12. Oktober 2022
Müllbeutel Klimaneutral
Environment and Climate Change (ESG)

„Klimaneutrale“ Müllbeutel doch nicht zu beanstanden

OLG Schleswig hält die Werbeaussage „KLIMA-NEUTRAL“ auf Müllbeuteln nicht für irreführend i.S.d. §§ 5, 5a UWG.

Ob bei Kleidung, Drogerieartikeln oder Lebensmitteln – Verbraucher* achten vermehrt auf Umweltaspekte beim Kauf von Produkten. Deren Hersteller werben daher immer häufiger mit Aussagen wie bspw. „umweltfreundlich“, „klimaneutral“ oder „schadstofffrei“ (sog. „Green Claims“).

Das OLG Schleswig hatte sich mit einem Fall auseinanderzusetzen, in dem ein Anbieter von Müllbeuteln diese auf ihrer Verpackung mit der Angabe „KLIMA-NEUTRAL“ gekennzeichnet hatte (Urteil v. 30. Juni 2022 – Az. 6 U 46/21). Dabei entschied das OLG, dass die Bewerbung der Müllbeutel in der konkreten Ausgestaltung zulässig sei, und hob damit das Urteil des LG Kiel, das die Angabe noch für irreführend gehalten hatte, auf. 

Wenngleich die Entscheidung vertretbar sein mag, bleibt Unternehmen weiterhin ein sehr sorgfältiger Umgang mit Green Claims anzuraten, damit sie ggf. dem Vorwurf des Greenwashings wirksam entgegentreten können. Einen Freibrief für die Verwendung der Angabe „klimaneutral“ stellt das Urteil nicht dar. 

LG Kiel hielt „klimaneutral“ noch für irreführend

Der Entscheidung des OLG Schleswig lag ein Streit zwischen einem Verband zur Förderung gewerblicher Interessen und einem Hersteller von Müllbeuteln zugrunde. Letzterer vertrieb Müllbeutel mit der Angabe „KLIMA-NEUTRAL“ in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einem Wortzeichen sowie dem Hinweis, dass das Produkt Gold-Standard-zertifizierte Klimaschutzprojekte zur Erreichung der UN-Klimaziele unterstütze. Der Verband sah darin eine Irreführung der Verbraucher.

Denn diese würden die Angabe nicht nur auf das Produkt, sondern wegen der Nähe zu dem von Verbrauchern für ein Unternehmenslogo gehaltenen Wortzeichen auf das gesamte Unternehmen beziehen. Darüber hinaus habe der Hersteller nicht hinreichend erläutert, wodurch die behauptete Klimaneutralität erzielt werde. Dem folgte das LG Kiel in erster Instanz (LG Kiel, Urteil v. 2. Juli 2021 – 14 HKO 99/20) und verurteilte den Hersteller zur Unterlassung der weiteren Verwendung der Angabe „KLIMA-NEUTRAL“. Die Argumentation des Herstellers, dass die Angabe lediglich für unter einer bestimmten Untermarke vertriebene Müllbeutel gelte, wies es dabei zurück.

Außerdem war das LG der Auffassung, dass allein der auf der Verpackung gegebene Hinweis auf Gold-Standard-zertifizierte Klimaschutzprojekte nicht ausreiche, um dem gesteigerten Informationsinteresse des Verbrauchers Rechnung zu tragen. Vielmehr sei eine Webseite oder ein QR-Code anzugeben, mittels dessen der Verbraucher auf einfache Art und Weise weitere, konkret auf das Produkt bezogene Informationen aufrufen könne. Dies sei bei den Informationen auf der Webseite des Herstellers, auf die die Verpackung verweise, nicht der Fall.   

OLG Schleswig: „KLIMA-NEUTRAL“ auf Müllbeutel bedeute nicht, dass gesamte Produktion des Unternehmens klimaneutral sei

Das OLG Schleswig sah dies anders. Nach Ansicht des Senats handelte es sich bei dem Zeichen, in dessen Nähe die Angabe „KLIMA-NEUTRAL“ aufgedruckt sei, nicht um ein Unternehmenslogo, sondern eine Untermarke, mit der eine bestimmte Produktserie gekennzeichnet werde. Etwas anderes könne auch nicht aus dem Internetauftritt des Herstellers geschlossen werden, da der Kläger die Angaben dort nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht habe. Der Schluss, dass die gesamte Produktion des Unternehmens klimaneutral sei, sei daher nicht gerechtfertigt. Dabei stellte das Gericht auch darauf ab, dass im Geschäft unter der Untermarke auch Varianten der Müllbeutel ohne die Angabe „KLIMA-NEUTRAL“ für die Verbraucher nebeneinander präsentiert würden. 

Die Angabe „KLIMA-NEUTRAL“ sei im Übrigen selbst angesichts des bei umweltbezogenen Angaben anzulegenden strengen Maßstabs nicht irreführend. Der Begriff habe – anders als die Angabe „umweltfreundlich“ – eine feste Bedeutung. Wie sich etwa aus der DIN EN ISO 14021 (Umweltkennzeichnungen und -deklarationen – Umweltbezogene Anbietererklärungen) ergebe, sei bei der Angabe „CO2-neutral“ allein eine ausgeglichene CO2-Bilanz maßgeblich, die jedoch auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Entscheidend sei das Ergebnis. Wie dieses erreicht werde, kommuniziere die Angabe nicht, sodass die Verbraucher insoweit auch keiner Fehlvorstellung unterliegen könnten. 

Verpackung der Müllbeutel enthält keine wesentlichen Informationen vor

Die Verpackung der Müllbeutel sei darüber hinaus auch nicht deshalb irreführend, weil sie dem Verbraucher wesentliche Informationen, die er für eine informierte geschäftliche Entscheidung benötige, vorenthalte.

Informationen dazu, wie die Klimaneutralität erreicht werde, seien für die Kaufentscheidung nicht wesentlich und bräuchten deshalb auch nicht bereits auf der Verpackung zu erfolgen. Vielmehr genüge ein Verweis auf eine Webseite, auf der weitergehende Informationen bereitgehalten würden. Ein solcher Hinweis sei auf der angegriffenen Verpackung indes vorhanden. Ob die auf der Webseite verfügbaren Informationen inhaltlich zutreffend und nicht zu beanstanden seien, könne dahinstehen. Denn der Kläger habe seine Klage eben nicht gegen die dort bereitgehaltenen Informationen gerichtet.

In diesem Zusammenhang ist besonders interessant, dass das OLG sich nicht der Auffassung des klagenden Verbands anschloss, es seien auf der Verpackung Angaben dazu erforderlich, zu welchem prozentualen Anteil CO2-Emissionen einerseits vermieden und andererseits kompensiert worden seien. Diesen Ansatz hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in einem Vortrag im Rahmen des 35. Lebensmittelrechtstags mit dem Thema „Green Claims – Zulässigkeit und Grenzen der Werbung mit Nachhaltigkeit“ vertreten. Nach Ansicht des Senats seien allerdings entsprechende Hinweise zur Aufklärung mangels fester Bezugsgrößen, auf die sie sich beziehen könnten, ungeeignet. Sie würden zudem nichts daran ändern, dass die Verbraucher ohnehin die Webseite des Werbenden aufsuchen müssten, falls sie an näheren, aufklärenden Informationen interessiert seien. 

Bei Green Claims weiterhin Vorsicht geboten

Die Entscheidung des OLG Schleswig mag unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände vertretbar sein. Dass dem Begriff der Klimaneutralität aus Sicht der Verbraucher eine klar umrissene Bedeutung zukommt, lässt sich indes auch anders sehen (so etwa – anders, als es das OLG Schleswig meint – das LG Oldenburg in einem Urteil v. 16. Dezember 2021 –15 O 1469/21 – und anscheinend auch das LG Frankfurt am Main in einem vom klagenden Verband in Bezug genommenen Urteil v. 17. März 2022).

Zumindest erwägenswert erscheint es ferner, ob der Begriff der Klimaneutralität wegen des (weitergehenden) Bezugs auf das Klima anstatt auf das Klimagas CO2 nicht doch in seiner Bedeutung über die Angabe „CO2-neutral“ hinausgeht. Eine höchstrichterliche Entscheidung des BGH oder EuGH zur Bedeutung der Angabe „KLIMA-NEUTRAL“ steht zudem noch aus. Unternehmen, die mit umweltbezogenen Angaben zu werben beabsichtigen, bleibt daher unverändert ein sorgfältiges Vorgehen anzuraten.

Das OLG unterstreicht – wie auch der Großteil der übrigen instanzgerichtlichen Rechtsprechung zu Green Claims – im Übrigen, dass der Bezug einer umweltbezogenen Aussage hinreichend eindeutig und verständlich sein muss. Ebenso bestätigt das Urteil, dass wesentliche Informationen (wie insbesondere eine finanzielle Kompensation von CO2-Emissionen) bereits auf der Verpackung enthalten sein müssen und dem Verbraucher weitere erläuternde Informationen, vorzugsweise über eine gesonderte Webseite, zur Verfügung zu stellen sind. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Werbeaussage und die weiteren Informationen sachlich zutreffend sind, liegt beim werbenden Unternehmen. Sie sollten daher auf belastbaren, unabhängigen und anerkannten, wissenschaftlichen Standards genügenden Nachweisen beruhen. Deshalb empfiehlt es sich, zwecks Stützung der Aussage auf Zertifizierungssysteme zurückzugreifen, die auf anerkannten technischen Normen basieren, sofern die Aussage ihrer Natur nach hierfür in Betracht kommt.  

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass auch die EU das Problem des Greenwashings erkannt und ihm den Kampf angesagt hat. Ende 2021 veröffentlichte die Kommission über die Leitlinien zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt auf deren S. 75 ff. relativ konkrete, gleichwohl unverbindliche Grundsätze dazu, welche Voraussetzungen umweltbezogene Angaben erfüllen müssen, um nicht unlauter zu sein. In Bezug auf Angaben wie auch „klimaneutral“ wird darin etwa ausgeführt, dass sie wahrscheinlich irreführend seien,

wenn sie auf ungenauen und allgemeinen Aussagen zum Umweltschutz beruhen, ohne dass dieser Nutzen angemessen belegt wird und ohne die Angabe des einschlägigen Merkmals des Produkts, auf das sich die Angabe bezieht.

Die Kommission geht mittlerweile mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen, der Ende dieses Sommers veröffentlicht wurde, sogar noch einen Schritt weiter. Danach wäre etwa das Anbringen eines Nachhaltigkeitssiegels, das nicht auf einem Zertifizierungssystem beruht oder von staatlichen Stellen festgesetzt wurde, per se als unlautere Geschäftspraktik anzusehen. 

Die weitere Entwicklung bleibt daher abzuwarten. Urteile deutscher Gerichte, die auch die Leitlinien mit in die Betrachtung einbeziehen, dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen. Angesichts dessen und vor dem Hintergrund der neuesten Gesetzgebungsinitiative auf EU-Ebene ist damit zu rechnen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für Green Claims zukünftig eher strenger als weicher werden.  

Für weitere Informationen zu Umweltaussagen und potentiellen Risiken des Greenwashing siehe CMS Green Globe.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Irreführung klimaneutral Müllbeutel Nachhaltigkeit Wettbewerbsrecht