10. Februar 2022
IDW S11 Insolvenzreife
Restrukturierung und Insolvenz

Aktualisierung des IDW S11

Das IDW hat eine Überarbeitung des IDW S11 zur Beurteilung der Insolvenzreife veröffentlicht. Es erfolgte eine Anpassung an Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Die Insolvenzordnung sieht als Gründe für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Zahlungsunfähigkeit, die drohende Zahlungsunfähigkeit sowie eine Überschuldung vor. 

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat mit dem IDW-Standard S11 unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anforderungen an die Beurteilung der Insolvenzreife eines Unternehmens aufgestellt. 

Der Standard wurde im Jahr 2015 erlassen, eine erstmalige Überarbeitung fand in den Jahren 2016 und 2017 statt. Als Reaktion auf zwischenzeitliche Neuerungen und die aufgrund der Corona-Pandemie hervorgerufenen Unsicherheiten wurde der IDW-Standard schließlich seit Mitte 2021 überarbeitet, wobei bereits die vorzeitige Verwendung der Entwurfsfassung durch das IDW empfohlen wurde. Erschienen ist die Aktualisierung schließlich aktuell im Januar 2022. In der überarbeiteten Version bezieht der Standard vor allem die maßgeblichen Änderungen durch das SanInsFoG und das CovInsAG sowie die neue BGH-Rechtsprechung zur Zahlungseinstellung ein. 

IDW-Standards: Kein Gesetz, aber faktisch bindend

IDW-Standards sind Verlautbarungen, die vom Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. herausgegeben werden. In diesen Verlautbarungen nimmt das IDW Stellung zu Themen, mit denen sich Wirtschaftsprüfer* zu befassen haben, und bringt dadurch die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer zum Ausdruck. 

Ihnen kommt zwar keine gesetzliche Bindungswirkung zu, da es sich nicht um Rechtsnormen handelt. Dennoch stellen sie anerkannte Arbeitshilfen im Sinne einer „best practice“ dar.

Adressat der Verlautbarungen sind in erster Linie die Wirtschaftsprüfer. Von diesen sind sie nach deren Berufssatzung im Grundsatz auch verpflichtend anzuwenden, sodass sich der IDW S11 etwa dann als maßgeblich herausstellt, wenn Wirtschaftsprüfer ein Unternehmen in der Krise als Abschlussprüfer prüfen oder Wirtschaftsprüfer als Gutachter des Insolvenzgerichts tätig sind. Zudem fordern häufig Banken Wirtschaftsprüfergutachten nach IDW S11, wenn es um die Finanzierung sanierungsbedürftiger Unternehmen geht.

Verknüpfungen zum StaRUG als vorinsolvenzliche Sanierungsoption

Der IDW-Standard stellt zu Beginn zunächst klar, dass es in der Verantwortung der gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft liegt, stets über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu wachen, um möglichst früh bestandsgefährdende Risiken zu erkennen. Werden entsprechende Risiken erkannt, ist diesen mit gebotener Sorgfalt nachzugehen. 

Ergänzend wird konkretisiert, wie die Krisenfrüherkennungs- und -managementpflicht organisatorisch abzusichern sind. Insbesondere soll den Geschäftsleitern die Pflicht auferlegt werden, den konkreten Umständen angepasste Krisenfrüherkennungssysteme einzurichten. Außerdem sollen sie dokumentieren, wie sie sich über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens einen Überblick verschafft haben und dass die Unternehmensplanung auf plausiblen Annahmen beruht. 

Unterlegt wird diese Organisation durch eine Hinweispflicht der in § 102 StaRUG genannten Berater.

Damit setzt das IDW die – jedenfalls für andere Rechtsformen als die Aktiengesellschaft – früher lediglich in der Rechtsprechung anerkannte Krisenfrüherkennungspflicht des Geschäftsleiters um, die durch das SanInsFoG in § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG eine gesetzliche Regelung gefunden hat, und gestaltet diese aus.

Weitere Verknüpfungen mit dem durch das SanInsFoG eingeführten StaRUG ergeben sich zum einen daraus, dass die – ggf. anhand der Anforderungen des IDW S11 zu beurteilende – drohende Zahlungsunfähigkeit eine Zugangsvoraussetzung für die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach StaRUG ist. Liegt jedoch bereits eine Überschuldung vor, können die Maßnahmen des StaRUG nicht mehr in Anspruch genommen werden.

Zum anderen können sich Auswirkungen auf die Fortbestehensprognose bei der Prüfung der Überschuldung nach § 19 InsO ergeben, wenn die Gesellschaft die Umsetzung eines Restrukturierungsplans nach dem StaRUG anstrebt und durch dessen Wirkungen die Zahlungsfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Prognosezeitraum (s. dazu sogleich) erhalten bleiben kann; es besteht dann auch eine positive Fortbestehensprognose.

Anpassung der Prognosezeiträume bei der Prüfung von drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

Weiterhin berücksichtigt der aktualisierte IDW S11 die angepassten Prognosezeiträume im Rahmen der Prüfung der Überschuldung und der drohenden Zahlungsunfähigkeit.

Sowohl bei der Prüfung des Vorliegens einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) als auch bei der Prüfung einer Überschuldung im Rahmen der positiven Fortführungsprognose (§ 19 InsO) ist mittels einer Prognoseentscheidung zu ermitteln, ob der Schuldner zukünftig voraussichtlich in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.

Die Reichweite der vorzunehmenden Prognoseentscheidung beträgt dabei seit Änderung durch das SanInsFoG für die Überschuldung zwölf Monate und für die drohende Zahlungsunfähigkeit 12 bis 24 Monate. Tritt innerhalb dieser Zeitspanne prognostisch eine Liquiditätslücke ein, ist im Falle der Überschuldung von einer negativen Fortbestehensprognose bzw. von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Dieser Neuerung passt sich nun auch das IDW an.

Vor der Einführung des SanInsFoG und unter Geltung der alten Fassung des IDW S11 war indes derselbe Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung zu betrachten, was regelmäßig zu Problemen bei der Abgrenzung zwischen einem Antragsrecht bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit und einer Antragspflicht bei der Überschuldung führte. Zudem war der Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose unbestimmt und umfasste in der Regel das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr. Insoweit schafft die Überarbeitung weitere Klarheit.

Höchstfristen für die Insolvenzantragspflicht bei der Überschuldung

Schließlich wurde auch die neue Höchstfrist von sechs Wochen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) zur Stellung eines Insolvenzantrags im Fall der Überschuldung eingearbeitet und konkretisiert. 

Zwar bleibt es im Grundsatz dabei, dass ein Antrag auf Verfahrenseröffnung wegen Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung einer juristischen Person oder eines gleichgestellten Rechtsträgers ohne schuldhaftes Zögern zu stellen ist. Jedoch sah die Insolvenzordnung zuvor unterschiedslos eine nur dreiwöchige Höchstfrist vor.

Nach Ansicht des IDW darf die Höchstfrist – insbesondere bei der Überschuldung – jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn Maßnahmen zur Beseitigung der Insolvenzeröffnungsgründe eingeleitet sind oder werden, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit innerhalb der jeweiligen Frist zum Erfolg führen.

Keine Änderungen bei der Überschuldungsprüfung

Nicht umgesetzt wurde die in der Literatur geforderte und von Untergerichten zum Teil aufgegriffene dreistufige Prüfung der Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung, die neben den Elementen des Fortführungswillens und der prognostischen Durchfinanzierung über zumindest zwölf Monate (s. oben) auch eine positive mittelfristige Ertragskraftprognose verlangt. Hierdurch hat das IDW eine Chance verpasst, von Unternehmen ein nachhaltiges Unternehmenskonzept zu fordern. Andererseits wird nach den verabschiedeten Regelungen mehr Unternehmen eine Fortführungsoption geboten.

Ausnahmetatbestände des CovInsAG

Berücksichtigung fanden auch die Änderungen und Ausnahmen von der Insolvenzantragspflicht für die Jahre 2020 und 2021 durch das CovInsAG. Diese sollen nach Änderung des IDW S11 bei Prüfungen der Insolvenzreife nun auch beachtet werden. Hierzu bedient sich das IDW einer grafischen Übersicht über die im Verlauf der Pandemie insgesamt vier Mal geänderten Ausnahmen von der Insolvenzantragspflicht.

Da sämtliche Ausnahmetatbestände aber bereits ausgelaufen sind, kommt dies nur noch für die Prüfung der Beachtung der Vorschriften zu einem früheren Zeitpunkt zum Tragen, etwa wenn eine gutachterliche Stellungnahme zum Vorliegen eines Eröffnungsgrundes einzuholen ist.

Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zur Zahlungseinstellung

Die Rechtsprechung wurde insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH zur Zahlungseinstellung aktualisiert.

Gem. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO kann die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auch dadurch erfolgen, dass sich aus dem Gesamtverhalten des Schuldners ergibt, dass dieser seine Zahlungen eingestellt hat. 

Wann eine Zahlungsunfähigkeit aufgrund von Zahlungseinstellung angenommen werden kann, hat der BGH in seiner neueren Rechtsprechung konkretisiert (BGH, Urteil v. 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20). Eine Zahlungseinstellung ist hiernach dann zu vermuten, wenn der Schuldner erklärt, eine fällige und nicht unerhebliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht bedienen zu können, und mit hinreichender Gewissheit festzustellen ist, dass dies auf fehlender Liquidität beruht.

Auf dieses Urteil nimmt die Überarbeitung des IDW S11 nun Bezug. Nach Ansicht des IDW ist eine Zahlungsunfähigkeit in derartigen Fällen in aller Regel zu vermuten; eine Widerlegung kommt daher nur durch gewichtige Umstände in Betracht. Anders sei dies aber, wenn es sich um eine verhältnismäßig geringe Forderung handelt und diese mit späteren Zahlungen beglichen wird. Hieraus könne nicht ohne Weiteres auf eine Zahlungseinstellung und damit eine Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden.

IDW S11 jetzt wieder auf aktuellem Stand

Insgesamt erwies sich eine Überarbeitung des IDW S 11 wegen der Vielzahl der aufgezeigten Änderungen und des langen Zeitraums seit der letzten Überarbeitung als dringend notwendig. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat zu erheblichen Unsicherheiten bei der Anwendung der Insolvenzeröffnungsgründe geführt.

In seiner Neubearbeitung setzt der IDW S11 die ergangenen gesetzlichen Regelungen und die aktuelle Rechtsprechung in die Prüfungsmaßstäbe des IDW um. So bildet dieser jetzt wieder eine rechtssichere Grundlage und sorgt für Vereinheitlichung bei der Beurteilung des Vorliegens von Eröffnungsgründen für ein Insolvenzverfahren.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: IDW S11 Insolvenzreife Restrukturierung und Insolvenz StaRUG Überschuldung Zahlungseinstellung