29. November 2023
Greenwashing Werbung
Environment and Climate Change (ESG)

Nachhaltigkeits-Ansprüche in der Werbung: Von Klima- bis Umweltneutralität

„Klimaneutral“, „umweltneutral“ & Co. – Welche Angaben zu Umwelteigenschaften von Produkten sind zulässig? Ein Überblick über den Stand der Rechtsprechung.

In den vergangenen Jahren konnte – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft – eine starke Interessens- und Prioritätenverschiebung hin zu Themen rund um Nachhaltigkeit und den Klimawandel beobachtet werden. Insbesondere der Begriff „Klimaneutralität“ ist hierbei in den Fokus gerückt. Mittlerweile findet er sich sowohl in politischen oder wissenschaftlichen Veröffentlichungen als auch gleichermaßen im wirtschaftlichen Diskurs an prominenter Stelle wieder. Auf Unternehmensseite spiegelt sich dies in einer verstärkten Kennzeichnung von Produkten (und Verpackungen) als „klimaneutral“ oder „umweltneutral“ wider. Doch welche Bedeutung misst der relevante Verkehrskreis diesen Begriffen zu? Und worauf ist bei der Werbung mit solchen Claims zu achten? Auf diese Fragen wird der folgende Beitrag Antworten liefern und hierbei insbesondere die aktuelle deutsche Rechtsprechung in den Blick nehmen. 

Dabei wird im Rahmen dieses Beitrages – im Einklang mit der neuesten Rechtsprechung – „Klimaneutralität“ als Synonym für – auch durch Kompensationsmaßnahmen erreichbare – „Treibhausgasneutralität“ als Ergebnis eines Bilanzierungsverfahrens verstanden. Eine umfassende Beleuchtung der diffizilen Einordnung des Begriffs „klimaneutral“ finden Sie in unserem Beitrag Klimaneutral – oder doch nicht?

Das Risiko des Greenwashings liegt im Wettbewerbsrecht

Die Dringlichkeit des Klimawandels ist mittlerweile vielen Verbraucher:innen bewusst geworden. Daher ist eine allgemeine Bereitschaft zur Umstellung hin zu einem klimaneutralen Konsum erkennbar. In diesem Kontext kann die Verwendung von Begriffen wie „klimaneutral“ oder „umweltneutral“ in der Werbung durchaus hilfreich sein, da sie die Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten und Dienstleistungen fördert.

Dabei gilt es für Unternehmen, eine Irreführung der Verbraucher:innen zu vermeiden. Dies folgt bereits aus den – unter anderem die Zulässigkeit von Werbeaussagen regelnden – Normen des harmonisierten Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). So statuiert das UWG ein allgemeines Verbot irreführender Werbung (§ 5 Abs. 1 UWG) sowie des Vorenthaltens wesentlicher Informationen (§ 5a Abs. 1 UWG). Das heißt, Unternehmen müssen gewährleisten, dass ihre Werbeaussagen klar und zutreffend sind sowie dass den Verbraucher:innen ausreichend Informationen zur Verfügung gestellt werden. 

Die Verwendung der Claims „klimaneutral“ oder „umweltneutral“ führt zu Unsicherheiten – nicht nur aufgrund der allgemeinen und abstrakten Formulierung der geltenden gesetzlichen Vorschriften, sondern insbesondere auch aufgrund der Unklarheit der Begriffe per se. Diese Unsicherheiten schaffen ein Potenzial für Missbrauch, das im Volksmund auch als „Greenwashing“ bekannt ist. Ein solches „Greenwashing“ kann bereits dann vorliegen, wenn der Eindruck einer weitreichenden Emissionsvermeidung erweckt wird, obwohl die tatsächlich bestehende Klimaneutralität vornehmlich auf Kompensations- statt Vermeidungsmaßnahmen fußt (LG Konstanz, Urteil v. 19. November 2021 – 7 O 6/21 KfH). Dem Vorwurf des „Greenwashings“ ausgesetzt zu sein, kann für das werbende Unternehmen äußerst rufschädigend sein. Dies unterstreicht die Relevanz des Einhaltens der Vorgaben für derartige Claims.

Da die Verwendung von Nachhaltigkeitsclaims verstärkt in den Fokus der Verbraucherschutz- und Wettbewerbshüter:innen gerückt ist, haben sich die deutschen Gerichte in der Vergangenheit vermehrt mit deren Prüfung und Bewertung befasst und in diesem Zusammenhang einige Maßstäbe entwickelt, die jedoch kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Ein Blick auf die bisherige deutsche Rechtsprechung 

Obwohl das erste Verfahren bezüglich der Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ mittlerweile vor dem Bundesgerichtshof (BGH) anhängig ist, sind es bislang hauptsächlich die Instanzgerichte, die die rechtlichen Rahmenbedingungen setzen.

Auffällig ist, dass bei den Instanzgerichten eine Weiterentwicklung bezüglich des Verbraucher:innenverständnisses zu beobachten ist, wobei sie zunehmend einen großzügigeren Bewertungsansatz anwenden. Dennoch setzen die Instanzgerichte gleichzeitig, insbesondere in Bezug auf mögliche Informationspflichten, strenge Maßstäbe für die Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ oder ähnlicher Werbeversprechen. 

Weiterentwicklung des Verständnisses von Umweltaussagen

Hinsichtlich des Verbraucher:innenverständnisses unterstellten die Gerichte ursprünglich, Verbraucher:innen verstünden den Begriff „klimaneutral“ als gleichbedeutend mit dem Begriff „emissionsfrei“ (so etwa noch LG Mönchengladbach, Urteil v. 25. Februar 2022 – 8 O 17/21 – Klimaneutrale Marmelade; LG Oldenburg, Urteil v. 16. Dezember 2021 – 15 O 1469/21 – Klimaneutrale Fleischprodukte; LG Frankfurt a. M., Urteil v. 31. Mai 2016 – 3-06 O 40/15 – „100% KLIMA neutral“; LG Düsseldorf, Urteil v. 19. Juli 2013 – 38 O 123/12 U – klimaneutrale Kerzen). Dieses mittlerweile überholte Verständnis schloss das Erreichen einer „Klimaneutralität“ alleinig durch Kompensationsmaßnahmen aus. Inzwischen wird von den Gerichten unterstellt, dass nicht nur Fachleuten, sondern auch Endverbraucher:innen bewusst sei, dass „Klimaneutralität“ (auch) durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne und sich in dieser Hinsicht von dem Begriff „Emissionsfreiheit“ unterscheide (so etwa OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 10. November 2022 – 6 U 104/22 – Verwendung eines Gütesiegels „Klimaneutral“; LG Kleve, Urteil v. 22. Juni 2022 – 8 O 44/21 – Klimaneutrale Fruchtgummis; OLG Schleswig, Urteil v. 30. Juni 2022 – 6 U 46/21 – Klimaneutrale Müllbeutel II). 

Das allgemeine Verbraucher:innenverständnis habe sich zwischenzeitlich dahingehend weiterentwickelt, dass eine von vorneherein „emissionsfreie“ Produktion bei den meisten Produkten schlichtweg nicht denkbar sei (OLG Schleswig, Urteil v. 30. Juni 2022 – 6 U 46/21 – Klimaneutrale Müllbeutel II). Dementsprechend sei Verbraucher:innen bewusst, dass eine Kompensation von (Brutto-)Emissionen zur Erreichung einer „Klimaneutralität“ erforderlich sei. Ein solches Bewusstsein könne grundsätzlich selbst dann vorausgesetzt werden, wenn diesbezüglich keine weitergehenden Hinweise vorhanden seien. Hierin läge ein entscheidender Unterschied zu unbestimmten Begriffen wie „umweltfreundlich“, „umweltverträglich“, „umweltschonend“ oder „bio“. 

In eine andere, restriktivere Richtung argumentierte dagegen das LG Stuttgart. So wurde argumentiert, dass Verbraucher:innen den Begriff „klimaneutral“ mit einer „gestuften“ Form des Klimaschutzes in Verbindung bringen würden. Demnach erwarteten sie, wenn dieser Begriff verwendet wird, dass das werbende Unternehmen in einem ersten Schritt zunächst alle erforderlichen Maßnahmen ergreife, um die Entstehung von Emissionen von vornherein zu verhindern, und sich sodann lediglich auf die Kompensation von unvermeidbaren Restemissionen beschränke (LG Stuttgart, Urteil v. 30. Dezember 2022 – 53 O 169/22 – Klimaneutraler Essigreiniger). 

Neueste Entwicklungen in der Rechtsprechung zu den Begriffen „klimaneutral“ und „umweltneutral“ 

Das OLG Düsseldorf hatte gleich in zwei Fällen zu dem Begriff „klimaneutral“ zu entscheiden (Urteile vom 6. Juli 2023 – I-20 U 72/22 und I-20 U 152/22), zum einen betreffend die Werbung einer Konfitürenherstellerin (Vorinstanz LG Mönchengladbach, Urteil v. 25. Februar 2022 – 8 O 17/21 – Klimaneutrale Marmelade), zum anderen die einer Fruchtgummiherstellerin (Vorinstanz LG Kleve, Urteil v. 22. Juni 2022 – 8 O 44/21 – klimaneutrale Fruchtgummis). In dem Verfahren betreffend die Fruchtgummiherstellerin ist zwischenzeitlich die o.g. Revision beim BGH anhängig (Az. I ZR 98/23). Kernaussage der Entscheidungen ist, dass die Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ als solche nicht zwangsläufig eine irreführende unlautere Handlung darstelle, da das Verbraucher:innenverständnis (mittlerweile) von einem Zusammenspiel emissionsmindernder und -kompensierender Maßnahmen ausgehe. Dies gelte erst recht, wenn die Werbung einen Verweis auf einen „Klima-Partner“ enthalte, da dies einen Hinweis auf die Vornahme von Kompensationsmaßnahmen gebe.

Allerdings schließe die Verwendung des Claims „klimaneutral“ gleichwohl eine Informationspflichtverletzung (§ 5a UWG) nicht aus. Denn dem/der Werbenden oblägen bestimmte Informationspflichten hinsichtlich der Erreichung der Klimaneutralität. Die Art und Weise der Erreichung der Klimaneutralität stelle eine wesentliche Information für Verbraucher:innen dar, die benötigt werde, um eine informierte Kaufentscheidung treffen zu können. Im Fall der Konfitürenherstellerin fehlte der Hinweis auf zusätzliche Informationen zur Erreichung der Klimaneutralität, sodass das Gericht die Informationspflichten als verletzt ansah. Im Verfahren bzgl. des Fruchtgummiherstellers wurde dagegen ein QR-Code/Link zu einer Website mit weiteren Informationen als ausreichend erachtet. Hiergegen wendet sich die Revision der Wettbewerbszentrale, die der Auffassung ist, dass grundlegende Informationen zur Erreichung der Klimaneutralität bereits in der Werbung selbst – zumindest in stichwortartiger Form – mitgeteilt werden müssten. Die Entscheidung des BGH steht noch aus.

Gerichte sehen Kompensationsprojekte zum Teil kritisch 

Spielte die Geeignetheit von Kompensationsmaßnahmen in den bisherigen Entscheidungen zu Nachhaltigkeitsaussagen eher keine Rolle, haben sich dazu in jüngster Vergangenheit das LG Karlsruhe (Urteil v. 26. Juli 2023 – 13 O 46/22 KfH – Umweltneutrales Produkt) und das LG Berlin (Urteil v. 19. September 2023 – 102 O 15/23) verhalten. Gegenstand der Verfahren war jeweils eine Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ in Verbindung mit Hinweisen zu den gewählten Kompensationsprojekten – in concreto Waldschutzprojekte in Peru (LG Karlsruhe) und in Kenia (LG Berlin). Beide Gerichte kamen, wenn auch mit unterschiedlicher „Deutlichkeit“, zu dem Schluss, dass Klimaneutralität durch die Kompensation mithilfe von Waldschutzprojekten aus grundsätzlichen Überlegungen (so das LG Karlsruhe) nicht erreicht werden könne, da dadurch die treibhausgasbezogenen Emissionen, die durch das Produkt verursacht werden, nicht dauerhaft und ausgleichend kompensiert werden könnten. Entsprechende Produktwerbung sei damit irreführend gemäß § 5 UWG. Das LG Berlin führte darüber hinaus zu verschärften Informationspflichten bei einer Verwendung von klimabezogenen Claims aus einem komplexen Wirkungsgefüge aus. 

Die vorstehenden Maßstäbe finden grundsätzlich bei alternativen Nachhaltigkeitsaussagen wie bspw. „Umweltneutralität“ entsprechende Anwendung. Nach Ansicht des LG Karlsruhe verstünden die Verbraucher:innen die Aussage „umweltneutral“ in Anlehnung an „klimaneutral“ im Sinne einer „ausgeglichenen Umweltbilanz“. „Unter dem Strich“ dürften insbesondere nach Durchführung von Kompensationsmaßnahmen keine negativen Umwelteinwirkungen verbleiben. Folglich sei ein solcher Claim dann irreführend, wenn sich die Kompensationsmaßnahmen auf nur einen (wenn auch gewichtigen) Teil der Wirkkategorien beschränken würden und eine vollumfassende „Neutralität“ gerade nicht erreicht werde. Gegen dieses Urteil hat die unterlegene Partei Berufung eingelegt, sodass mit einer weiteren OLG-Entscheidung zum Thema „Klima-“ bzw. „Umweltneutralität“ zu rechnen ist. 

Vorbereitungsmaßnahmen und Risikomanagement unabdingbar – insbesondere vor dem Hintergrund der geplanten EU-Regulierung zu „Greenwashing“

Unternehmen sollten ihre Produkte und Dienstleistungen nur dann mit dem Attribut „klimaneutral“ (oder vergleichbaren Aussagen) bewerben, wenn und soweit diese Aussage zutreffend und nachweisbar ist sowie durch umfassende Belege gestützt werden kann. Irreführende oder falsche Werbung kann nicht nur rechtliche Konsequenzen (wie Rückrufe oder Schadensersatzforderungen von Vertragspartner:innen) nach sich ziehen, sondern auch das Vertrauen der Verbraucher:innen in das Unternehmen und seine Angebote beeinträchtigen. Aus diesem Grund ist es von größter Bedeutung, dass Unternehmen sicherstellen, dass sie ihre Emissionsbilanzen akkurat und transparent ermitteln und entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung und/oder Kompensation ihrer Emissionen ergreifen, bevor sie ihre Produkte oder Dienstleistungen als „klimaneutral“ oder mit ähnlichen Claims bewerben. 

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf europäischer Ebene im Rahmen des sog. Green Deals, der unter anderem Maßnahmen vorsieht, um gegen Greenwashing vorzugehen und damit die Verbraucher:innen sowie die Umwelt zu schützen. In diesem Zusammenhang sind vornehmlich die neue Green Claims Directive („GCD“) und die Anpassungen der UGP- und Verbraucherrechte-Richtlinie zu nennen. 

Sollten die GCD und die vorgeschlagenen Änderungen der UGP-Richtlinie (2005/29/EG) (möglicherweise bereits im Jahr 2024) verabschiedet werden, wird dies über die bisherigen, bereits recht strengen Voraussetzungen für die lautere Werbung mit Nachhaltigkeitsaussagen hinaus weitere Verschärfungen für die Werbenden mit sich bringen. Die Änderungen der UGP-Richtline sollen unter anderem eine Erweiterung der Liste der absoluten Verbotstatbestände in Bezug auf irreführende Umweltaussagen mit sich bringen.

Der aktuelle Entwurf der GCD sieht mitunter ein System einer Vorabprüfung (sog. Konformitätsprüfung) aller ausdrücklichen umweltbezogenen Aussagen (sog. „ex ante-Verifizierung“) vor sowie umfangreiche Informationspflichten im Zusammenhang mit der sich an die Konformitätsprüfung anschließenden Verwendung der Umweltaussagen im geschäftlichen Verkehr. Eigenständig kreierte Umweltlabel sollen zukünftig verboten werden und es soll ein Katalog von zulässigen Labeln erschaffen werden. Nähere Informationen zu den Inhalten der GCD sowie zu der Durchsetzung der Richtlinie und den geplanten Rechtsfolgen können Sie den vorausgegangenen Beiträgen dieser Blog-Serie Green Claims-Richtlinie – Teil I: Neue Hürden für Umweltwerbung und Green Claims-Richtlinie – Teil II: Ein Blick auf die Vorgaben für Labels, die Durchsetzung der Richtlinie und die geplanten Rechtsfolgen entnehmen.

Tabellarische Übersicht über die deutsche Rechtsprechung zu Aussagen wie „klimaneutral“, „CO2 reduziert und „umweltneutral“

Sie möchten verstehen, wie Gerichte in Deutschland Sustainability Claims beurteilen? Schreiben Sie uns und erhalten Sie exklusiv einen tabellarischen Überblick zur deutschen Rechtsprechung. 

In unserer Blogserie Green Claims & Co. – ein bunter Strauß an Herausforderungen informieren wir Sie über gegenwärtige und künftigen rechtliche Anforderungen an Werbeaussagen, die sich auf ESG-Aktivitäten beziehen. In unserem Blog haben wir zudem bereits einen Blick auf Themen geworfen wie den diffizilen Umgang mit dem Begriff „klimaneutral″ in der Werbungfünf Mythen zum Greenwashing sowie auf Rechtsprechung u.a. zu Werbung für Nachhaltigkeitsfonds„klimaneutralen″ Müllbeuteln und „klimaneutralen″ Fruchtgummis.

Für weitere Informationen zu Umweltaussagen und potenziellen Risiken des Greenwashing sowie neusten Entwicklungen weltweit siehe CMS Green Globe.

Tags: Environment and Climate Change (ESG) Green Claims Greenwashing Nachhaltigkeit Werbung