Die Kennzeichnung der nicht emissionsfreien Produktion von Süßwaren als „klimaneutral“ ist für ein Fachpublikum nicht irreführend.
Das Thema Klimaschutz hat längst alle Lebensbereiche durchdrungen und ist Anlass für politische und gesellschaftliche Diskussionen, Proteste und Gerichtsentscheidungen. Mittlerweile ist es vielen Verbrauchern* wichtig, dass die von ihnen gekauften Produkte möglichst umweltfreundlich sind. Da ziehen Unternehmen natürlich nach: Immer öfter wird damit geworben, dass Produkte unschädlich für Natur und Klima oder jedenfalls „klimaneutral“ seien. Dabei ist häufig überhaupt nicht klar, was genau unter Begriffen wie „klimaneutral“ oder „umweltfreundlich“ zu verstehen ist.
Das LG Kleve hat sich in seinem Beschluss vom 22. Juni 2022 (Az.: 8 O 44/21) mit der Frage beschäftigt, welche Bedeutung die Bezeichnung „klimaneutral“ hat. Insbesondere stand zur Debatte, ob Klimaneutralität vollständige Emissionsfreiheit meint oder ob es ausreicht, wenn die Klimaneutralität durch Kompensationsbemühungen erreicht wird.
Unternehmen kompensierte nicht anderweitig vermeidbare Emissionen
Auslöser des Rechtsstreits war die Abmahnung eines Herstellers von Lakritz und Fruchtgummis durch einen Wettbewerbsverein. Letzterer vertrat die Ansicht, die in dem Fachmagazin „Lebensmittelzeitung“ veröffentlichte Werbung „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ sei irreführend, weil die Produktion weiterhin Emissionen verursache. Nachdem die Abmahnung ohne Erfolg blieb, verklagte der Verein das Unternehmen auf Unterlassung der Werbeaussage.
Die Beklagte gab an, die Rezeptur der Fruchtgummis und Lakritze so verändert zu haben, dass die bei der Produktion ausgestoßenen CO2-Emissionen um knapp 20 % gesenkt werden konnten. Darüber hinaus seien verschiedene Modernisierungsmaßnahmen umgesetzt worden. Die Beklagte räumte jedoch ein, dass die Produktion nicht vollständig emissionsfrei erfolge – das sei aufgrund des Energieeinsatzes sowie der notwendigen Produktionsschritte wie Transport und Verpackung auch überhaupt nicht möglich. Gleichwohl seien alle nicht vermeidbaren Emissionen durch die Förderung von Klimaschutzprojekten kompensiert worden. Dies sei ein übliches Vorgehen, weshalb die angesprochenen Verkehrskreise die Bezeichnung „klimaneutral“ auch i.S.e. bilanziellen Klimaneutralität verstehen würden.
Klimaneutralität darf auch durch Kompensation erreicht werden
Das LG Kleve fokussierte sich in seiner Entscheidung primär darauf, an wen die angegriffene Werbung gerichtet war. Die Lebensmittelzeitung wendet sich nach eigenen Angaben an ein Fachpublikum, weshalb das Gericht Verbraucher von der Zielgruppe der Werbung ausnahm. Zwar könnten auch Verbraucher die Zeitung abonnieren und lesen, die Möglichkeit allein sei aber unerheblich. Maßgeblich sei, dass sich die Zeitung mit ihren Inhalten an Fachleute richte.
Des Weiteren hielt das Gericht fest, dass die Begriffe „klimaneutral“ und „emissionsfrei“ nicht gleichbedeutend seien. Die Aussage, dass die Beklagte klimaneutral produziert, sei aber dennoch nicht unwahr. Denn nach Auffassung des Gerichts setzt Klimaneutralität gerade keine vollständige Emissionsfreiheit voraus, sondern erlaube auch das Erreichen der Neutralität durch Kompensationen. Dem angesprochenen Fachpublikum sei dieser Umstand auch bekannt.
Keine besonderen Aufklärungspflichten erforderlich
Schließlich treffe die Beklagte auch keine Pflicht, die Adressaten der Werbung genauer über den Hintergrund der Behauptung, die Produktion sei klimaneutral, aufzuklären. Wiederum unterschied das Gericht zwischen dem hier relevanten Fachpublikum und den Endverbrauchern. Vom Fachpublikum könne erwartet werden, den in der Werbung abgedruckten Link für weitere Recherchen zu nutzen:
[…] denn für einen sonstigen Markteilnehmer ist es – anders als für einen Verbraucher, der am Warenregal nach Blick auf die Produktverpackung die Kaufentscheidung trifft – üblich und zumutbar, sich über ein Produkt anhand von im Internet verfügbaren Informationen zu informieren.
Dieser Punkt ist für die Beurteilung der Zulässigkeit der Werbung von besonderer Relevanz. Denn in der Vergangenheit haben mehrere Gerichte vergleichbare Werbungen mit dem Begriff „klimaneutral“ als irreführend beurteilt, weil für Verbraucher nicht hinreichend erkennbar war, worauf sich die Behauptung der Klimaneutralität genau bezieht (u.a. LG Frankfurt, Urteil v. 31. Mai 2016 – 3-6 O 40/15; LG Kiel, Urteil v. 2. Juli 2021 – 14 HKO 99/20; LG Konstanz, Urteil v. 19. November 2021 – 7 O 6/21; OLG Hamm, Urteil v. 19. August 2021 – 4 U 57/21). Denn Verbraucher informieren sich vor dem Kauf von Produkten wie Süßwaren primär über die in der Werbung gezeigten oder auf dem Produkt abgedruckten Angaben. Zu erwarten, dass Verbraucher im Supermarkt zunächst einzelne Angaben auf Produkten im Internet recherchieren, erscheint lebensfremd.
Kann „klimaneutral“ nun bedenkenlos in der Werbung verwendet werden?
Während also in der an Fachpublikum gerichteten Werbung der Begriff „klimaneutral“ nicht weiter erläutert werden muss, sollte in der an Verbraucher gerichteten Werbung aktiv über die Hintergründe aufgeklärt werden. Gerichte verlangen etwa Hinweise darauf, auf welchen Produktionsschritt sich die Behauptung der Klimaneutralität bezieht und auf welche Weise Klimaneutralität erreicht wird. Für an Verbraucher gerichtete Werbung ist es auch nicht ausreichend, diese wesentlichen Informationen in Begleitbroschüren oder auf Internetseiten zu verstecken. Weitgehende Einigkeit besteht aber darin, dass Klimaneutralität auch Kompensationsmaßnahmen umfassen darf – hierüber sollten Verbraucher aber ebenfalls aufgeklärt werden.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich das Verständnis der jeweiligen Zielgruppen in Zukunft weiter verändern kann. In den letzten Jahren sind viele Klimaschutzprojekte mit Negativschlagzeilen aufgefallen. Pauschale Kompensationsbehauptungen sind häufig intransparent und sehen sich vermehrt dem Vorwurf des Greenwashings ausgesetzt. Umweltschutzorganisationen kritisieren das lukrative Geschäft mit Baumpflanzaktionen und Experten befürchten, dass Unternehmen Kompensationsmaßnahmen ausnutzen, um tatsächliche Klimaschutzmaßnahmen ignorieren zu können. Es ist also zu erwarten, dass auch Verbraucher noch kritischer auf Buzzwords wie „klimaneutral“ blicken werden und bloße Kompensationsbemühungen ihre Bedeutung als Klimaschutzmaßnahme verlieren.
Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Felix Henkes erstellt.
Für weitere Informationen zu Umweltaussagen und potentiellen Risiken des Greenwashing siehe CMS Green Globe.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.