Nach dem BGH haften GmbH-Gesellschafter für sog. existenzvernichtende Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen – unabhängig von der grundsätzlichen Haftungsbeschränkung.
Im Fall der Insolvenz einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gibt es vielfältige Haftungsrisiken und -adressaten. Diese können die Geschäftsführer, Aufsichtsräte oder Berater (Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer), und im Falle einer Insolvenzanfechtung alle sonstigen Beteiligten treffen.
Daneben ist nicht selten auch die Haftung der Gesellschafter eine der wesentlichen Fragen, die der bestellte Insolvenzverwalter untersuchen wird/muss. Dabei gilt für die Rechtsform der GmbH der Grundsatz, dass eine auf die Gesellschafter durchgreifende Haftung gerade nicht möglich ist (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Wird jedoch dieser grundsätzliche Haftungsausschluss durch einen Gesellschafter in missbräuchlicher Weise ausgenutzt, kommt eine Haftung dieses Gesellschafters und damit ein Durchgriff auf sein Vermögen zugunsten der Gesellschaft in Betracht.
Notwendigkeit einer Durchgriffshaftung bei missbräuchlichem Verhalten der Gesellschafter einer GmbH
Für das Funktionieren einer Volkswirtschaft braucht es Unternehmensgründungen. Damit Unternehmensgründer generell, aber auch solche mit risikobehafteten Geschäftsideen zu deren Umsetzung ermutigt werden, setzt der Gesetzgeber u.a. mit der Gesellschaftsform der GmbH einen finanziellen und wirtschaftlichen Anreiz. Denn scheitert das Vorhaben, ist nur ein Teil des eingesetzten Kapitals verloren. Die Haftung ist grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt, das Privatvermögen der Gesellschafter bleibt unangetastet (Trennungsprinzip). Ohne diese Haftungsbegrenzung würden volkswirtschaftlich sinnvolle Projekte gar nicht erst durchgeführt werden, wenn der Initiator mit einer potentiell ruinösen Haftung rechnen müsste.
Für die Gläubiger einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung besteht jedoch das ebenso schutzwürdige Interesse, dass im Haftungsfall zumindest eine gewisse Vermögensmasse der Gesellschaft für ihren Zugriff zur Verfügung steht. In diesem Sinne besteht eine Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens. Dementsprechend streng reglementiert ist die Kapitalaufbringung bei der GmbH, damit die vollständige Einzahlung des Mindesthaftkapitals auch gewährleistet wird. Auch der Erhalt dieses Mindesthaftkapitals ist gesetzlich umfassend in den §§ 30, 31 GmbHG geregelt und das bilanzielle Kapital so vor einem Zugriff durch die Gesellschafter geschützt.
Eine Lücke im Konzept des GmbH-Rechts zum Gläubigerschutz hat die Rechtsprechung jedoch dort ausgemacht, wo Gesellschafter durch den Interessen der Gesellschaft zuwiderlaufende Einwirkungen auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen und dadurch die Haftungsmasse verringern, ohne dass die Gesellschaft dafür eine ausgleichende Gegenleistung erhält. Die gesetzlich verankerte Haftungsbeschränkung einer GmbH bot insofern seit Einführung dieser Gesellschaftsform ein Missbrauchspotenzial für die Gesellschafter.
Um korrigierend eingreifen zu können, hat die Rechtsprechung die Existenzvernichtungshaftung für missbräuchliches Verhalten geschaffen. Ist die Gesellschafterin der GmbH die übergeordnete Konzerngesellschaft, greift die Existenzvernichtungshaftung unabhängig davon ein, ob eine Unternehmensverbindung existiert, d.h. ein Vertragskonzern oder ein sog. qualifiziert faktischer Konzern vorliegt. Der BGH qualifiziert die Existenzvernichtungshaftung inzwischen als einen deliktischen (und nicht mehr gesellschaftsrechtlichen) Anspruch und ordnet sie als Fallgruppe der vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB zu. Es handelt sich dabei um eine sog. Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft auf Ersatz des sog. Zerschlagungsschadens (s.u.).
Die Rechtsprechung bürdet der Gesellschaft bzw. an ihrer statt dem Insolvenzverwalter die volle Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale auf.
Gesellschafter und der mittelbare Gesellschafter als Anspruchsgegner bei Existenzvernichtungshaftung
Die Haftung trifft diejenige natürliche oder juristische Person, die durch ihren tatsächlichen Einfluss in existenzvernichtender Weise auf die Gesellschaft einwirkt. Zunächst ist damit der Gesellschafter einer GmbH gemeint. Hierzu zählt auch ein mittelbarer Gesellschafter, also eine Person, die nicht direkt, sondern über andere, zwischengeschaltete Gesellschaften Anteile am geschädigten Unternehmen mittelbar hält. Diese Person wird auch als „Gesellschafter-Gesellschafter″ bezeichnet.
In derartigen Konstellationen setzt die Inanspruchnahme aus § 826 BGB aber voraus, dass der mittelbare Gesellschafter einen beherrschenden Einfluss auf das geschädigte „Enkelunternehmen″ ausüben kann. Denn dann stellt die Rechtsprechung auf diese tatsächliche Einflussnahmemöglichkeit ab und nicht auf die formaljuristische Konstruktion.
Ein Insolvenzverwalter kann in der Praxis auch auf „Hintermänner″ zugreifen, die ihre Beteiligung durch zwischengeschaltete Gesellschaften häufig verdecken. So kann er etwa, wenn die alleinige Muttergesellschaft der von ihm verwalteten GmbH als reine Holding nur eine leere Hülle ist, deren einziges werthaltiges Asset die insolvente GmbH war, mithilfe der Existenzvernichtungshaftung auch auf die nicht selten vermögenden Gesellschafter der Holdinggesellschaft durchgreifen. Voraussetzung ist aber wiederum, dass diese über die Holding beherrschenden Einfluss auf die GmbH nahmen und sie so existenziell schädigten.
In Anspruch genommen werden können auch diejenigen (Mit-)Gesellschafter, die zwar selbst nichts erhalten haben, die aber durch ihre Zustimmung zur schädigenden Einwirkung an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt waren. Einen Geschäftsführer trifft die Haftung, sofern er auch (Allein-)Gesellschafter ist. Zudem kann er als Mittäter, Anstifter und Gehilfe (§ 830 BGB) sowie aus der allgemeinen Geschäftsführerhaftung (§ 43 Abs. 2 GmbHG oder § 64 S. 3 GmbHG) in Anspruch genommen werden.
GmbH als Anspruchsinhaberin bei Existenzvernichtungshaftung
Anspruchsinhaber ist wie bereits erwähnt die GmbH selbst. Da diese durch den Eingriff gerade in ihrer Existenz vernichtet, also in die Insolvenz getrieben wurde, macht in der Regel aber der Insolvenzverwalter den Schadensersatzanspruch geltend.
Ist das Vermögen der Gesellschaft durch den Eingriff so gering geworden, dass noch nicht einmal die Kosten eines Insolvenzverfahrens gedeckt sind und deshalb mangels Masse auch kein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 26 InsO), kann sich kein Insolvenzverwalter um die Anspruchsdurchsetzung kümmern. Die Gesellschaftsgläubiger müssen dann einen praktisch beschwerlichen Weg beschreiten: Sie können den Anspruch der GmbH pfänden und sich zur Einziehung überweisen zu lassen, müssen den Anspruch dann aber auch selbst durchsetzen.
Persönliche Haftung des GmbH-Gesellschafters bei betriebsfremden Eingriffen in das Gesellschaftsvermögen
Die persönliche Haftung trifft den GmbH-Gesellschafter, wenn er die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, nämlich den GmbH-Gläubigern als Haftungsmasse zu dienen, missachtet. Eine Missachtung kann vorliegen, wenn er der Gesellschaft in Form von „Selbstbedienung″ offen oder verdeckt Vermögenswerte entzieht, die die GmbH benötigt, um ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen.
Im Grund geht es um einen Eingriff außerhalb des normalen Betriebs, der also betriebsfremden ist. „Vermögen″ ist in einem weiteren Sinne zu verstehen. Erfasst sind damit auch „bilanzneutrale Vermögensabschöpfungen″, also Eingriffe, die sich nicht unmittelbar in der Bilanz abbilden. Dazu gehören etwa die Selbstnutzung von Geschäftschancen, der Einsatz von Arbeitskräften der Gesellschaft für Zwecke des Gesellschafters, die Belastung von GmbH-Vermögensgegenständen für fremde Schulden oder die systematische Vermögensverlagerung auf Dritte.
Die GmbH-Gesellschafter trifft zwar nicht die Pflicht, den Geschäftsbetrieb nur im Interesse der GmbH-Gläubiger fortzusetzen. Deshalb können sie den Betrieb selbst dann einstellen, wenn sie diesen sodann mit einer neuen Gesellschaft wieder eröffnen. In diesem Fall müssen sie jedoch das für eine GmbH-Abwicklung anzuwendende Recht befolgen: Sie müssen die Gesellschaft durch Ausgleich aller Verbindlichkeiten liquidieren oder, falls das Vermögen hierfür nicht reicht, einen Insolvenzantrag stellen.
Dagegen ist die sog. „Liquidation auf kaltem Wege″ unzulässig. Damit ist gemeint, dass die Gesellschafter das Restvermögen der Gesellschaft in ihr Privatvermögen oder in das Vermögen einer neuen, von ihnen gehaltenen Gesellschaft transferieren, während die Gläubiger der insolventen Alt-Gesellschaft nahezu komplett ausfallen. Die Gesellschafter erreichen so letztlich, dass ihnen die Aktiva erhalten bleiben, während die Passiva bei der Alt-Gesellschaft verbleiben.
Nicht ausreichend für einen betriebsfremden Eingriff sind bloße unternehmerische Fehlentscheidungen. Dies gilt jedoch nicht grenzenlos. Zwar weiß ein Gläubiger, der sich auf geschäftlichen Kontakt zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung einlässt, dass das mit jeder Geschäftstätigkeit verbundene Insolvenzrisiko aufgrund der haftungsbeschränkten Rechtsform in gewisser Weise ein Stück weit auf ihn übergeht. Die Grenze ist jedoch dann überschritten, wenn die GmbH-Gesellschafter mit ihren unternehmerischen Entscheidungen einseitig auf Kosten der Gläubiger spekulieren. Dies gilt etwa, wenn die Gesellschafter der GmbH mit einer Geschäftsidee existenzbedrohende Risiken auferlegen.
Kompensationslosigkeit des Eingriffs
Entnahmen der Gesellschafter sind nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. § 29 Abs. 1 GmbHG). Grundsätzlich gehört den Gesellschaftern ja „ihre″ Gesellschaft. Daher ist nur die kompensationslose missbräuchliche Zweckentfremdung haftungsbegründend, also ein betriebsfremder Eingriff ohne eine angemessene Gegenleistung des Gesellschafters hierfür.
Qualifizierte Insolvenzverursachung oder -vertiefung
Die Haftung setzt außerdem voraus, dass die GmbH infolge des betriebsfremden Vermögensentzugs nicht bzw. nur noch eingeschränkt dazu in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die letztlich existenzvernichtende Maßnahme muss also zur Insolvenz der GmbH geführt haben, d.h. für die Insolvenz wenigstens mitursächlich gewesen sein oder diese zumindest vertieft haben. Letzteres kann etwa bei Vergrößerung einer schon bestehenden Überschuldung der Fall sein. Die Existenzvernichtungshaftung kommt auch in Betracht, wenn die Insolvenz erst während der Liquidation der Gesellschaft verursacht oder vertieft wird, solange nur der betriebsfremde Eingriff dafür ursächlich war
Bedingter Vorsatz reicht für Durchgriffshaftung aus
Für eine Haftung genügt bereits bedingter Vorsatz des oder der Gesellschafter. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Gesellschafter erkennt, dass durch sein Verhalten der GmbH ohne äquivalente Kompensation Vermögenswerte unter Missachtung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens entzogen werden. Nicht erforderlich ist die Absicht, die Gesellschaft oder ihre Gläubiger zu schädigen.
Ausreichend ist demnach, wenn die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, dauerhaft beeinträchtigt wurde, dies als Folge des Eingriffs vorauszusehen war und der Gesellschafter diese Folge in Kenntnis ihres möglichen Eintritts billigend in Kauf genommen hat.
Die Sittenwidrigkeit ist bereits indiziert durch den missbräuchlichen, planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen zum Vorteil des Gesellschafters und zu Lasten der Gläubiger.
Rechtsfolge: Schadensersatz
Die Haftung ist gerichtet auf den Ersatz des durch den Vermögensentzug verursachten Schadens, d.h. für folgende Positionen:
- Eingriffsausgleich: Ersatz desjenigen Betrages, der erforderlich ist, um den Eingriff, der zur Insolvenz geführt hat, auszugleichen. Wäre es auch bei redlichem Verhalten des Gesellschafters nicht zu einer Vollbefriedigung der Gläubiger gekommen, muss der Gesellschafter die Insolvenzmasse nur soweit auffüllen, dass die Gläubiger die quotale Befriedigung erlangen, die sie ohne den existenzvernichtenden Eingriff erhalten hätten, sog. Quotenschaden.
- Folgeschäden des Eingriffs, wenn z. B. Aktiva der GmbH aufgrund der Insolvenz nur noch unter Wert verkauft werden können oder sogar vernichtet werden (müssen).
- Ausgleich des Betrages, den der Insolvenzverwalter benötigt, um sämtliche Gläubiger voll zu befriedigen und die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Insoweit bildet die vollständige Befriedigung der Gläubiger eine Obergrenze für die Haftung.
Beispiele für existenzvernichtende Eingriffe
Einen existenzvernichtenden Eingriff bejahte die Rechtsprechung etwa in den folgenden Konstellationen:
- Muttergesellschaft entzieht liquide Mittel über einen konzernweiten Cash-Pool und nimmt dabei keine Rücksicht auf das Interesser der Tochter-GmbH, ihre Schulden weiter decken zu können (BGH-Urteil zu „Bremer Vulkan″).
- Die Gesellschafter übernehmen (für eine neu gegründete Gesellschaft) den Kundenstamm bzw. den Betrieb einer GmbH ohne angemessene Gegenleistung; sie verlagern auch Ressourcen und Geschäftschancen auf die neue Gesellschaft, ohne dafür eine angemessene Vergütung zu leisten.
- Die Gesellschafter veräußern GmbH-Vermögen unter dem Verkehrswert.
- Der Gesellschafter leitet der Gesellschaft zustehende Gelder an sich selbst um.
- Die Gesellschafter entziehen der GmbH ein Warenlager oder eine andere Sicherheit mit der Konsequenz, dass die Bank als Sicherungsnehmerin einen existenziell wichtigen Kredit der GmbH kündigt.
- Der Gesellschafter veräußert Vermögensgegenstände der GmbH an sich selbst zwar zu einem angemessenen Kaufpreis, jedoch mit dem später umgesetzten Plan, gegen die Kaufpreisforderung der GmbH mit wertlosen Gegenforderungen aufzurechnen.
- Um eine Abwicklung ohne Liquidation zu erreichen, überträgt dessen Alleingesellschafter einen insolvenzreifen Rechtsträgers im Wege der Verschmelzung und verursacht oder vertieft dadurch die Insolvenz der übernehmenden GmbH, deren Mehrheitsgesellschafter er ebenfalls ist (BGH, Urteil v. 1. November 2018 – II ZR 199/17).
Annex: Internationales Privatrecht
Steht zwar eine insolvente GmbH in Rede, liegt aber aufgrund der sonstigen Umstände ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor (z.B.: Die Gesellschafter sind im Ausland ansässig und haben von dort aus gehandelt), stellt sich die Frage, ob deutsches Recht überhaupt anwendbar ist.
Da deliktisches Verhalten anspruchsbegründend ist, gelangt – vorbehaltlich völkerrechtlicher Verträge zu EU-Drittstaaten – die Rom-II-Verordnung zur Anwendung. Danach ist das Recht des Erfolgsortes anzuwenden, d.h. das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt – unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (Art. 2 Abs. 1, 3, 4 Abs. 1 Rom-II-Verordnung). Da der Schaden in Form der Insolvenzverursachung oder -vertiefung in aller Regel bei der GmbH in Deutschland eingetreten sein wird, ist deutsches Deliktsrecht anwendbar. Dies führt somit auch zu einer Haftung der Gesellschafter nach deutschem Recht, da der BGH wie erwähnt die Existenzvernichtungshaftung mittlerweile als deliktsrechtlich qualifiziert.