschen Gesetzgebers geschuldet, der vor dem Hintergrund der divergierenden Rechtsprechung zum sog. „Influencer-Marketing“ Klarstellungsbedarf gesehen hat. Unter welchen Voraussetzungen eigennützige geschäftliche Handlungen Kennzeichnungspflichten auslösen, bleibt indes weiterhin offen. Derartige eigennützige geschäftliche Handlungen können angenommen werden, wenn Influencer:innen ihr eigenes Image vermarkten, um über eine größere Reichweite eine gesteigerte Attraktivität für Kooperationspartner:innen zu erzielen. Bereits der Aufbau und die Pflege eines eigenen Profils in einem sozialen Netzwerk können daher durch die damit verbundene Pflege des eigenen Rufs und die Stärkung der eigenen Person als Werbeträger eine eigennützige geschäftliche Handlung darstellen.
Verbot der Vermarktung wesentlich unterschiedlicher Waren als identisch, sog. „Dual Quality“
Auch bei einer „Dual Quality“-Vermarktung von Waren kann Handlungsbedarf bestehen. Denn der eigenständige Irreführungstatbestand des § 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG n.F. normiert ein Verbot der Vermarktung von sich wesentlich unterscheidenden Waren im Binnenmarkt der EU als identisch. Im Zuge der öffentlichen Diskussion über diese Regelung diente häufig die (vermeintlich) unterschiedliche Rezeptur von Nutella als Beispiel.
Eine unlautere „Dual Quality“-Vermarktung lässt sich auch grds. nicht ausräumen, indem eine Aufklärung über Unterschiede der vermarkteten Waren lediglich in der Zutatenliste oder der Nährwertdeklaration auf der Rückseite einer Verpackung erfolgt. Wird darüber hinaus jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Produkt Unterschiede zu Produkten aufweist, die unter gleicher Marke und Aufmachung in anderen Ländern vermarktet werden, kann eine Irreführung vermieden werden. Wie deutlich ein solcher Hinweis ausfällt, wird vom Einzelfall abhängen. So wird wohl auch der Rechtsprechung die Aufgabe zukommen zu klären, ob lediglich über die Tatsache der Unterschiedlichkeit informiert werden muss oder ob darüber hinaus auch eine inhaltliche Aufklärung erforderlich ist, in welchen Eigenschaften der Unterschied begründet liegt.
An einer Unlauterkeit der „Dual Quality“-Vermarktung fehlt es zudem auch dann, wenn objektive und legitime Faktoren vorliegen, die die Abweichungen rechtfertigen. Zu solchen Faktoren zählen den Erwägungen der Omnibus-Richtlinie folgend etwa gesetzliche Vorgaben, die Saisonabhängigkeit von Rohstoffen oder freiwillige Strategien zur Verbesserung des Zugangs zu gesunden und nährstoffreichen Lebensmitteln.
Ob auch je nach Mitgliedsstaat auseinanderfallende Präferenzen der Verbraucher:innen eine Rechtfertigung darstellen können (so der deutsche Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung), bleibt indes abzuwarten.
Individueller Schadensersatzanspruch für Verbraucher:innen
Um etwaige Rechtsschutzlücken zu schließen, hat mit § 9 Abs. 2 UWG n.F. zudem ein Schadensersatzanspruch für Verbraucher:innen Einzug ins Lauterkeitsrecht gefunden. Mit diesem lauterkeitsrechtlichen Novum soll die Schutzzwecktrias des § 1 UWG verwirklicht werden, indem die Möglichkeit zum Ausgleich erlittener individueller Nachteile bei einzelnen Verbraucher:innen durch unlautere geschäftliche Handlungen gewährleistet wird.
Keinen Schadensersatz können Verbraucher:innen nach § 9 Abs. 2 S. 2 UWG allerdings bei einem Rechtsbruch nach § 3a UWG oder bei Verstößen gegen § 4 UWG (Mitbewerberschutz), § 6 UWG (vergleichende Werbung) und Nr. 32 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (Aufforderung zur Zahlung bei unerbetenen Besuchen in der Wohnung der Verbraucher:innen am Tag des Vertragsschlusses) verlangen.
Ordnungswidrigkeit bei weitverbreiteten Verstößen (mit Unions-Dimension)
Neben dem neuen Individualschadensersatz gilt es seit 28. Mai 2022 auch die neue Bußgeldvorschrift des § 19 UWG im Blick zu behalten. Nach § 19 Abs. 2 UWG drohen bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung der Interessen von Verbraucher:innen entgegen § 5c Abs. 2 UWG nämlich Geldbußen i.H.v. bis zu EUR 50.000 bzw. von bis zu 4 % des Jahresumsatzes ab einem Jahresumsatz von EUR 1,25 Mio. in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr. Damit eröffnet der Gesetzgeber für Verletzungen des UWG eine Bußgelddimension, die bislang dem Kartell- und Datenschutzrecht vorbehalten war.
Bußgelder kommen aber nicht bei jedem Verstoß in Betracht. Erforderlich ist vielmehr stets, dass ein weitverbreiteter Verstoß bzw. ein weitverbreiteter Verstoß mit Unionsbezug gem. der Verordnung (EU) 2017/2394 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Schutzgesetze für Verbraucher:innen zuständigen nationalen Behörden vorliegt. Ein weitverbreiteter Verstoß liegt hierbei vor, wenn die Kollektivinteressen von Verbraucher:innen betroffen sind und die betroffenen Verbraucher:innen in mindestens zwei anderen Mitgliedsstaaten als demjenigen, in dem das verletzende Unternehmen niedergelassen ist, bzw. als demjenigen, in dem die Kollektivinteressen der Verbraucher:innen beeinträchtigt wurden, ansässig sind.
Eine Ahndung kommt außerdem nur im Rahmen einer koordinierten Durchsetzungsmaßnahme nach Art. 21 der Verordnung (EG) 2006/2004, der sog. „CPC-Verordnung“, in Frage. Verfahren dieser Art sind dem deutschen Lauterkeitsrecht, das primär von der zivilrechtlichen Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen geprägt ist, bislang eher fremd; die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob das Bundesamt für Justiz bzw. die BaFin hier aktiv werden.
Wettbewerbsrecht um neue Dimensionen ergänzt
Mit Inkrafttreten des neuen UWG gehen dementsprechend einige sehr praxisrelevante Neuerungen einher, die nicht nur Details zu unlauterem Verhalten regeln, sondern wie der Individualschadensersatzanspruch für Verbraucher:innen oder die neue Bußgeldvorschrift des § 19 UWG auch auf der Rechtsfolgenseite erhebliche Änderungen mit sich bringen und das Wettbewerbsrecht um weitere Dimensionen ergänzen.
Mehr zu neuen Pflichten für Plattformen finden Sie auf unserer Insight-Seite „Digital Regulation“. In unserer Blogserie „Verbraucherverträge im Digitalzeitalter“ erhalten Sie außerdem Informationen über die Maßnahmenpakete der EU, die das europäische Verbraucherschutzrecht fit für das Digitalzeitalter machen sollen.