28. Februar 2022
Insolvenz führungslos GmbH
Restrukturierung und Insolvenz

Führungslos in die Insolvenz?

Die Gesellschafter einer materiell insolvenzreifen, aber führungslosen GmbH müssen einen Insolvenzeröffnungsantrag stellen. Fall erledigt, Insolvenz eröffnet?

Immer wieder kommt es vor, dass eine juristische Person, in den meisten Fällen eine GmbH, zeitweise keinen Geschäftsführer* hat. In der Folge kann die GmbH im Verhältnis zu Dritten, d.h. im Außenverhältnis, nicht wirksam vertreten werden, sie ist führungslos. Die GmbH wird oftmals dadurch führungslos, dass Geschäftsführer unmittelbar vor oder nach bereits eingetretener materieller Insolvenzreife „ihrer“ GmbH ihr Amt niederlegen. Es gibt dann keine originär vertretungsberechtigte Person, die den erforderlichen Insolvenzeröffnungsantrag stellen könnte.

Dieses Problem hat auch der Gesetzgeber erkannt. Daher ist in den durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) eingeführten §§ 15 Abs. 1 S. 2, 15a Abs. 3 InsO bereits seit dem 1. November 2008 vorgesehen, dass die Gesellschafter der GmbH nicht nur berechtigt, sondern bei materieller Insolvenzreife auch unter Strafandrohung (§ 15a Abs. 4 InsO) verpflichtet sind, einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen. Selbst wenn der Gesellschafter einer führungslosen materiell insolvenzreifen GmbH seiner strafbewährten Antragspflicht nachkommt, ergeben sich in der Praxis Anschlussfragen.

Warum der Antrag allein nicht ausreichen soll

In diesem Kontext praxisrelevant ist der jüngste Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 30. November 2021 (Az. 903 IN 451/21 – 1). Dem Amtsgericht Hannover zufolge reiche die Antragstellung durch den Gesellschafter einer führungslosen GmbH nicht aus, wenn die Führungslosigkeit im Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch immer vorliege. Dementsprechend half das Amtsgericht Hannover im vorgenannten Beschluss der sofortigen Beschwerde des antragstellenden Gesellschafters gegen die Ablehnung der Insolvenzeröffnung auch nicht ab.

Damit steht das Amtsgericht Hannover nicht allein. Auch andere Gerichte haben in der Vergangenheit in solchen Konstellationen bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt (so z.B. das Amtsgericht Oldenburg, Beschluss v. 24. Juni 2016 – 65 IN 9/16 –, sowie das Landgericht Kleve, Beschluss v. 21. März 2017 – 4 T 577/16). Zur Begründung wird angeführt, die vom Gesetzgeber geschaffenen Vorschriften in § 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG sowie in §§ 15 Abs. 1 S. 2, 15a Abs. 3 InsO würden dem antragstellenden Gesellschafter nicht die notwendige Fähigkeit verleihen, im Insolvenzeröffnungsverfahren Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen. Es fehle an der sog. Prozess- bzw. Verfahrensfähigkeit der GmbH gem. § 4 InsO i.V.m. § 51 ZPO. Ein Insolvenzeröffnungsantrag, der sich auf einen nicht prozess-/verfahrensfähigen Schuldner bezieht, sei aber als unzulässig zurückzuweisen (so bereits der BGH, Beschluss v. 7. Dezember 2006 – IX ZB 257/05 – zu § 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG). Das Amtsgericht Hannover begründet seine Entscheidung insbesondere mit gesetzessystematischen Argumenten und dem Sinn und Zweck der §§ 15 Abs. 1 S. 2, 15a Abs. 3 InsO, der vom Gesetzgeber v.a. allem im Gläubigerschutz gesehen worden sei. Das Landgericht Kleve behauptet sogar, der Gesetzgeber habe den Gesellschafter der führungslosen GmbH dazu anhalten wollen, die Führungslosigkeit zu beseitigen, weshalb die neu geschaffenen Vorschriften gerade keine Prozess-/Verfahrensfähigkeit aufgrund Vertretung durch den Gesellschafter beinhalten sollen.

Diese Ansicht ist allerdings umstritten. Vielfach wird behauptet, die vom Gesetzgeber im Jahr 2008 geschaffenen §§ 15 Abs. 1 S. 2 und 15a Abs. 3 InsO seien als Spezialvorschriften zu den allgemeineren Verfahrensvorschriften anzusehen, weshalb es dem antragsverpflichteten Gesellschafter einer führungslosen GmbH möglich sei, die GmbH zumindest im Insolvenzeröffnungsverfahren wirksam zu vertreten, sodass der Insolvenzeröffnungsantrag jedenfalls nicht wegen fehlender Prozess-/Verfahrensfähigkeit der GmbH als unzulässig zurückgewiesen werden dürfe. Wenngleich Praktikabilitätserwägungen für diese Handhabung sprechen, überzeugt eher die Begründung der Gerichte. Relevant werden die unterschiedlichen Auffassungen nicht erst mit der endgültigen Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzeröffnungsantrag, sondern auch schon dann, wenn das Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren einen beschwerdefähigen Beschluss erlässt, wie z.B. die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung (§§ 21, 22 InsO). Denn bei konsequenter Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze fehlte dem Gesellschafter auch die Prozess-/Verfahrensfähigkeit, um die sofortige Beschwerde für die GmbH einzureichen. Im Fall des Amtsgerichts Hannover müsste demnach das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde als unzulässig zurückweisen, wenn die Prozess-/Verfahrensfähigkeit zwischenzeitlich nicht wiederhergestellt wird (zu den Optionen sogleich). Nach der Gegenauffassung wäre es auch von §§ 15 Abs. 1 S. 2 und 15a Abs. 3 InsO abgedeckt, wenn der Gesellschafter solche Prozess-/Verfahrenshandlungen zugunsten der GmbH vornimmt.

Ebenfalls betroffen von dem hier geschilderten Problem sind insbesondere die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die AG und die Genossenschaft, wobei das Recht und die Pflicht, den Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen, bei AG und Genossenschaft im Fall der Führungslosigkeit den Aufsichtsratsmitgliedern zukommen.

Strafbarkeit des antragstellenden Gesellschafters?

Ungeklärt ist bisher auch, wie es sich auf eine mögliche Strafbarkeit des antragstellenden Gesellschafters nach § 15a Abs. 4 InsO auswirkt, wenn sein Antrag aufgrund der fehlenden Prozess-/Verfahrensfähigkeit der GmbH als unzulässig zurückgewiesen wird. Nach § 15a Abs. 4 InsO wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einen Insolvenzeröffnungsantrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig stellt.

Während das Landgericht Kleve in seinem Beschluss v. 21. März 2017 davon ausgeht, dass sich auch strafbar macht, wer als Gesellschafter zwar einen Insolvenzeröffnungsantrag stellt, in der Folge aber nicht die Führungslosigkeit beseitigt, führt das Landgericht Hannover in seinem Beschluss v. 30. November 2021 überzeugender aus, dass die fehlende Prozess-/Verfahrensfähigkeit der führungslosen GmbH ein prozessualer Mangel ist, der vom Schutzbereich der Strafandrohung in § 15a Abs. 4 InsO nicht erfasst ist. Dieser soll lediglich sicherstellen, dass das Insolvenzgericht durch einen ordnungsgemäßen Insolvenzeröffnungsantrag in die Lage versetzt wird, zeitnah die von der InsO vorgesehenen Gläubigerschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Für den antragsverpflichteten Gesellschafter einer insolvenzreifen, aber führungslosen GmbH bestehen insoweit aber – neben den allgemein immer umfangreicher werdenden Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Insolvenzeröffnungsantrags – erhebliche Risiken im Rahmen der Erfüllung seiner Antragspflicht. Es gibt jedoch mehrere Möglichkeiten, dieser unsicheren Lage zu entgehen.

Praxislösungen: (Not-)Geschäftsführer oder Verfahrenspfleger bestellen

Das Amtsgericht Hannover zeigt in seinem Beschluss v. 30. November 2021 drei Möglichkeiten auf, die Prozess-/Verfahrensfähigkeit der führungslosen GmbH bis zur Entscheidung über den Insolvenzeröffnungsantrag durch das Insolvenzgericht wiederherzustellen.

Zum einen kann die Gesellschafterversammlung gem. § 46 Nr. 5 GmbHG einen neuen Geschäftsführer bestellen. Auch wenn der antragstellende Gesellschafter einen Minderheitsanteil an der GmbH hält, kann er im Fall der Führungslosigkeit unter Ausschöpfung seiner Minderheitenrechte gem. § 50 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 GmbHG selbst die Gesellschafterversammlung einberufen.

Da die Frist zur Ladung der Gesellschafterversammlung auch in diesen Fällen mind. eine Woche beträgt (§ 51 Abs. 1 S. 2 GmbHG) und im Übrigen nicht sicher ist, ob die Gesellschafterversammlung sich auf die Bestellung eines neuen Geschäftsführers einigen kann, sollte im Einzelfall die Bestellung eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB als Zwischenlösung erwogen werden. Die Bestellung erfolgt auf Antrag des Gesellschafters durch das Registergericht, sofern der Vertretungsmangel nicht innerhalb angemessener Frist durch die GmbH-Gesellschafter beseitigt werden kann und ein sofortiges Einschreiten aus dringlichen Gründen und zur Abwendung von Schäden erforderlich ist. Im Falle eines anhängigen Insolvenzeröffnungsantrags kann es aufgrund des Eilverfahrens-Charakters auch auf Stunden oder Tage ankommen.

Alternativ kann der Gesellschafter beim Insolvenzgericht gem. § 4 InsO i.V.m. § 57 ZPO die Bestellung eines Verfahrenspflegers beantragen. Auch hierbei ist die Eilbedürftigkeit entscheidend. Im Unterschied zum Notgeschäftsführer beschränkt sich die Vertretungsbefugnis des Verfahrenspflegers ausschließlich auf Prozess-/Verfahrenshandlungen. Erforderlich für die Bestellung ist auch hier Gefahr in Verzug. Nach Auffassung des Amtsgerichts Hannover soll jedenfalls dann keine Eilbedürftigkeit bestehen, wenn die betreffende GmbH ihren Geschäftsbetrieb bereits eingestellt hat, kein verwertbares Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist und keine Anhaltspunkte für insolvenzrechtliche Sonderaktiva wie z.B. Anfechtungsansprüche bestehen. Über die Auswahl des Verfahrenspflegers entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bindung an Vorschläge der Beteiligten.

Die Verfahrenspflegschaft kann noch im eröffneten Insolvenzverfahren andauern. Denn der Verfahrenspfleger bleibt so lange im Amt, bis ein ordentlich bestellter Geschäftsführer der GmbH dem Insolvenzgericht seine ordnungsgemäße Bestellung anzeigt und nachweist, d. h., es genügt nicht allein die Bestellung des neuen Geschäftsführers. Nicht geklärt ist bisher, ob der Verfahrenspfleger im Insolvenzeröffnungsverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren auch die gesetzlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten eines Geschäftsführers der GmbH gem. §§ 22 Abs. 3 S. 2, 101 Abs. 1 InsO zu erfüllen hat. Dies nahm das Amtsgericht Duisburg in einem Beschluss v. 10. Juli 2008 (Az. 62 IN 167/02) an. Dies ist jedoch zweifelhaft, denn es ist nicht davon auszugehen, dass der Verfahrenspfleger diese Pflichten rein faktisch erfüllen kann. Zudem besteht auch kein Bedarf für die Ausdehnung der insolvenzrechtlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten auf den Verfahrenspfleger, weil hierfür gem. § 101 Abs. 1 S. 2 InsO auch auf den ehemaligen Geschäftsführer zurückgegriffen werden kann (vgl. Landgericht Berlin, Beschluss v. 11. Dezember 2001 – 86 T 645/01).

Umsetzung in der Praxis

Die Insolvenzgerichte müssen einen antragstellenden Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit auf den Mangel der Zulässigkeit des Insolvenzeröffnungsantrags wegen der fehlenden Prozess-/Verfahrensfähigkeit nicht nur dazu auffordern, den Mangel zu beheben, sondern ihm hierfür auch eine angemessene Frist einräumen, § 13 Abs. 3 InsO. In der Praxis ist zu beobachten, dass einige Insolvenzgerichte antragstellende Gesellschafter darüber hinaus auf die vorstehenden Möglichkeiten hinweisen und zum Teil sogar die Bestellung eines Verfahrenspflegers anregen.

Dem zur Insolvenzeröffnungsantragstellung verpflichteten Gesellschafter der GmbH stehen somit effektive Möglichkeiten zur Verfügung, der Führungslosigkeit „seiner“ insolvenzreifen GmbH zu begegnen und – ohne Strafbarkeitsrisiko – einen zulässigen Insolvenzantrag zu stellen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Führungslos GmbH Insolvenzeröffnung Restrukturierung und Insolvenz Verfahrenspfleger