26. August 2020
Nichteintritt Insolvenzverwalter
Restrukturierung und Insolvenz

Der Nichteintritt des Insolvenzverwalters: Auswirkungen für die Praxis

Das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters stellt Vertragspartner eines insolventen Schuldners vor die Frage nach schnellstmöglicher Rechtssicherheit.

§ 103 der Insolvenzordnung (InsO) gibt dem Insolvenzverwalter bei beiderseits noch nicht (vollständig) erfüllten, gegenseitigen Verträgen ein Wahlrecht. Er kann erklären ob er den Vertrag erfüllen oder die Erfüllung ablehnen will. Hiermit einher geht eine gewisse Unsicherheit für den Vertragspartner in der Periode, bevor der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat.

Die Unsicherheit kann dadurch aufgelöst werden, dass der Vertragspartner nach § 103 Abs. 2 S. 2 InsO den Insolvenzverwalter zu einer Erklärung über sein Wahlrecht auffordert. Kommt der Verwalter dieser Aufforderung sodann nicht „unverzüglich″ nach, fingiert § 103 Abs. 2 S.3 InsO die Erfüllungsablehnung.

Insolvenzverwalter muss grundsätzlich unverzüglich auf Erklärungsfristen reagieren

Der Vertragspartner kann dem Insolvenzverwalter hierbei auch eine Frist zur Erklärung setzen. War diese Frist nach den Umständen des jeweiligen Falles als angemessen anzusehen und kommt der Verwalter ihr dennoch nicht nach, handelt er in der Regel nicht mehr „unverzüglich″.

Ist die gesetzte Frist nicht als angemessen anzusehen, lässt dies die Wirkungen der Wahlrechtsaufforderung jedoch nicht entfallen (da eine Fristsetzung durch den Vertragspartner als solche zwar möglich, jedoch nicht zwingende Voraussetzung des § 103 Abs. 2 S. 2 InsO ist). Der Verwalter muss sich somit auch in diesem Fall „unverzüglich″ erklären, wenn er die Fiktion einer Erfüllungsablehnung vermeiden möchte. Ihm steht dabei jedoch seine grundsätzlich zukommende angemessene Bedenkzeit zu, welche den individuellen Gestaltungen und rechtlichen sowie wirtschaftlichen Faktoren des Falles Rechnung trägt. War die gesetzte Frist unangemessen kurz, kann der Insolvenzverwalter somit auch noch nach Fristablauf die Erfüllungswahl erklären.

Insolvenzverwalter darf aber den Berichtstermin abwarten

Es fragt sich nun, wie es zu bewerten ist, wenn eine gesetzte Frist vor dem Berichtstermin abläuft.

Im Berichtstermin, der 6 Wochen bis 3 Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahren liegt, entscheidet die Gläubigerversammlung u.a. über den Fortgang des Geschäftsbetriebs des insolventen Schuldners. In diesem Fall kann die Nichteinhaltung der Frist durch den Insolvenzverwalter u.U. nicht als „schuldhaftes Zögern“ zu bewerten sein. Denn zumindest dann, wenn die Vertragsfortführung nur bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens insgesamt denkbar erscheint, ist dem Insolvenzverwalter nach verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ein Abwarten auf den Berichtstermin zuzugestehen.

In seiner dogmatischen Herleitung berufen sich Stimmen in der Literatur auf eine analoge Anwendung des § 107 Abs. 2 InsO, während das OLG Köln sich bei der Beurteilung des Begriffes „unverzüglich″ auf ein allgemeines Rechtsprinzip stützt (vgl. OLG Köln, Urteil v. 2. Dezember 2002 – 15 W 93/02).

Pflicht zum Tätigwerden des Vertragspartners

Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab oder tritt die Fiktion der Ablehnung ein, beendet dies noch nicht unmittelbar das bestehende Vertragsverhältnis. Dieses besteht zunächst weiter, es kann nur keine Partei mehr Erfüllung des Vertrags verlangen. Dem Vertragspartner fällt stattdessen nun die Möglichkeit zu, das bestehende Vertragsverhältnis zu beenden, indem er – insoweit ist die Beendigungswirkung anerkannt – seinen Anspruch wegen Nichterfüllung nach § 103 Abs. 2 S.1 InsO geltend macht, etwa indem er den Anspruch zur Tabelle anmeldet. Insoweit muss nach der Erfüllungsverweigerung der Vertragspartner aktiv werden, will er den Vertrag endgültig “aus der Welt schaffen“.

Ziehen der Anzahlungsbürgschaft als konkludente Vertragsbeendigung

Ähnlich der Anmeldung des Anspruchs wegen Nichterfüllung stellt sich in der Praxis folgende Situation dar: Der Vertragspartner hat eine Anzahlung geleistet, für welche eine Anzahlungsbürgschaft bestellt wurde. Nun kommt es zur Insolvenz des Schuldners, der Insolvenzverwalter lehnt die Erfüllung ab und der Vertragspartner macht die für den Fall des Erfüllungsausfalls bestellte Bürgschaft geltend. In dieser Anforderung der Bürgschaft kann ebenso eine konkludente Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Schuldner gesehen werden wie bei der Anmeldung einer Schadensersatzforderung zur Tabelle. Würde man dies anders sehen, bestünde für den Vertragspartner sonst u.U. anschließend keine Möglichkeit mehr, das Vertragsverhältnis zu beenden, da mit Erfüllung der Bürgschaft kein Nichterfüllungsschaden mehr bestünde der zur Tabelle angemeldet werden könnte (vgl. hierzu noch später). Man müsste dann mit Übergang der Forderung auf den Bürgen, erst dessen Anmeldung der Nichterfüllungsforderung zur Insolvenztabelle als Vertragsbeendigung ansehen. Richtigerweise führt daher bereits die Inanspruchnahme des Bürgen hier zu dem endgültigen Erlöschen der vertraglichen Ansprüche.

Rücktrittsrechte des Vertragspartners

Zu fragen ist, ob neben den betrachteten Formen der Anspruchserhebung dem Vertragspartner auch die Option zukommt, sich durch Kündigung/Rücktritt von dem Vertrag zu lösen. Zu dem Fortbestand vertraglich vereinbarter Kündigungs- sowie Rücktrittsrechte hat sich der BGH dabei bereits eindeutig positioniert (vgl. BGH, Urteil v. 17. November 2005 – IX ZR 162/04). Das Gericht stellte fest, dass die Erfüllungsablehnung das Bestehen vertraglicher Kündigungs-/Rücktrittsrechte nicht beeinflusse. Der BGH sieht die Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter außerdem als einen möglichen wichtigen Grund, welcher den Vertragspartner in diesen Fällen zur außerordentlichen Kündigung berechtigen kann (vgl. BGH, Urteil v. 17. November 2005 – IX ZR 162/04).

Zu dem Rücktrittsrecht des Vertragspartners wird zum Teil zwar vertreten, dass wenn der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung wählt, ein vertragliches oder gesetzliches Rücktrittsrecht dennoch während des Insolvenzverfahrens gesperrt bliebe. Andere gehen jedoch, richtigerweise, nur von einer Sperre des Rücktrittsrechts bis zur Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter aus.

Folgen bei Fehlen eines (bezifferbaren) Nichterfüllungsschadens

Es kann im Einzelfall vorkommen, dass bei dem Vertragspartner mit Nichterfüllung kein (bezifferbarer) Schaden eintritt. Entsprechend stünde ihm auch keine Möglichkeit zu, nach § 103 Abs. 2 InsO einen Anspruch zur Tabelle anzumelden. Würde man dem Vertragspartner in diesem Fall ebenso die Rücktrittsmöglichkeit abschneiden, wäre er an den Vertrag, in welchem keine Seite Erfüllung verlangen kann, dennoch weiter gebunden. Dies kann jedoch nicht richtig sein. Wählt der Verwalter also Nichterfüllung oder wird dies fingiert, muss dem Vertragspartner stets auch ein Rücktrittsrecht zukommen. In der Nichterfüllungserklärung durch den Insolvenzverwalter ist dabei eine ernsthaft und endgültige Erfüllungsverweigerung zu sehen, sodass eine Fristsetzung nicht von Nöten ist. Sie wäre vorliegend auch unsinnig, der Verwalter kann seine Erklärung nicht zurücknehmen.

Der Vertragspartner sollte mit Umsicht aktiv werden

Der Vertragspartner eines Insolvenzschuldners kann dem Insolvenzverwalter eine angemessene Frist zur Ausübung seines Erfüllungswahlrechtes setzen. Die Angemessenheit bestimmt sich hierbei je nach der individuellen Situation. War die Frist angemessen und gibt der Verwalter innerhalb ihrer keine Erklärung ab, ist dies grundsätzlich als schuldhaftes Zögern anzusehen und fingiert die Erfüllungsablehnung. Eine Ausnahme hiervon ist jedoch anzunehmen, wenn die Frist bereits vor dem Berichtstermin endet. Eine Erklärung des Verwalters (unmittelbar) nach dem Berichtstermin, ist dann stets noch als unverzüglich anzusehen.

Möchte ein Vertragspartner nach der Erfüllungsablehnung durch den Verwalter Rechtssicherheit erlangen, erscheint es ratsam, ausdrücklich Rücktritt/Kündigung des Vertragsverhältnisses zu erklären. Meldet der Vertragspartner seinen Nichterfüllungsanspruch zur Insolvenztabelle an oder macht eine Anzahlungsbürgschaft geltend, führt dies jedoch ebenso zu einem endgültigen Erlöschen der vertraglichen Ansprüche.

Tags: Anzahlungsbürgschaft Berichtstermin Frist Insolvenzverwalter Nichteintritt Rücktritt